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Die Verwandlung

  • Marina Korn

  • Do, 18. Juli 2013
    fudder

Einmal im Monat wird aus dem Freiburger Studenten Roman dank Make-up, Kleidung und Perücke die Drag Queen Victoria Bellatrice Violet.

Noch ein bisschen mehr Haarspray, dann ist Vicky ausgehfertig.
Noch ein bisschen mehr Haarspray, dann ist Vicky ausgehfertig.

Laut, schillernd und frech: das ist die Drag Queen Victoria Bellatrice Violet, wenn sie im Freiburger Nachtleben unterwegs ist. Verkörpert wird sie durch den 23-jährigen Kunstgeschichtsstudenten Roman aus Freiburg. Ein Abend mit Freiburgs einziger Drag Queen.

Samstagabend in der Freiburger Gaststätte Waldsee. Es ist Schwul-Les-Dance, eine der größten schwul-lesbischen Partys in Südbaden. Die Menge auf der Tanzfläche tanzt und singt zu Icona Pops "I Love It". Zwischen den Partygästen in Jeans und Sneakers hebt sich eine Frau deutlich ab. Sie fährt sich mit der Hand durch ihre blonde Afromähne, klimpert mit geschminkten Wimpern und lächelt mit pinkfarbenen Lippen. Ihr langes Kleid im Giraffenmuster ist hochgeschlossen und liegt durch einen Gürtel eng um die Hüfte. Geschmeidig bewegt sie sich auf ihren High Heels. Das ist Victoria Bellatrice Violet, auch Vicky B Violet oder einfach nur Vicky genannt.

Sechs Stunden vor der Party gibt es Vicky noch nicht. Roman, Student aus Freiburg, erschafft die Diva mit Make-up, Kleidung, Attitüde. "Vicky erfordert viel Übung", sagt Roman. "Ich sah am Anfang schrecklich aus. Es dauerte schon eine Weile, bis ich mich richtig schminken und auf hohen Schuhen laufen konnte." Der 23-Jährige sitzt im Wohnzimmer seiner WG an einem Tisch, vor ihm ein Spiegel, drumherum ein Chaos aus Make-up, Pinseln, Schwämmen, Lidschatten und Lippenstiften. Eigentlich macht er sich alleine als Vicky zurecht, doch heute sind einige seiner Freundinnen dabei. Obwohl sie Roman gut kennen und ihn als Vicky auch schon öfters auf Partys begleitet haben, dürfen sie heute zum ersten Mal die Verwandlung verfolgen.

Roman hat sich rasiert und die Augenbrauen gezupft. Die Brusthaare dürfen diesmal dranbleiben, denn das Kleid, das er heute als Vicky tragen will, hat keinen weiten Ausschnitt. Er zieht noch einmal an der Zigarette, dann kann die Verwandlung beginnen. Roman verteilt die erste Schicht Foundation auf seinem Gesicht, es folgen drei weitere, bis seine Haut ebenmäßig hell und kein Bartschatten mehr zu sehen ist. Er pinselt sich gekonnt braunen Lidschatten über Wangenknochen, Nase, Hals und Stirn, um sein Gesicht schmaler erscheinen zu lassen. Dann Puder, Lidschatten, Wimperntusche, Lippenstift und Lipgloss. Schließlich sprüht er sich Haarspray ins Gesicht, um das Kunstwerk zu fixieren.

Zwei Stunden braucht Roman für das Vicky-Make-up, die restlichen Vorbereitungen gehen schnell. Ein BH, gefüllt mit zwei aus Nylonstrümpfen selbst gemachten Reissäckchen als Brüste, Strumpfhose, Kleid, Perücke, Pumps, dazu auffälligen Schmuck. "Ziiiipp!" – eine Freundin schließt den Reißverschluss des Kleides. Aus Roman ist jetzt Vicky geworden. Die dreht sich um und flüstert lasziv: "The bitch is born."

Die Freundinnen, die hinter Vicky auf dem Sofa sitzen, klatschen begeistert. Sobald die optische Verwandlung vollbracht ist, legt sich bei Roman im Kopf der Schalter um. Jetzt ist er "in character" und in die Rolle der Vicky geschlüpft. "Man muss schon schauspielern können", sagt Roman. "Sonst ist man ja nur ein Bengel im Kleid. Bewegung, Sprechweise und Mimik sind entscheidend."

Roman ist eine Drag Queen, kein Transsexueller. Während Transsexuelle das Gefühl haben, im falschen Körper geboren worden zu sein und ihr Geschlecht verändern wollen, genießen Drags lediglich das Spiel mit der Verkleidung und den Geschlechterrollen. Drag Queens ahmen Frauen und ihr Verhalten nach. Bevorzugt Diven und Dramaqueens, gerne auch mit derber sexueller Sprache. Drags wollen nicht nur auffallen, sondern auch provozieren. "Das Aussehen ist natürlich wichtig, aber der Charakter ist noch viel wichtiger", sagt Roman über Vicky. "Sie ist eine richtige Rotzgöre, laut und frech. Sie ist aber auch lieb und unterhält sich mit jedem, egal welche sexuelle Orientierung und welche Herkunft."

Einige Stunden später auf der Party. Vicky wird umschwärmt, immer wieder kommen Männer auf sie zu, begrüßen sie mit Küsschen links, Küsschen rechts. In einem ruhigeren Moment setzt sich ein etwas schüchterner Mann zu ihr. Er ist Anfang 20 und bittet Vicky um Tipps. Er wisse noch nicht, ob er homosexuell sei, denn er hatte noch nie einen Freund oder eine Freundin, habe aber manchmal große Lust, sich als Frau zu verkleiden. Die sonst so vorlaute Vicky erzählt ihm ruhig und verständnisvoll von ihren Erfahrungen. "Natürlich ist es erst eine Überwindung, aber ich bin sehr froh, dass ich mich getraut habe", sagt Roman. "Ich bin durch Drag auf jeden Fall offener und selbstbewusster geworden."

Zurzeit ist Roman der einzige, der regelmäßig als Drag Queen in Freiburg unterwegs ist. "Angefangen habe ich wie jeder zweite Schwule an Fastnacht", sagt er. Damals, mit 18 Jahren, kaufte er sich seine ersten Pumps, acht Zentimeter hoch und mit Leopardenmuster. Heute trägt er bevorzugt High Heels um die 15 Zentimeter. Vicky entwickelte sich, als Roman vor zwei Jahren zum Strandcafé kam. Die Betreiber des alternativen Lokals auf dem Freiburger Grethergelände fragten ihn, ob er einmal im Monat ehrenamtlich als Drag Queen auftreten wolle.

Es ist kurz vor vier Uhr Morgens, als Vicky sich mit ihren Mädels von einem Taxi von der Party im Waldsee abholen lässt. Ihre Füße schmerzen. Doch eine goldene Drag-Queen-Regel lautet "Don’t take off your shoes" – das Bild darf schließlich nicht zerstört werden. Morgen kann sich Roman von Vicky erholen, dann geht es weiter mit dem normalen Studentenalltag – bis zur nächsten Party.

Was ist eine Drag Queen?

Drag Queens sind meistens homosexuelle Männer, die sich mit kunstvollem Make-up, Perücke und High Heels in übertriebener Form als Frau verkleiden und sich als solche verhalten. Damit wollen sie nicht nur auffallen, sondern auch der Gesellschaft zeigen, dass es mehr sexuelle Ausrichtungen gibt als das bipolare Geschlechtersystem Mann-Frau. Die Drag-Queen-Szene kommt aus der Travestie: der künstlerischen Verkleidung im Schauspiel. Auch heute sind viele der Drag Queens Schauspieler. Das Pendant zur Drag Queen ist der Drag King - eine Frau, die sich als Mann verkleidet.

Ressort: fudder

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Do, 18. Juli 2013: PDF-Version herunterladen

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