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"Zeigen, was tatsächlich geschehen ist"

Wolfgang Grabherr

Von

Sa, 25. Januar 2020

Computer & Medien

Eine Podiumsdiskussion in Freiburg über den Wahrheitsgehalt von Pressefotos, Qualitätsjournalismus und gefälschte Bilder.

Auf der Suche nach der Wahrheit: BZ-Chefredakteur Thomas Fricker im Gespräch mit dem Cheffotografen der dpa, Michael Kappeler, dem Mundologia-Gründer Tobias Hauser und dem freien Fotojournalisten Till Mayer (von links) Foto: Michael Bamberger
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Zeigt ein Pressefoto immer genau das, was auch tatsächlich passiert ist – oder wird bei diesen Bildern auch schon mal manipuliert? Eine schwierige Frage, auf die im Rahmen einer Podiumsdiskussion im Historischen Kaufhaus in Freiburg vier Medienprofis und Experten eine Antwort gesucht haben. Bei der BZ-Hautnah-Veranstaltung diskutierte der Chefredakteur der Badischen Zeitung, Thomas Fricker, mit dem Cheffotografen der Deutschen Presse Agentur (dpa), Michael Kappeler, dem Mundologia-Gründer Tobias Hauser und dem freien Reportagefotografen Till Mayer.

Was ist wahr? Was ist geschönt? Was ist gefälscht? Können wir den Bildern noch trauen, die wir täglich in den Zeitungen und Zeitschriften sowie auf den Nachrichtenportalen im Internet sehen? Ja und Nein. Dies zumindest zeigte die Diskussion der vier Journalisten, die sich mit dem Thema "Bild und Wahrheit – Pressefotografie im Spannungsfeld zwischen Qualitätsjournalismus und Fake News" befasste.

Es gibt heute mehr Fotos denn je. Dies gilt nicht nur für die millionenfach privat geknipsten Smartphone-Bilder, sondern auch für die Angebote der Fotoagenturen und freien Bildjournalisten. Was tun gegen die uferlose digitale Bilderflut? Welche Fotos sind glaubwürdig und stammen aus seriösen Quellen? Für den dpa-Mann Michael Kappeler ist "die 100-prozentige Authentizität der Bilder das höchste Gut." Der Betrachter müsse sich darauf verlassen können, dass die Fotos ein Abbild der Wirklichkeit sind. Bilder müssen "das zeigen, was auch tatsächlich stattgefunden hat", betont der in Berlin arbeitende Kappeler, der zugleich Chef der rund 100 dpa-Fotografen in Deutschland ist. Alle Fotos werden bei der Nachrichtenagentur "auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft", versichert Kappeler, und "dafür verwenden wir zum Teil forensische Methoden, mit denen etwa der Aufnahmeort und -zeitpunkt oder die Inhalte der Fotos überprüft und verifiziert werden können."

Gleichwohl räumt Michael Kappeler ein, dass jedes Pressebild immer aus einer bestimmten Perspektive aufgenommen wurde und oftmals nur einen engen Ausschnitt aus der Wirklichkeit zeigt. Etwa dann, wenn im Ramen eines internationalen Gipfeltreffens die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der damalige US-Präsident Barack Obama scheinbar in trauter Zweisamkeit vor einer imposanten Bergkulisse miteinander plaudern. Ein Foto, das um die Welt ging. Doch so allein, wie es das Foto vermuten lässt, sind die beiden nicht gewesen: einige der anderen prominenten Gipfelteilnehmer standen ganz in der Nähe der lauschigen Parkbank – auf dem besagte Foto jedoch waren sie nicht mehr zu sehen.

"Retuschierte Fotos sind für die dpa tabu" – so das klare Plädoyer des Cheffotografen für die Grenzen zwischen echt und falsch. Was leider nicht immer zu erkennen ist. Und er präsentiert dazu ein Foto, das die Bundesmarine als sogenanntes "Handout" an die Medien weitergegeben hat. Das Bild zeigt zwei Kriegsschiffe auf hoher See, die an einem Einsatz beteiligt waren. Im Original, wie die dpa herausgefunden hat, waren auf dem Foto ursprünglich noch drei Schiffe zu sehen gewesen.

Auch der freie Fotograf Till Mayer berichtet von den Schwierigkeiten, gerade in Kriegs- und Krisenregionen immer unverfälschte Bilder fotografieren zu können. Mayer war lange Zeit in der Ost-Ukraine und hat sich zur Aufgabe gemacht, dorthin zu gehen, "wo die anderen Fotografen schon wieder weitergezogen sind." Mayer nahm sich viel Zeit, ging mit den Soldaten in den Schützengraben und erlebte so hautnah, was es bedeutet, in einem kriegerischen Konflikt mittendrin zu stehen – dabei die Menschen zu beobachten und zu fotografieren. Ihm gelangen authentische Bilder von Männern und Frauen, die für ihre Überzeugung mit der Waffe kämpfen. Aber auch Mayer musste der Versuchung widerstehen: Er sollte Bilder eines jungen Soldaten machen, der bewusst für den Fotografen posierte. Auch so könnten Fake-News entstehen, gibt Mayer zu bedenken.

Welche Bilder darf man drucken – und welche nicht? Thomas Fricker unterzog das Siegerbild des jüngsten World-Press-Photo-Wettbewerbs einer kritischen Würdigung. Das Foto zeigt ein kleines Mädchen, das weinend vor einem Auto steht, während seine Mutter von einem US-Polizeibeamten an der mexikanisch-amerikanischen Grenze durchsucht wird. Die ursprüngliche Annahme, dass das Kind von seiner Mutter getrennt wurde (wie es die US-Administration einige Zeit praktiziert hatte), hat sich als falsch herausgestellt. Fricker fragte die Zuhörer im Saal, ob die mediale Verwendung und der Abdruck dieses Bildes noch akzeptabel sei. Die Mehrheit billigte die Nutzung des Fotos – nicht zuletzt wegen des hohen Symbolgehaltes.

Sehr umstritten, so Fricker, war in der Badischen Zeitung vor einigen Jahren der Abdruck des Fotos eines kleinen syrischen Jungen, der – wie Treibgut – tot an einem Strand im Mittelmeer lag. Darf man so ein Foto zeigen? Auch hier plädierte Till Mayer für die Verwendung des Bildes und erinnerte an ein legendäres Foto aus dem Vietnam-Krieg, das ein nacktes Mädchen auf der Flucht vor einem amerikanischen Napalmangriff zeigt. Mayer glaubt, "dass die weltweite Verbreitung des Bildes möglicherweise den Krieg in Vietnam verkürzt haben könnte".

Pressefotos als Ausschnitt

aus der Wirklichkeit
Der Mundologia-Gründer und Fotojournalist Tobias Hauser "möchte immer auch ein wenig provozieren" – und erzählt von seinen Bildern, die er im sozialistischen Kuba fotografiert hat. "Der Fotograf entscheidet maßgeblich, was das Bild später transportiert", sagt Hauser und zeigt den rund 200 Gästen im Saal einige Kostproben seiner "Manipulationen". Man könne mit Fotos "ganz unterschiedliche Botschaften weitergeben", gibt er unumwunden zu. Und dann zeigt Hauser ein Foto von angeblich friedlich ihren Mittagsschlaf haltenden Kindern in einem großen Saal. Das zweite Bild, das er nur kurz später an fast derselben Stelle aufgenommen hat, zeigt im Vordergrund eine etwas misslaunige Betreuerin, die neben einer langen Reihe von massiven Gitterstäben steht. Plötzlich, so Hauser, "entsteht der Eindruck, in Kuba wären alle Kinder eingesperrt" und müssten allerlei Zwänge erdulden. Zwei Bilder, zwei Wahrheiten.

Wie es um die Glaubwürdigkeit in der zukünftigen medialen Bilderwelt stehe, fragte BZ-Chefredakteur Fricker in die Runde und rätselte, wie die jüngeren Mediennutzer in ein paar Jahren mit der Bilderflut und dem Problem der allgegenwärtigen Fake News fertig werden könnten. Werden das digitale Überangebot und die Beliebigkeit der Inhalte den Fotojournalismus verändern? Der dpa-Bildexperte Michael Kappeler zeigte sich diesbezüglich hoffnungsvoll: Die Menschen könnten durchaus unterscheiden zwischen seriösen Quellen oder gefaktem Material. "Qualitätsjournalismus ist ein hoher Wert an sich" – er leiste zugleich aber auch einen wichtigen Bildungsauftrag. Kein Widerspruch unter den Zuhörern im vollbesetzten Saal.


Auf dem Podium

Die BZ-Hautnah-Diskussion zum Thema "Bild und Wahrheit – Pressefotografie im Spannungsfeld zwischen Qualitätsjournalismus und Fake-News" fand in Kooperation mit den Partnern Sparkasse Freiburg, FWTM und Mundologia statt. Parallel dazu wird anlässlich des Jubiläums "900 Jahre Freiburg" in der Meckelhalle der Sparkasse noch bis zum 28. Januar die Ausstellung "World-Press-Photo 2019" gezeigt.

Mit Thomas Fricker, dem Chefredakteur der Badischen Zeitung, diskutierten drei Medienprofis und Fotoexperten:
» Michael Kappeler ist Cheffotograf der Deutschen Presse Agentur in Berlin. Er stammt aus dem Allgäu, volontierte bei der Augsburger Allgemeinen und arbeitete für die Agenturen ddp / DAPD.
» Tobias Hauser, geboren in Waldshut-Tiengen, ist freier Fotojournalist und berichtet in Live-Reportagen aus zahlreichen Ländern der Erde. Er ist Gründer des jährlich in Freiburg stattfindenden Mundologia-Festivals.
» Till Mayer arbeitet seit vielen Jahren als Redakteur beim Obermain-Tagblatt und als freier Fotojournalist in enger Zusammenarbeit mit dem Roten Kreuz und internationalen Hilfsorganisationen.

Ressort: Computer & Medien

  • Veröffentlicht in der gedruckten Ausgabe der BZ vom Sa, 25. Januar 2020:
  • Zeitungsartikel im Zeitungslayout: PDF-Version herunterladen

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