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Erinnerungen an die Bombennacht: "Wie wir in den Keller gestürzt sind..."

BZ-Redaktion

Von

Mo, 01. Dezember 2014

Freiburg

Eva Schneider-Borgmann hat 70 Jahre nach der Bombennacht ihr Aufgewühltsein in Worte gefasst.

Eva Borgmann als Kind   | Foto: Privat
Eva Borgmann als Kind Foto: Privat

70 Jahre nach dem schweren Luftangriff sind am 27. November wohl bei vielen Freiburgerinnen und Freiburgern die Gedanken in jene Nacht gegangen. Eva Schneider-Borgmann hat am Donnerstag aufgeschrieben, wie sie als Siebenjährige die Bombennacht und die Zeit danach erlebt hat.

"Heute vor 70 Jahren war der Luftangriff auf Freiburg. Wir, die vier Geschwister und die Eltern Borgmann, haben ihn im Luftschutzkeller in der Draisstraße im Stühlinger erlebt. Wir erinnern uns:
Wie beim Voralarm die Eltern die "Kleinen" aus den Betten gerissen haben;
Wie wir in den Keller gestürzt sind;
Wie dort schon Orths und Reimuths, die Hausbesitzer, waren, sie lagen teilweise in den Feldbetten;
Wie Frau Reimuth, sie war schwanger, unentwegt stöhnte;
Wie wir dann alle auf dem Boden lagen;
Wie der Vater, der gottlob – wie wäre es ohne ihn weitergegangen? – wegen einer Anfang der Woche in der Straße gefallenen Bombe auf Heimaturlaub von der Front in der Normandie war, die kleine Margrit, erst zwei Jahre alt, kniend zwischen den Knien hielt;
Wie wir alle beteten;
Wie die schweren Propellermaschinen dröhnten;
Wie es zuerst pfiff und dann krachte, als die Bomben einschlugen;
Wie der Lärm nicht enden wollte;
Wie der Himmel, als wir in die Waschküche zur Toilette gingen, glut-, blutrot durchs Fenster zu sehen war;
Wie wir, als gegen 20.20 Uhr alles vorüber zu sein schien, erschrocken ins Treppenhaus gingen;
Wie dieses von Schutt übersät war;
Wie die Eltern einige Sachen zusammenpackten;
Wie sie die Fahrräder aus der Garage holten;
Wie sie uns, die Großen, beim Vater, die Kleinen bei der Mutter vorne und hinten auf die Räder setzten;
Wie sie an den Lenkstangen Taschen hatten;
Wie sie in der Dunkelheit den Weg suchten nach Süden in Richtung Schönbergstraße, wo unser Dienstmädchen wohnte, in der Hoffnung, dass deren Haus vielleicht verschont war;
Wie wir an Bombentrichtern vorbei kamen;
Wie die Straßen voll lagen von Trümmern und Elektroleitungen;
Wie sie schließlich in die Schönbergstraße kamen, wo tatsächlich nichts zerstört war;
Wie wir dort auf dem Boden bei der Familie des Pflichtjahrmädchens endlich schlafen konnten;
Wie die Eltern mit uns auf den Rädern am nächsten Morgen Richtung Stegen zum Kloster der Herz-Jesu-Priester aufbrachen;
Wie sie mit uns durch die brennende Stadt liefen, an Fahren war nicht zu denken, erst nach Ebnet;
Wie wir durch die Kartäuserstraße kamen;
Wie dort und an anderen Stellen die Leute verzweifelt versuchten, ihre brennenden Häuser zu löschen;
Wie wir schließlich, wir Kinder ganz verängstigt, in Stegen ankamen;
Wie wir dort in Stegen im Waisenhaus, das im Schloss, aus Westfalen evakuiert, untergebracht war, Unterschlupf fanden;
Wie unsere Mutter im Brüderhaus ein Zimmer fand, das sie mit Freundinnen, Jüdinnen, vom Pater Rektor Middendorf dort versteckt, teilte;
Wie wir aber auch dankbar dafür waren, dass die Eltern Kontakt zum Herz-Jesu-Orden, bei dem unser Vater Abitur gemacht und studiert hatte, gehalten hatten, sodass wir und die jüdischen Familien dort unterkommen konnten;
Wie wir dauernd Heimweh hatten und unsere Mutter nur selten sehen durften;
Wie wir hörten, dass immer wieder Bomben auf Freiburg fielen;
Wie wir erfuhren, dass unsere Mutter dennoch regelmäßig per Fahrrad nach Freiburg fuhr, um Lebensmittel zu organisieren und weitere Besorgungen für das Kloster zu machen;
Wie wir schließlich dort das Kriegsende erlebten, als französische Panzer in den Klosterhof rollten und uns Kinder mit Schokolade beschenkten.

Dies alles hat mich heute Nacht fast nicht zur Ruhe kommen lassen."

Ressort: Freiburg

  • Veröffentlicht in der gedruckten Ausgabe der BZ vom Mo, 01. Dezember 2014:
  • Zeitungsartikel im Zeitungslayout: PDF-Version herunterladen

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