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Integration

Flüchtlinge spielen im Amateurfußball groß auf

Matthias Kaufhold
  • Do, 28. September 2017
    Fussball

Der Amateurfußball ist die wichtigste Brücke bei der Integration von Flüchtlingen, die in den Vereinen immer wichtiger werden

FREIBURG. Mag sein, dass Alagie Marrika ein ballverliebter Dribbler ist, dem zuweilen der Blick für seinen frei stehenden Nebenmann fehlt. Ein Schauspieler ist der Fußballer Marrika, den sie beim SC Baris Müllheim nur Ali rufen, sicher nicht. Als Marrika im Derby bei den bis dahin ungeschlagenen Sportfreunden Hügelheim nach einem Zweikampf im Strafraum zu Fall kommt, bleibt die ortsübliche Elfmeterreklamation aus. Der Gambier rappelt sich auf, treibt den Ball noch etwas weiter und rammt ihn zum 1:2-Anschlusstreffer ins Hügelheimer Netz. Damit war die Wende eingeleitet im Kreisliga-B-Spiel des Bezirks Freiburg. Mit einer fein gezirkelten Flanke legt Marrika später das Kopfballtor zum 3:2-Endstand für Baris auf. Mal wieder entschied die Offensivstärke eines Flüchtlings eines der zahllosen Amateurfußballspiele, die an den Wochenenden Zerstreuung vom Alltag bieten – und zwar für alle Beteiligten.

Sie sind mittlerweile kaum noch wegzudenken aus dem Spielbetrieb in Südbaden. Bis hinauf zur Verbandsliga überzeugen afrikanisch-stämmige Flüchtlinge, vorzugsweise aus dem fußballverrückten Gambia, als zuverlässige Torproduzenten. Der FC Neustadt schaffte nicht zuletzt wegen der Treffsicherheit von Sam Samma den Sprung in die höchste Spielklasse des Südbadischen Fußballverbands (SBFV). Und ohne seinen Landsmann Buba Ceesay wäre die Angriffsherrlichkeit des Ligakonkurrenten FV Lörrach-Brombach in dieser jungen Spielzeit schon um sechs Treffer ärmer. "Diese Spieler sind nicht nur sportlich herausragend, sie sind auch menschlich und gesellschaftlich voll im Verein angekommen", weiß der SBFV-Integrationsbeauftragte Michael Wagner.

Auch ein Verein wie der SC Baris Müllheim, der vor allem auf Akteure mit türkischen und kurdischen Wurzeln setzt, rollt einem gambischen Balljongleur den roten Teppich aus. Den Namen seines Topstürmers Marrika, den das Internetfachportal FuPa als Alieu Marreh führt, möchte Baris-Spielertrainer Yücel Duman am liebsten verschweigen: "Sonst holt ihn gleich ein höherklassiger Verein weg."

Der Lokalrivale aus dem Müllheimer Ortsteil Hügelheim hat in Südbaden die intensivsten Erfahrungen mit westafrikanischer Fußballbegeisterung gemacht. Zwei Jahre lang spielte das Team Africa, das fast ausschließlich aus gambischen Flüchtlingen bestand, als dritte Mannschaft der Sportfreunde in der Kreisliga C. Zum Start 2015 gab es deutschlandweit lediglich eine Handvoll vergleichbarer Teams. Im vergangenen Sommer wurde das Flüchtlingsteam aufgelöst, seine Spieler größtenteils auf die beiden anderen Mannschaften verteilt. Logistische und organisatorische Gründe hätten diesen Schritt notwendig gemacht, erklärt der Vereinsvorsitzende Thomas Köpke: "Für drei Mannschaften haben in unserem kleinen Verein die Betreuer gefehlt."

Teamchef Georg Imgraben, der Hauptinitiator des Projekts, zog zum Jahresbeginn für seine Doktorarbeit nach Dresden. "Im Helferkreis Zuflucht Müllheim gab es ansonsten zu wenige Fußballfans", stellt Jasmin Renz fest, die sich als Betreuerin bei den Sportfreunden weiterhin um die etwa drei Dutzend Spieler aus Afrika kümmert. Fünf davon gehören zum festen Kader der ersten Mannschaft, der Rest trainiert vor allem mit der Zweiten, größtenteils unverbindlich. Es sei da nicht leicht, den Überblick zu behalten. "Wir kriegen in der Regel keine Abmeldungen", sagt Köpke. Klar, Pünktlichkeit und Bürokratie seien jetzt nicht so typisch afrikanisch, sagt Renz. "Das korrekte Deutsche trifft auf ihre Lebensweise."

Doch genau an diesem Punkt wird sich wohl der Erfolg der Eingliederung bemessen. Das Team Africa habe im Verein ein Eigenleben geführt, verdeutlicht der Vorsitzende Köpke. "Das ist für mich keine Integration." Als damals schlagartig so viele Gambier auf den Verein zukamen, sei die Gründung einer eigenen Mannschaft der richtige Schritt gewesen. Jetzt aber setze man auf gemischte Teams.

Fußball ist für Flüchtlinge wohl die wichtigste Brücke auf dem Weg zur Integration. 62 Prozent der Sportvereine, die 2016 beim Badischen Sportbund Freiburg (BSB) Fördermittel beantragten, sind Fußballklubs. Über das BSB-Projekt "Sport mit Flüchtlingen" flossen aus Bundesmitteln im vergangenen Jahr 172 000 Euro für 2838 Flüchtlinge in insgesamt 267 Vereine, 174 davon Fußballklubs. Fast ein Viertel aller südbadischen Fußballvereine zapfte damit diesen Topf an.

Vielen Gambiern droht die Abschiebung

"Die Entwicklung im laufenden Jahr ist ungefähr gleich", schätzt der zuständige BSB-Referent Jan Elert. Jeder Verein erhält auf diesem Weg für zwölf Monate zehn Euro pro Monat. "Wir gehen davon aus, dass dieses Projekt bis 2020 weiter genehmigt wird", sagt Elert. Fußballvereine haben zudem die Möglichkeit, durch das DFB-Projekt "2:0 für ein Willkommen" unterstützt zu werden. Die Nachfolgeaktion der Initiative "1:0 für ein Willkommen" will Vereine jedoch nur noch projektbezogen bei Turnieren oder Schulungen finanziell entschädigen.

Verschwindend gering ist der Anteil an weiblichen Flüchtlingen im Fußball-Spielbetrieb. Gerade 19 Fußballerinnen wurden im vergangenen Jahr über das BSB-Projekt gefördert – kaum mehr als ein Prozent aller gemeldeten Spieler. Die Freiburger Initiative "kick for girls" versucht hier, fußballbegeisterten Mädchen den Rücken zu stärken. "Die gehen in die Wohnheime, sprechen mit den Eltern und schaffen es immer wieder, Bedenken auszuräumen", sagt Wagner begeistert.

Wer sich im Sportverein bewegt, sei weniger anfällig für kriminelle Aktionen, ist SBFV-Beauftragter Wagner, im Hauptberuf Polizist, überzeugt: "Da hast du weniger Zeit für Dummheiten." Manchmal drängt sich freilich der Eindruck auf, die Dummheiten stammten eher aus der migrationsfernen Ecke. So beobachtete der Hügelheimer Cheftrainer Jörg Martin in der vergangenen Saison des Öfteren Beleidigungen und aggressive Attacken gegenüber Spielern des Teams Africa: "Es war bewundernswert, dass die Jungs da so ruhig geblieben sind." Dass ein afrikanischer Akteur der zweiten Mannschaft Anfang September auf dem Bad Krozinger Bahnhof von Unbekannten geschlagen und verletzt worden war, machte der Verein auf seiner Facebook-Seite publik – verbunden mit einem klaren Statement gegen Rassismus. Die Bundespolizei ermittelt nun wegen Körperverletzung.

Das größte Problem droht den Flüchtlingskickern freilich durch die mögliche Abschiebung. Asylanträge von Gambiern, die im Südwesten dank eines Verteilungsschlüssels des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge besonders stark vertreten sind, werden fast alle abgelehnt. Viele legen daraufhin anwaltlich Einspruch ein, sodass die Verfahren andauern. "Als Fußballer musst du schon bei einem Profiverein spielen, um hierzubleiben", erklärt Wagner. Laut BSB-Referent Elert soll ein anderer Weg, hierzulande heimisch zu werden, gar nicht so selten sein: "eine Deutsche kennenlernen und heiraten".

Alle Serienbeiträge finden Sie unter: http://mehr.bz/badeninbewegung

Ressort: Fussball

Dossier: Baden in Bewegung

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