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Erdogans "verrücktes" Projekt

  • Sa, 15. Februar 2020
    Ausland

Der türkische Präsident plant einen Kanal, der das Schwarze Meer mit dem Marmarameer verbinden soll / Proteste von Umweltschützern und aus der Bevölkerung.

Im Istanbuler Stadtteil Avcilar bildeten Demonstranten eine Menschenkette gegen den geplanten Kanal. Foto: Gottschlich
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Karaburun sieht aus, wie ein Ferienort aussehen soll. Im kleinen Hafen unterhalb der Ortschaft schaukeln ein paar bunte Fischerboote in der Wintersonne, oben auf den Klippen stehen Kapitänshäuser und Ferienvillen. Es liegt ein bisschen zu viel Müll herum, aber der wird bis zu Saisonbeginn eingesammelt sein. Doch etwas macht stutzig. Im kleinen Ort oberhalb der Klippen findet sich eine massive Ansammlung von Maklerbüros. Sollte der Andrang auf die Ferienhäuser am Strand tatsächlich so groß sein?

Natürlich nicht. Geht es nach dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, wird das idyllische Karaburun im Zentrum eines Projektes stehen, das alle bisherigen "gigantomanischen" Projekte des Präsidenten weit übertreffen wird. "Kanal Istanbul", der zweite Bosporus, soll das Masterpiece des bauwütigen türkischen Präsidenten werden, das er selbst einmal das "verrückte" Projekt nannte. Nicht ganz so groß wie der Panamakanal, der den atlantischen mit dem Pazifischen Ozean verbindet, oder der Suezkanal, der vom Mittelmeer ins Rote Meer führt, soll Kanal Istanbul das Schwarze Meer mit dem Marmarameer und damit mit dem Mittelmeer verbinden. Der Kanal soll die bislang einzige Verbindung zwischen diesen Meeren, den Bosporus, vom Schiffsverkehr entlasten.

Im Moment sucht Erdogan noch nach Investoren für dieses mindestens 20 Milliarden Dollar teure Projekt, doch er ist sich sicher, dass das Geld schnell zusammenkommt. "Weltweit ist Kapital auf der Suche nach einer guten Anlagemöglichkeit und Kanal Istanbul ist eine der besten", meint der Präsident. Noch in diesem Jahr werden die Bagger rollen, kündigte er erst kürzlich an.

Kann er sein Vorhaben durchsetzen, wird im idyllischen Karaburun die Hölle los sein. Denn hier, am ausgedehnten Sandstrand östlich des Städtchens, soll der Kanal am Schwarzen Meer seine Mündung haben. Eingerahmt wird diese Kanalmündung dann mit Liegeplätzen für die Großschifffahrt, Logistikunternehmen sollen einen großen Umschlagplatz bekommen, und eine Segel-Marina ist auf der östlichen Seite der Mündung geplant. Mit dem gigantischen Aushub des Kanals sollen vor der Mündung nach dem Vorbild von Dubai künstliche Inseln im Schwarzen Meer angelegt werden. Karaburun wird nicht wiederzuerkennen sein.

Der Besitzer eines Fischrestaurants am Hafen schwankt zwischen der Hoffnung, er könne hier in Zukunft das ganz große Geschäft machen, und der Befürchtung, sein Laden würde die jahrelange Bauzeit nicht überstehen. "Vielleicht gibt es uns dann gar nicht mehr", sagt er etwas zweifelnd an der rosigen Zukunft, die der Präsident malt. Zweifel an dem Projekt haben auch viele andere, angefangen vom neuen oppositionellen Oberbürgermeister von Istanbul, Ekrem Imamoglu, der in der Ablehnung des Projekts eine breite Mehrheit der Istanbuler Bürger repräsentiert, bis hin zu vielen Experten, die in dem Kanal ein hohes geologisches und ökologisches Risiko sehen.

Insbesondere die Meeresbiologen schlagen Alarm. "Der Kanal wäre ein Desaster. Wenn er gebaut wird, wird das Marmarameer über kurz oder lang zu einem toten Gewässer", sagt Cemal Saydam, der bekannteste türkische Meeresforscher. Das Meer würde im wahrsten Sinne des Wortes zum Himmel stinken und der Geruch nach faulen Eiern das Leben an seinen Ufern unerträglich machen. Er wie andere Maritim-Experten weltweit führen ins Feld, dass das Marmarameer schon jetzt besonders sauerstoffarm ist, weil nur über die Dardanellen sauberes sauerstoffreiches Wasser aus der Ägäis ins Marmarameer fließt. Aus dem Schwarzen Meer durchzieht überwiegend sauerstoffarmes schmutziges Wasser den Bosporus. Kommt der Kanal dazu, wird das Marmarameer unweigerlich umkippen und zu einer toten Kloake werden.

Während das zuständige Umweltministerium in Ankara diese Gefahr einfach ignoriert, ist die Istanbuler Stadtverwaltung aufs Höchste alarmiert. Ilayda Kocoglu, eine junge Frau aus dem Team von Oberbürgermeister Ekrem Imamoglu, bekräftigt bei einem Gespräch die Ablehnung des Kanalprojektes durch die Stadtverwaltung: "Entweder der Kanal oder Istanbul. Der Kanal ist eine existenzielle Bedrohung für die Stadt." Nicht nur würde das Marmarameer sterben, schon vorher hätten viele Istanbuler nicht mehr genug Trinkwasser. Der Kanal würde nicht nur wichtige Trinkwasserreservoirs Istanbuls zerstören, er würde die Stadt auch von weiter westlich gelegenen Staudämmen abschneiden. Rund 50 Prozent des Trinkwassers für den europäischen Teil Istanbuls, in dem knapp zehn Millionen Menschen leben, würden vernichtet.

Die Gefährdung des Trinkwassers ergibt sich aus der Route, die der Kanal nehmen soll. Von seinem Ausgangspunkt am Schwarzen Meer führt sie zunächst durch eine hügelige Kulturlandschaft, die seit Jahrhunderten für Landwirtschaft und Viehzucht genutzt wird und die Stadt mit Agrarprodukten versorgt. Dabei passiert der Kanal den Terkos-See, eines der wichtigsten Trinkwasserreservoires, dem durch den Kanal die Versalzung droht. Auf der zweiten Hälfte der Strecke soll der Kanal dann direkt durch den Talsperren-See Sazlidere, der ebenfalls Istanbul mit Wasser versorgt, ins Marmarameer geführt werden.

Auf dem Weg vom Schwarzen Meer zum Sazlidere-Staudamm liegt zwischen grünen Hügeln das kleine Dorf Baklali. Im Teehaus des Dorfes führt die Frage nach dem Kanalprojekt dazu, dass der Teehausbesitzer Yussuf an den Tisch ruft. Yussuf ist so etwas wie der Sprecher des Dorfes, wenn es um den Kanal geht. "Das Dorf ist geschlossen gegen den Kanal", sagt Yussuf. "Wenn der gebaut wird, ist hier alles weg. Kein Haus bleibt übrig, die Weiden und unser Vieh verschwinden. Wir sind Bauern. Ich will nicht in irgendeiner Fabrik in Istanbul enden", sagt er aufgebracht. Es soll zwar eine Entschädigung geben, doch "die reicht nicht, um anderswo Land zu kaufen". Yussuf weiß, dass sich einige mit dem Kanal eine goldene Nase verdienen wollen. Zornig wirft er ein paar Visitenkarten von Maklerbüros aus der Umgebung auf den Tisch. Doch auch Yussuf hat natürlich längst mitbekommen, dass die Makler vor Ort nur kleine Fische sind. "Den großen Profit werden andere machen", sagt er. Wer? "Großinvestoren aus den Golfstaaten und andere Kumpels von Erdogan." Die Tageszeitung Cumhuriyet enthüllte, dass auch Berat Albayrak, Finanzminister und Schwiegersohn des Präsidenten, sich gut bedient hat. Aber nicht nur Freunde und Bekannte des Präsidenten haben sich mit Land am Kanal versorgt. Auch große Konzerne wie Koc und Sabance, die der Regierung nicht unbedingt nahestehen, haben dort Land gekauft.

Mitte Januar pries Verkehrs- und Transportminister Cahit Turhan vor der versammelten türkischen Presse das "Jahrhundertprojekt" in den höchsten Tönen und versuchte so, den Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen. "Bis 2035 werden 50 000 Schiffe im Jahr den Kanal passieren und so mehr als eine Milliarde Dollar im Jahr in die Staatskassen spülen", behauptete Turhan. Bis 2050 rechne er gar mit 70 000 Schiffen pro Jahr. Das Kanalprojekt werde das Wachstum der türkischen Wirtschaft insgesamt beflügeln und Tausende Arbeitsplätze schaffen. Außerdem würde der Bosporus dadurch von gefährlichen Transporten entlastet und die Gefahr eines Tankerunfalls für Istanbul abgewendet. Der Kanal werde deshalb auch aus ökologischen Gründen ein Segen für Istanbul sein. Kritiker rechnen dagegen vor, dass sich die Erwartungen der Regierung auch bei anderen privat finanzierten öffentlichen Bauten wie der dritten Brücke über den Bosporus nicht erfüllt haben und der Staat nun jährlich Millionenbeträge an die Betreiber-Firmen zahlen muss, damit die ihre Garantiesummen einstreichen können.

Sie rechnen auch vor, dass der Schiffsverkehr auf dem Bosporus rückläufig ist und fragen, warum überhaupt eine Reederei für die Kanalpassage bezahlen sollte, da die Durchfahrt durch den Bosporus doch kostenlos ist. Dazu sagt die Regierung, die Reedereien würden Geld sparen, weil es für die Kanalpassage keine langen Wartezeiten wie beim Bosporus geben werde und außerdem das Risiko, für Unfallkosten auf dem Bosporus aufkommen zu müssen, entfallen würde.

Zu den Umweltrisiken hatte Umweltminister Murat Kurum eine eindeutige Antwort. Mehr als 100 000 Einwendungen Istanbuler Bürger ließ er pauschal als völlig unbegründet ablehnen. Die Umweltrisiken seien geprüft worden, der Kanal ist sicher. Doch viele Istanbuler glauben ihm nicht. An einem kalten regnerischen Samstag im Januar fand in Avcilar, dem Istanbuler Stadtteil, der an der Mündung des Kanals ins Marmarameer liegen würde, eine erste Demonstration statt.

Trotz Nieselregen folgten mehrere hundert Bewohner von Avcilar dem Aufruf eines Bürgerforums des Bezirks und beteiligten sich an einer Menschenkette entlang des Sees, durch den hindurch der Kanal ins Marmarameer gehen soll. Unter ihnen viele Familien, die neben den ökologischen Risiken auch die Angst vor einem großen Erdbeben umtreibt, das durch die Kanalarbeiten ausgelöst werden könnte.

Weil Millionen Istanbuler Bürger in Umfragen bereits signalisiert haben, dass sie gegen den Kanal sind, hat Bürgermeister Imamoglu nun ein Referendum ins Spiel gebracht und will das Kanalprojekt zu dem zentralen Konfliktpunkt mit der Regierung machen. Wissenschaftler wie Cemal Saydam und viele andere veröffentlichen vernichtende Expertisen für das Projekt, doch der starke Mann der Türkei, Recep Tayyip Erdogan, gibt sich weiter siegesgewiss: "Ihr könnt sagen, was ihr wollt", ließ er die Istanbuler wissen, "der Kanal wird gebaut." Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu warnte derweil potenzielle Investoren vor dem Kanal-Projekt: "Sie werden ihr Geld nicht wiedersehen."

Ressort: Ausland

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