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Zischup-Interview mit Virologen Friedemann Weber

"Enorm faszinierend"

  • Benjamin Boehringer, Klasse 8b, Goethe-Gymnasium (Freiburg)

  • Mi, 08. April 2020, 17:23 Uhr
    Schülertexte

Friedemann Weber leitet an der Universität Gießen das Institut für Virologie des Fachbereichs Veterinärmedizin. Benjamin Boehringer aus der 8b des Goethe-Gymnasiums in Freiburg hat ihn interviewt.

Aktuell wird viel zu Corona geforscht.  | Foto: Sven Hoppe (dpa)
Aktuell wird viel zu Corona geforscht. Foto: Sven Hoppe (dpa)
Zischup: Herr Weber, was fasziniert Sie an den Viren? Und warum wollten Sie ausgerechnet Virenforscher werden?
Weber: Viren sind nur wenige Millionstel Millimeter groß und ihre genetische Information passt auf ein paar wenige bedruckte DIN-A4-Seiten. Dennoch schaffen sie es, unseren Körper zu erobern, die Zellen umzuprogrammieren, das Immunsystem auszutricksen und Milliarden von Nachkommen zu produzieren. Das finde ich enorm faszinierend und deshalb bin ich auch Virologe geworden.
Zischup: Wie sieht der Arbeitsalltag eines Virologen aus?
Weber: Mittlerweile arbeite ich ja leider nicht mehr selbst im Labor, sondern leite dazu die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meines Instituts an. Deshalb sitze ich viel am Schreibtisch und lese, schreibe oder telefoniere. Zwischendurch habe ich Besprechungen mit den Leuten in den Büros und den Laboren. Ich bin auch viel auf Reisen. All diese Tätigkeiten haben entweder mit Forschung zu tun oder aber mit Lehre oder Verwaltung.

Zischup: Hat sich Ihr Arbeitsalltag seit dem neuartigen Corona-Virus verändert?
Weber: Der Alltag hat sich zum insofern verändert, dass ich vermehrt mit Medien zu tun habe und dass ich unser Corona-Forschungsprogramm verstärkt habe.
Zischup: Welche Bedeutung haben Ihre Forschungen für die Menschheit? Und warum kann man sich nicht mit zwei Viren gleichzeitig anstecken?
Weber: Wir machen vor allem Grundlagenforschung, das heißt wir sind erst mal einfach neugierig. In meiner Arbeitsgruppe interessieren wir uns dafür, wie Viren die sogenannte Interferon-Antwort – ein Teil des Immunsystems – bekämpfen. Mit den Erkenntnissen können Impfstoffe und Therapien verbessert werden. Neben der Grundlagenforschung arbeiten wir aber auch direkt an der Entwicklung von Impfstoffen gegen verschiedene Viren. Sich genau gleichzeitig mit zwei Viren anzustecken ist erst einmal deswegen schwierig, weil man dazu ja gleichzeitig von zwei Personen zum Beispiel angehustet werden müsste. Relativ kurz hintereinander von zwei Viren infiziert werden, kann man sich schon eher vorstellen, aber tatsächlich geschieht auch das nur selten. Das liegt wahrscheinlich daran, dass die Vermehrung des ersten Virus die Interferon-Antwort schon so weit aufgeweckt hat, dass es für das zweite Virus schwierig wird.

Zischup: Warum steckt man sich vor allem in kalten Jahreszeiten mit Viren an?
Weber: Viruspartikel sind besonders stabil, wenn es trocken und kalt ist. Solche Bedingungen hat es im Winter, denn kalte Luft nimmt weniger Feuchtigkeit auf als warme Luft. Außerdem sind Menschen im Winter öfters in Räumen eng zusammen, was es den Viren leichter macht überzuspringen. Im Sommer gehen die Viruspartikel auch wegen der erhöhten UV-Strahlung schneller kaputt. Das gilt aber nur für Erkältungsviren. Es gibt ja auch Viren, die etwa durch Zecken oder Mücken übertragen werden. Die kommen nicht direkt mit Luft oder Licht in Kontakt und haben im Frühjahr und Sommer ihre Saison.
Zischup: Zum neuen Corona-Virus: Kann man sich mittlerweile schon impfen?
Weber: Leider gibt es noch keine Impfung gegen das neue Coronavirus. Das Virus ist ja erst seit kurzem aufgetreten – und die Entwicklung eines Impfstoffes dauert meist Jahre. Man kann sich aber gegen das Grippevirus impfen lassen, das praktisch die gleiche Krankheit auslöst, sich in Deutschland momentan stark verbreitet und seit Oktober letzten Jahres schon 200 Todesopfer gefordert hat.

Zischup: Ich habe gehört, dass das neue Coronavirus aus einem chinesischen Labor kommt, andere sagen, dass es von einem Schuppentier auf den Menschen übertragen wurde. Was stimmt?
Weber: Die virologische Labore in China haben den hohen internationalen Sicherheitsstandard. Es gibt keine ernst zu nehmenden Hinweise darauf, dass das Virus aus Versehen oder gar absichtlich freigesetzt wurde. Auch kannte man das Virus vor dem Ausbruch ja noch gar nicht. Sein Stammbaum weißt stark darauf hin, dass es ursprünglich aus der Fledermaus kommt. Eventuell ist es zunächst auf das Schuppentier gesprungen, und von da auf den Menschen. Passiert ist das wahrscheinlich auf einem chinesischen Tiermarkt. Auf diesen Tiermärkten gibt es eine breite Auswahl der verschiedensten Tierarten, die sich in der Natur vielleicht nie begegnen würden. Sie sind eng in Käfigen zusammengepfercht. Das macht es einem Virus leicht von Tier zu Tier oder von Tier zu Mensch zu springen. Außerdem unterdrückt der Stress der Gefangenschaft das Immunsystem, weshalb sich die Viren besser vermehren können. Die meisten Tierviren können den Menschen trotzdem nicht infizieren, aber einige wenige schaffen den Durchbruch. Das ist das wahrscheinlichste Szenario und tatsächlich bei anderen Viren auch schon öfter passiert.

Zischup: In den Medien habe ich verschiedene Namen für das neue Virus gelesen: nCov-19, Covid-2019. Können Sie erklären, welcher Name richtig ist?
Weber: Ähnlich wie bei AIDS und HIV haben Krankheit und Virus unterschiedliche Namen. Die Krankheit heißt COVID-19, das Virus SARS-CoV-2. Die Medien unterscheiden das aber nicht immer klar. Diese offiziellen Namen gibt es auch erst seit kurzem, vorher ging das etwas durcheinander und man hat zum Beispiel vom 2019-nCoV oder Ähnlichem gesprochen.
Zischup: Finden Sie die aktuellen empfohlenen Schutzmaßnahmen übertrieben?
Weber: Die offiziell empfohlenen Schutzmaßnahmen finde ich nicht übertrieben, sondern angemessen. Viele Experten befürchten sogar, dass sich das Virus dennoch nicht mehr ausrotten lässt. Bei SARS war das 2003 ja noch gelungen. So oder so helfen die Maßnahmen jedenfalls, die Zahl der neuen Infektionen so niedrig zu halten, dass unser Gesundheitssystem nicht überlastet wird, damit alle schwer Erkrankten angemessen versorgt werden können.

Zischup: Wie schützen Sie sich und Ihre Familie vor dem Corona-Virus?
Weber: Da in unserem Umkreis keine Infektionen stattgefunden haben, müssen wir uns momentan nicht speziell schützen. Regelmäßig Hände waschen, sich nicht ins Gesicht fassen und in den Ellbogen husten sind aber immer wichtig, um Infektionen zu vermeiden. Wenn das Virus verstärkt in unserer Nähe wäre, würden wir Menschenansammlungen vermeiden. Wenn wir direkten Kontakt mit einem Infizierten hätten, müssten wir zuhause bleiben und uns testen lassen.
Zischup: Bekommt die Menschheit das Corona-Virus in den Griff?
Weber: Ein definitives Ja oder Nein zu geben ist nicht möglich, aber es könnte sehr schwierig werden.
Zischup: Wie schätzen Sie das neue Corona-Virus im Vergleich zur Grippe ein?
Weber: Auch hier ist eine endgültige Antwort (noch) nicht möglich. Bei Viren kommt es nicht nur darauf an, wie viele Infizierte schwer erkranken oder gar sterben, sondern auch wie leicht es übertragen wird und wie viele Menschen schon immun sind. Momentan sieht es zwar so aus, als ob beim Coronavirus mehr der Infizierten schwer erkranken als bei Grippe, aber wie viele wirklich infiziert sind, ist schwer einzuschätzen, da längst nicht alle Menschen getestet werden können. Es ist durchaus möglich, dass viele das Virus hatten aber gar nicht krank wurden.

Ressort: Schülertexte

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