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BZ-Serie "Bewegt Euch" (5)

Fußball – einfach und doch komplex

René Kübler
  • Fr, 13. Oktober 2017, 10:46 Uhr
    Liebe & Familie

Fußball kann jeder spielen, immer und überall. Mit Profiträumen sollte allerdings behutsam umgegangen werden.

Gerade bei Kindern unglaublich beliebt: In Deutschland sind knapp 2,2 Millionen Jungen und Mädchen in Fußballvereinen aktiv. Foto: Gudrun Petersen/JOKER
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Wie, wann und wo es genau angefangen hat, weiß niemand so genau. Die einen sagen, in China. Schon im 3. Jahrhundert vor Christus soll es dort ein fußballähnliches Spiel namens Cuju gegeben haben. In Mittelasien war offenbar im 11. Jahrhundert Tepük (übersetzt: Fußtritt) recht populär. Dass England gemeinhin als Mutterland des Fußballs gilt, dürfte damit zu tun haben, dass Studenten der Universität Cambridge 1848 die ersten Fußballregeln zu Papier brachten. Heutzutage gilt Fußball als beliebteste Mannschaftssportart der Welt. Auch oder besser gesagt gerade bei Kindern.

In Deutschland sind laut Mitgliederstatistik des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) knapp 2,2 Millionen Jungen und Mädchen in knapp 95 000 Mannschaften aktiv. Doch auch abseits von Vereinen und Verbänden kommen Heranwachsende kaum an diesem Sport vorbei. "In der Gruppe der 8- bis 14-Jährigen dürften 80 bis 90 Prozent der Kinder und Jugendlichen einmal Bekanntschaft mit Fußball gemacht haben", sagt Martin Jedrusiak-Jung vom Institut für Vermittlungskompetenz in den Sportarten der Deutschen Sporthochschule Köln. Aber warum ausgerechnet Fußball? "Fußball ist in den Abläufen sehr komplex, gibt viel her, ist aber einfach zu spielen", erklärt Jedrusiak-Jung. Man brauche nicht viel, um loslegen zu können. Zwei Leute und ein Ball genügen schon, zur Not tut es auch eine Getränkedose. Dazu kommt ein offenbar natürlicher Antrieb. Häufig ist bei Kleinkindern, die gerade mal gehen können, zu beobachten, dass sie einen Ball eher mit der Fußspitze vor sich her kicken als ihn aufzuheben und zu werfen.


"Der Fußball ist in unserer Kultur ganz anders verankert als Handball oder Basketball." Martin Jedrusiak-Jung
Ist der Fußball also aufgrund seiner natürlichen Schlichtheit zum Massenphänomen geworden?

Nicht nur, betont Martin Jedrusiak-Jung. "So etwas wächst auch mit den Ereignissen. Jede Generation hat doch ihr ganz spezielles Fußballerlebnis – sei es die WM 1954, 1974 oder eben 2014." Dadurch, so der Sportwissenschaftler, habe der Fußball in den Köpfen vieler Menschen – auch jener, die selbst nicht aktiv daran beteiligt sind – eine ganz andere Präsenz als andere Sportarten. Verstärkt werde dieser Effekt über die Medien, in deren Berichterstattung der Fußball eine bedeutende Rolle spiele. "Der Fußball", stellt Jedrusiak-Jung klar, "ist in unserer Kultur ganz anders verankert als beispielsweise Handball oder Basketball." Dadurch entstehe gerade bei Kindern und Jugendlichen eine besondere Identifikation mit diesem Sport. Und die Möglichkeiten, diese Leidenschaft aktiv auszuleben, sind angesichts einer breiten Infrastruktur enorm. "Es ist doch so, dass nahezu jedes Dorf einen Fußballverein hat", sagt Jedrusiak-Jung.

Aber würde er Fußball auch als Sportart für Kinder empfehlen? Diese Frage beantwortet der Experte eindeutig: "Klares Ja!" Jedrusiak-Jung – wenn auch kein Sportmediziner – weiß natürlich um die gesundheitlichen Vorzüge, die der Fußball mit sich bringt. Kraft, Ausdauer, Koordination müssen nicht gezielt trainiert werden. Im Fußballspiel geschieht das von ganz allein. Beim Laufen, Springen, Abstoppen und Schießen werden nicht nur die Beine, sondern der ganze Körper miteinbezogen. Fußball sorgt für eine abwechslungsreiche Beanspruchung der Muskulatur. Hinzu kommen die sozialen Aspekte.

Heraus kommt im Idealfall soziale Kompetenz

Man kann Emotionen ausleben, sich aber gleichzeitig in einem Team aufgehoben fühlen, "muss nicht alles mit sich selbst ausmachen", wie Jedrusiak-Jung es formuliert. Gleichzeitig gehe es darum, Verantwortung zu übernehmen, zu kooperieren und zu kommunizieren. Innerhalb einer Mannschaft müssen sich Kinder mal durchsetzen, aber auch Kompromisse eingehen, mal nachgeben, mal anführen. Nebenbei lernen sie, sich an Regeln zu halten, zu akzeptieren, was Trainer und Schiedsrichter vorgeben. Heraus kommt im Idealfall soziale Kompetenz.

Klingt so, als sei Fußball tatsächlich der perfekte Sport für Kinder. Und doch lauern Gefahren. Gerade die enorme mediale Präsenz, der daraus resultierende Starkult und die surreal wirkenden Summen, die im Profigeschäft mittlerweile kursieren, sind keineswegs nur vorbildhaft. "Jedes Kind hat seine eigene Individualität", sagt Martin Jedrusiak-Jung, der vor negativen Anpassungsvorgängen warnt. Dass ihm dabei der Name Cristiano Ronaldo einfällt, dürfte kein Zufall sein. Kaum ein anderer Fußballstar polarisiert mit seiner Art und seinem Benehmen auf dem Platz so sehr wie der Portugiese von Real Madrid. "Wenn es um die Technik geht, mit der Ronaldo seine Freistöße schießt, ist es okay", findet Jedrusiak-Jung: "Kopieren die Kinder aber sein Gehabe, dann besteht die Gefahr, dass sie als überheblich abgestempelt werden."

Sehnsüchte nach Geld, schönen Häusern, tollen Autos

Und dann sind da noch die Sehnsüchte, die entstehen. Nicht nur bei den Kindern. Viel Geld, schöne Häuser, tolle Autos – ein sorgenfreies Leben eben. Wer Profifußballer wird, hat es geschafft. Doch die meisten vergessen: Von den mehr als vier Millionen erwachsenen Fußballern in Deutschland können geschätzt nur um die 1500 ihren Lebensunterhalt davon bestreiten. Und nicht alle sind am Ende ihrer Laufbahn Millionäre. Vereine wie der SC Freiburg gehen verantwortungsbewusst mit dem Wissen um, dass selbst von ihren hochbegabten Fußballschülern nur den wenigsten der Durchbruch gelingen wird. Ein Schulabschluss oder eine Berufsausbildung sind daher Pflicht.

Doch nicht nur die Vereine sind gefordert. "Die Eltern müssen das steuern", findet Jedrusiak-Jung. Wobei die Erfahrung zeigt, dass nicht selten das Gegenteil der Fall ist. Wer bei Kinderturnieren oder Jugendspielen am Spielfeldrand steht, muss in der Regel nicht lange suchen, um Erziehungsberechtigte auszumachen, die ihrer eigentlichen Rolle nicht gerecht werden. "Das sind dann diejenigen, die teilweise fanatischer sind als ihre Kinder, die in diesen die kommenden Profis sehen und deren Träume mehr leben als die Kinder selbst", beschreibt Jedrusiak-Jung das Problem. Dabei wolle ein Kind in der Regel zunächst einfach nur eins: spielen.

"Doch durch solche Eltern besteht die Gefahr, dass sie aus dem Sport hinausgetrieben werden."

Um dem vorzubeugen, hat der DFB inzwischen die sogenannte Fair-Play-Liga ins Leben gerufen, eine Organisationsform für Jugendspiele, in der nicht nur geregelt ist, dass es keinen Schiedsrichter gibt und die jungen Akteure selbst entscheiden.

Eltern müssen zudem mindestens 15 Meter Abstand zum Spielfeld halten. Womöglich aus Selbstschutz, in erster Linie aber zum Schutz ihrer Kinder. Es wirkt ein bisschen befremdlich, dass solche Regulierungen offenbar notwendig geworden sind. Für Martin Jedrusiak-Jung steht ebenso wie den Freiburger Trainer Christian Streich (siehe unten) trotzdem fest: "Fußball ist ein toller Sport."

Alle Beiträge der Serie finden Sie unter mehr.bz/bewegt-euch

"Fußball ist etwas Außergewöhnliches"

  • von Christian Streich, Trainer des SC Freiburg
"Als ich klein war, gab es neben unserem Haus eine Wiese, das Walzermättle. Dort haben wir uns mit Holz Tore gebaut und jeden Nachmittag gekickt. Drei gegen drei, acht gegen acht – so viele, wie eben da waren. Am liebsten im Matsch. Ich durfte von meiner Mutter aus immer dreckig werden, das war wunderbar. Neben der Wiese gab es einen Wald, in dem wir auf Bäume geklettert sind, wenn wir gerade mal nicht Fußball gespielt haben. Wir hatten einfach jede Menge Spaß, waren abends total kaputt. Noch kurz was gegessen und ab ins Bett. Ich war zufrieden, habe immer super geschlafen, weil ich den ganzen Tag mit meinen Freunden spielen konnte. Bewegung stand im Mittelpunkt unserer Entwicklung als Kind. Nach der Schule nach Hause zu kommen und gleich raus zu dürfen – diese Freiheit war besonders. Die Buben heute kicken auch zusammen. Was es nicht mehr so gibt, sind diese Treffen irgendwo auf einem Platz, ohne dass man sich verabredet. Wir haben nie eine Uhrzeit oder sonst was ausgemacht, wir waren einfach da. Der Schuldruck ist heute ein anderer. Bei uns sind ein paar wenige, die Besten, aufs Gymnasium gegangen, die anderen auf die Haupt- oder Realschule. Heute geht ja gefühlt jeder aufs Gymnasium. Aber nicht jeder ist meiner Meinung nach in diesem Alter dafür geeignet. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass hier in Freiburg Sport für die Kinder, aber auch ihre Eltern von Bedeutung ist. Und Fußball ist ein toller Sport. Koordinativ sehr anspruchsvoll. Was macht man sonst schon mit dem Fuß? Dazu kommt die soziale Komponente, die Gemeinschaft, es gibt klare Regeln. Basketball und Handball sind auch attraktiv. Aber Fußball zu spielen, draußen, auf einer Wiese, das ist in meinen Augen schon etwas Außergewöhnliches."

Ressort: Liebe & Familie

Dossier: Sport für Kinder

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Do, 12. Oktober 2017: PDF-Version herunterladen

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