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"Eine ungeheure Chance für Kinder"

  • Fr, 28. November 2014
    Neues für Kinder

ZISCH-INTERVIEW mit Hansjörg Droll von der Pädagogischen Hochschule Freiburg über Zisch als Lese- und Schreibförderprojekt.

Hansjörg Droll   | Foto: Sonja Zellmann
Hansjörg Droll Foto: Sonja Zellmann

Ein wichtiger Partner der Badischen Zeitung bei Zeitung in der Schule ist die Pädagogische Hochschule Freiburg. Sie unterstützt das Zisch-Team dabei, Arbeitsmaterialien für die Lehrer bereitzustellen und beteiligt sich am Zisch-Lehrerseminar, in dem die Pädagogen jeweils vor Projektstart Tipps für die Arbeit mit der Zeitung bekommen. Einer der Dozenten, die das Seminar regelmäßig mitgestalten, ist Hansjörg Droll. Sonja Zellmann hat sich mit ihm darüber unterhalten, wie mit der Zeitung Lese-, Schreib- und Medienkompetenzen gefördert werden können.

Zisch: Herr Droll, Zisch ist vor allem als Leseförderprojekt gestartet. Wie genau kann die Arbeit mit der Zeitung im Unterricht dabei helfen, die Lesekompetenz von Viertklässlern zu stärken?
Droll: Zisch bietet einen wunderbaren Anlass zum Erwerb verschiedener Lesestrategien, die sich in den vergangenen Jahren in der Lesedidaktik etabliert haben. Sachtexte, wie wir sie in der Zeitung finden, eignen sich besonders für den Erwerb dieser Strategien, da sich ihr Zweck, zum Beispiel zu informieren, gut nachvollziehen lässt. Literarische Texte wollen hingegen entschlüsselt werden, sie sind weniger eindeutig.

Zisch: An den Erwerb welcher Lesestrategien oder, einfacher, Fähigkeiten haben Sie hierbei gedacht?
Droll: Einmal können die Kinder durch das Zeitungsprojekt unterschiedliche Textformen und damit verschiedene Sprachfunktionen kennenlernen: das objektive Berichten in einer Nachricht und das subjektive Argumentieren im Kommentar beispielsweise. Dann finden Kinder natürlich sehr viele Wörter in der Zeitung, die sie gar nicht oder nur in einem anderen Kontext kennen. Hier können sie üben, sich erst einmal selbst die Bedeutung aus dem Text zu erschließen, darüber zu diskutieren, bevor sie sie schließlich nachschlagen. Eine weitere Lesestrategie wäre, den Text über die Überschrift und über die Fotos anzugehen. Was lässt die Schlagzeile vermuten? Worauf weist das Foto hin? Anschließend überprüfen die Kinder, inwieweit sie richtig lagen. So lernen die Schüler, das eigene Leseverstehen zu überwachen.

Zisch: Überschriften helfen ja auch dabei, sich in der Zeitung zu orientieren. Wäre das eine weitere Lesestrategie?
Droll: Ja, durchaus, das ist ein wichtiger Punkt: Die Kinder lernen, sich in der Zeitung zurechtzufinden. Sie lernen, wie sie die Ressorts, die Überschriften und Bilder nutzen können, um die Artikel zu finden, die für sie interessant sind. Dies wie auch das selektive und kursorische Lesen sind nicht nur lese-, sondern auch mediendidaktisch wichtige Kompetenzen. Wenn ein Schüler beispielsweise Fan von Borussia Dortmund ist, dann merkt er sich schnell, in welchem Zeitungsteil er den Spielbericht vom Vorabend findet. Dieses interessengeleitete Lesen kann für die Kinder unheimlich motivierend sein. Es kommt vor allem Kindern mit einer ungünstigen Lesebiografie zugute: Kindern, die eigentlich nicht gerne lesen, weil sie nicht sehr gut lesen.

Zisch: Spielt für die Motivation auch die Tatsache eine Rolle, dass die ganze Klasse die Zeitung liest?
Droll: Ja, unbedingt. Die Lesesozialisationsforschung hat gezeigt, wie wichtig das soziale Umfeld für das Leseverhalten ist. Da nun die ganze Klasse die Zeitung liest, kann das Gelesene zum Tagesgespräch werden – auch das macht das Lesen interessant. Zudem fördert das Zeitunglesen den Austausch mit Eltern und Großeltern – denn plötzlich wissen die Kinder über aktuelle Nachrichten Bescheid, die auch die Großen bewegen.

Zisch: Unsere Zisch-Schüler werden selbst zu Reportern. Ist Zisch auch ein Schreibförderprojekt?
Droll: Ja, sicher. Bei Zisch schreiben die Kinder nicht (nur), um eine Note zu bekommen, sondern um von anderen – und zwar nicht ausschließlich von der Klasse, sondern von einer allgemeinen Öffentlichkeit – gelesen zu werden. Das ist ein riesiger Anreiz, einer, den man in der Schule sonst nicht hat. Lesen und Schreiben werden hier nicht isoliert gefördert, sondern das eine macht das andere interessant. Denn natürlich motivieren die Texte der Klassenkameraden und der Zisch-Schüler aus anderen Klassen sehr zum Lesen. Diese authentischen Lese- und Schreibanlässe sind eine ungeheure Chance für die Kinder.

Zisch: Gibt es etwas, was beim Schreiben von Artikeln für die Zeitung besonders gut geübt werden kann?
Droll: Die Schüler bekommen ja die Gelegenheit, einen Redakteur über seine Arbeit zu befragen. Dabei erfahren sie meist ein paar Dinge übers Schreiben, die für sie beinahe sensationell neu sind: Beispielsweise dass ein Text nicht gleich beim ersten Schreibversuch fertig wird – und das auch nicht werden muss – und dass es normal ist, dass andere den Text lesen und kritisieren, bevor er veröffentlicht wird. Es ist ein wichtiger Lernschritt für Kinder zu sehen, dass es okay ist, wenn man Formulierungen oder ganze Passagen wieder durchstreicht oder verändert – und dass das sogar die Qualität des Textes deutlich steigern kann.

Zisch: Der Begriff Medienkompetenz ist bereits gefallen. Dazu gehört, dass die Kinder lernen, sich in der Zeitung zurechtzufinden, dass sie verschiedene Textformen kennenlernen. Was noch?
Droll: Man kann mit den Kindern darüber reden, was beispielsweise eine Tageszeitung im Vergleich zu einem Werbeblättchen ausmacht. Man kann ihnen zeigen, dass es die verlässlichen Infos aus der Zeitung auch im Internet gibt. Das Bewusstsein herstellen, dass der Computer auch nützliche Informationen bietet und nicht nur Unterhaltung und Spiele. Viel tiefer würde ich mit Viertklässlern hier noch nicht einsteigen, mit den älteren Zischup-Schülern in der achten und neunten Klasse schon.

Zisch: Welche Vorteile hat die Zeitung als Medium für Kinder anderen Medien gegenüber?
Droll: Ein entscheidender Vorteil ist, dass sie sich bei der Zeitungslektüre nicht so verzetteln können. Es besteht keine Gefahr, dass sie auf eine Internetseite gelangen, die nichts für sie ist. Sie können sich in der Fläche bewegen, haben die verschiedenen Rubriken, die verschiedenen Bücher, denen sie gezielt Information entnehmen können. Gesprochene Medien hinterlassen bei Kindern in der Regel nur einen sehr flüchtigen Eindruck. Die Zeitung hingegen liegt vor ihnen. Texte, die sie nicht verstehen, können sie mehrfach lesen. Sie haben ihr eigenes Exemplar, können sich dort Wichtiges markieren, sich Notizen machen, Dinge ausschneiden. Dieses haptische Potenzial der Zeitung ist für den Leseerfolg und das Verständnis des Gelesenen nicht zu unterschätzen.

ZUR PERSON: HANSJÖRG DROLL

ist Akademischer Rat am Institut für deutsche Sprache und Literatur der Pädagogischen Hochschule (PH) Freiburg im Bereich Sprachwissenschaft und Sprachdidaktik. Der 46-Jährige war vor seiner Zeit an der PH als Grund- und Hauptschullehrer tätig. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder im Alter von fünf und acht Jahren.

Ressort: Neues für Kinder

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 28. November 2014: PDF-Version herunterladen

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