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Sebastian Ruf über die Schließung der Hauptschule in Oberrotweil

"Ich bin darüber sehr traurig"

  • Moritz Sacherer, Klasse 8g & Hugo-Höfler-Realschule Breisach

  • Do, 13. Juni 2013, 11:03 Uhr
    Schülertexte

Sebastian Ruf, 47, ist Rektor der Wilhelm-Hildenbrand-Schule in Oberrotweil – deren Hauptschule künftig geschlossen wird. Moritz Sacherer sprach mit dem Pädagogen über diese schwerwiegende Entscheidung und die Zukunft.

Nach dem Wegfall der verbindlichen Gru...11; so auch die Schule in Oberrotweil.  | Foto: dpa
Nach dem Wegfall der verbindlichen Grundschulempfehlung haben die Haupt- und Werkrealschulen im Südwesten massiv Neuanmeldungen eingebüßt – so auch die Schule in Oberrotweil. Foto: dpa
Zischup: Was war Ihre erste Reaktion, nachdem Sie erfahren haben, dass die Hauptschule geschlossen wird?
Ruf: Es war schon länger klar, dass sich das Schulsystem in Baden-Württemberg verändern wird. Du kennst unser dreigliedriges Schulsystem: Haupt- bzw. Werkrealschule, Realschule und Gymnasium. In vielen Bundesländern gibt es nur noch zweigliedrige Schulsysteme. Die Namen dafür sind verschieden. Einige sprechen beispielsweise von Sekundarstufe und Gymnasium. Die neue Landesregierung möchte in Baden-Württemberg auch ein zweigliedriges Schulsystem einführen. Alle diese politischen Entwicklungen haben darauf hingedeutet, dass kleine Hauptschulen, wie bei uns, keine Zukunft mehr haben werden. Im Schwarzwald gibt es noch viele solcher gut funktionierenden Schulen. Auch sie werden alle geschlossen.

Zischup: Finden Sie es schade, dass die Wilhelm-Hildenbrand-Schule nun nur noch Grundschule ist?
Ruf: Ich bin darüber sehr traurig. Ich finde es wichtig, dass eine Gemeinde in der Größe von Vogtsburg eine weiterführende Schule hat. Ich möchte dir das kurz erklären: Schülerinnen und Schüler einer weiterführenden Schule wie der Vogtsburger haben ein Alter bis zu 16 Jahren. Du weißt es selbst, dass man sich in diesem Alter auch in Vereinen engagiert, vielleicht bei der Jugendarbeit in der Kirche mitarbeitet, oder sich in der Gemeinde auf andere Weise orientieren und einbringen möchte. Deshalb finde ich dieses Alter so wichtig. Jugendliche brauchen Orientierung und auch Halt. Ich möchte mir nicht einbilden, dass deshalb alle Jugendlichen unsere Schule besuchen müssen, aber ich bin mir sicher, dass es für eine Gemeinde wichtig ist, dass zumindest ein Teil dieser Jugendlichen ihre schulische Heimat im Wohnort hat. Über die Schule wissen sie, wo ihre Wurzeln sind. Die Schule kann die Eingliederung in den Vereinen unterstützen. Die Schule kann auch helfen, Probleme der Jugendlichen zu lösen und manchmal auch Bindeglied sein. Die Schule vor Ort ist oft auch Anlaufstelle für Sorgen und Nöte von Jugendlichen, die inzwischen eine andere Schule außerhalb ihres Heimatortes besuchen. Was ich sagen möchte ist dies: Ich mache mir Sorgen um die weitere Entwicklung einer Gemeinde, in der Jugendliche nicht mehr über die Schule an die Gemeinde gebunden werden. Ich möchte dies mit einem weiteren, aus meiner Sicht sehr wichtigen Argument, belegen: Die Schulabgänger der (ehemaligen) Hauptschule haben zu großen Teilen eine Ausbildung in Vogtsburg begonnen. Durch einen sehr intensiven Kontakt zu vielen Betrieben in Vogtsburg konnten wir dies immer wieder erreichen. Der enge Austausch mit Firmen und die persönliche Begleitung der Jugendlichen auch über die Schulzeit hinaus haben dazu geführt, dass wir zu vielen Firmen ein vertrautes Verhältnis aufbauen konnten. Immer wieder haben sich Betriebe darauf eingelassen, auch etwas schwierigeren Schülerinnen und Schülern die Chance auf eine Ausbildung zu geben. Darüber sind wir sehr dankbar. Für die Jugendlichen selbst hatte das oft zur Folge, dass sie eine Perspektive erhalten haben, die sonst vielleicht nicht zu erreichen war. Die Betriebe waren oft dankbar, dass sie Jugendlichen aus der Gemeinde hatten, weil diese sich auskannten und sich mit der Gemeinde identifizierten. Für die Entwicklung der Gemeinde ist es wichtig, dass Jugendliche hier einen Ausbildungslatz haben, damit sie ihre Wurzeln schlagen und auch für die Vereinsarbeit vor Ort bleiben.

Zischup: Welche positiven Seiten sehen Sie?
Ruf: Wenn wir ab dem nächsten Schuljahr nur noch eine Schule in Vogtsburg haben, dann kann das für die Grundschüler durchaus auch positiv sein. Zum Beispiel das Ganztagesangebot kann nun für alle uneingeschränkt angeboten werden. Auch die Kernzeitbetreuung wird eine neue Prägung bekommen. Die Zusammenarbeit mit den Kindergärten in Vogtsburg wird sicherlich ebenfalls neue Impulse erhalten.

Zischup: Wird Ihnen nach der Schließung etwas fehlen und wenn ja, was?
Ruf: Mir werden die "großen" Schülerinnen und Schüler auf jeden Fall fehlen. Auch die Konflikte mit ihnen. Sie waren oft sehr anstrengend, aber sie machen das Leben interessant.

Zischup: Was passiert mit den Fachräumen wie Werk- und Musikraum bzw. Lehrküche?
Ruf: Wenn wir in Vogtsburg nur noch ein Grundschulgebäude haben und dazu noch ein so hochwertiges, dann werden sich in diesem Haus bestimmt ganz neue Konzepte entwickeln. Die Fachräume gehören da aus meiner Sicht dazu. Wenn ich da vor mich hin phantasiere, ohne mich dabei festzulegen, dann könnte ich mir durchaus vorstellen, dass in unserem MNT-Raum (Physik, Chemie, Biologie) vielleicht ein Experimentierraum für die Grundschulkinder eingerichtet werden könnte. Wenn ich weiter phantasiere, dann kann ich mir gut vorstellen, den Technikraum als Werkraum für Grundschulkinder umzufunktionieren. Vielleicht können die Grundschulkinder in der Schulküche einen Ernährungsführerschein machen. Und der Musikraum wird sowieso jeden Tag von den Grundschülern benutzt. Sie merken, da kann man sehr schnell träumen und neue Ideen entwickeln. Ich möchte mich da aber nicht festlegen. Denn es ist ganz klar, das geht nur gemeinsam mit allen Lehrkräften, die an der Schule unterrichten. Aber auch Ideen der Eltern und vor allem der Schülerinnen und Schüler sind bei solchen Entwicklungen und Veränderungen sehr wichtig.

Zischup: Haben Sie durch die Auflösung der Hauptschule mehr Freizeit als zuvor?
Ruf: Vielleicht kennst du das von deinen Eltern. Oft gibt man ein Amt ab und meint dann, mehr Zeit zu haben. Dann tut sich meist etwas Neues auf. Wenn man sich da wieder reinarbeitet, dann ist die scheinbar "freie" Zeit wieder ausgefüllt. Das ist auch gut so.

Zischup: Bekommen Sie als Rektor ohne Hauptschule weniger Gehalt?
Ruf: Mein Gehalt richtet sich nach den Schülerzahlen. Durch die große Grundschule bin ich da in der gleichen Gehaltsklasse.

Zischup: Gab es auch eine Schüler- oder Eltern-Umfrage zu diesem Thema?
Ruf: Die Auflösung der Hauptschule ist vor allem eine politische Entscheidung. Das Kultusministerium unserer Landesregierung in Stuttgart gibt den Rahmen vor, wie sie sich die "Schullandschaft" vorstellt. Die Gemeinde als Schulträger muss darauf reagieren. Wenn also eine Landesregierung politisch die Weichen so stellt, dass kleine weiterführende Schulen nicht mehr gewollt sind, dann hat eine Gemeinde unserer Größe im Prinzip keine Wahl mehr. So müssen manchmal politische Entscheidungen in Gemeinden getroffen werden, die man so eigentlich gar nicht möchte. Die Vertreter der Eltern, also im Elternbeirat, haben die Gemeinde darin unterstützt, die Hauptschule zum nächsten Schuljahr bei uns in Vogtsburg aufzulösen. Aber nicht, und das ist ganz wichtig, weil sie diese Entscheidung gut finden, sondern weil die Eltern gesehen haben, dass die Landespolitik diese kleinen Schulen nicht mehr haben möchte. Mit den Schülerinnen und Schülern haben wir natürlich auch gesprochen. Die sind sehr traurig. Bei diesen Gesprächen sind auch Tränen geflossen.

Zischup: Gab es noch andere Lösungsvorschläge und wenn ja, welche?
Ruf: Die Sanierungsdiskussion unserer Schule hat 2002 begonnen. Damals gab es das dreigliedrige Schulsystem in Baden-Württemberg. Wir hatten in jedem Jahrgang so viele Kinder, dass aus der damaligen Sicht immer eine Hauptschulklasse zustande kam. Der Bürgermeister mit der Verwaltung der Stadt Vogtsburg und der Gemeinderat haben damals in vielen Gesprächen mit uns als Schule über die Planungen der Sanierung diskutiert. Die ganzen Gründe, die für eine weiterführende Schule in der Gemeinde sprechen – ich habe sie dir ja ausführlich erzählt – haben dazu geführt, dass die Schule so umgebaut wurde, wie wir sie heute haben. Die Gremien haben entschieden: Entweder eine weiterführende Schule mit allen modernen Standards, oder keine. Als sich dann das Schulsystem verändert hat, aber die Schule schon im Umbau war, da haben sich die Gremien wieder überlegen müssen, ob das alles Sinn macht.
Deshalb die Antwort auf die Frage: Ja, es gab auch noch andere Lösungsvorschläge. Wir haben zum Beispiel geprüft, ob wir uns mit einer anderen kleinen Hauptschule zusammenschließen können und dann zu einer Werkrealschule werden können. Aber in unserer geographischen Umgebung ist das nicht möglich. Wir haben auch überlegt, ob wir mit der "Flex-Schule" in Oberrimsingen eine Kooperation eingehen. Wir haben viele Möglichkeiten gesucht, wir waren auch in Stuttgart bei der Landesregierung, aber für Vogtsburg konnte keine Lösung gefunden werden, die die Situation retten konnte.

Zischup: Hätte die Gemeinde nicht schon vor dem Umbau wissen müssen, dass die Hauptschülerzahlen zurückgehen würden?
Ruf: Das ist eine sehr gute und wichtige Frage. Sie wird immer wieder gestellt. Ich habe versucht, dir darauf vorhin schon eine Antwort zu geben. Im Jahr 2002 sah die Welt anders aus. Auch unser Schulsystem und die Bedingungen für den Bestand einer weiterführenden Schule. Mit dem Wissen der damaligen Situation hat sich die Gemeinde für die hochwertige Sanierung entschieden. Dass sich vor allem das Schulsystem so gravierend verändert, das konnte vor zehn Jahren keiner erahnen. Die Schülerzahlen hätten die Schule am Leben erhalten können.

Zischup: Warum hat man keine Gemeinschaftsschule gestaltet?
Ruf: Wir haben heute schon mehrmals über den politischen Willen einer Regierung gesprochen. Ich bin überzeugt, dass ein politischer Wille ist, dass es nur noch an ausgesuchten Standorten weiterführende Schulen geben soll. Gemeinden wie Vogtsburg fallen aus diesem Raster. Deshalb hat man die Bedingungen für die Genehmigung einer Gemeinschaftsschule auch entsprechend formuliert. Man muss beispielsweise nachweisen, dass 40 Kinder pro Jahrgang diese weiterführende Schule besuchen. Das würde für Vogtsburg heißen, dass (fast) alle Kinder eines Jahrganges hier bleiben. Keines, oder nur sehr wenige könnten auf die Realschule oder aufs Gymnasium nach Breisach, sonst würde diese Bedingung schon nicht erfüllt werden. Du kannst dir also selbst eine Antwort auf diese Frage geben.
Bei diesen ganzen Diskussionen darf auch nie vergessen werden: Es geht um Menschen, um Kinder und deren Zukunft. Ich hoffe, dass es uns in Baden-Württemberg immer gelingen wird, dem einzelnen Kind gerecht zu werden. Dass wir es schaffen, das Kind dort abzuholen, wo es steht und dass wir es schaffen, für unsere Kinder eine schulische und berufliche Zukunft zu gestalten.

Ressort: Schülertexte

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