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Ich bin doch beides

  • , Klasse 9d, Kepler-Gymnasium & Freiburg

  • Mo, 21. Dezember 2015, 13:28 Uhr
    Schülertexte

Anna Castro Kösel, Schülerin der Klasse 9d des Kepler-Gymnasiums Freiburg, hat eine brasilianische Mutter und einen deutschen Vater. Sie ist in Deutschland groß geworden, trägt aber trotzdem beide Kulturen in sich.

Ich bin in Karlsruhe geboren. Meine Mutter ist Brasilianerin und mein Vater ist Deutscher. Wo gehöre ich hin? Und was bin ich eigentlich? Manche Menschen denken jetzt wahrscheinlich: Was sind das denn für Fragen! Aber es ist manchmal gar nicht so leicht, Antworten darauf zu bekommen.

Tatsache ist, jedem ist Zugehörigkeit wichtig. Doch was macht Zugehörigkeit aus? Ich fühle mich zugehörig, wenn andere mich verstehen, wenn sie mich mitnehmen, wenn ich ihnen wichtig bin und sie mich mögen. Und zwar so wie ich bin. Und wenn sie mich so behandeln, als sei ich eine von ihnen. Dann fühle ich mich, als würde ich dazugehören.

Und obwohl Brasilien so weit weg ist, ist es mir genauso wichtig dort so dazuzugehören wie ich hier dazugehöre. Ich will zu beiden Ländern gehören. Aber manchmal ist das nicht so einfach. Zum Beispiel, wenn ich einen brasilianischen Witz nicht verstehe oder wenn ich mich mal nicht richtig ausdrücken kann, dann wird mir wieder klar, dass ich eben doch nicht so dazugehöre, wie ich es gerne hätte.

Aber was kann man eigentlich tun, um dazu zu gehören, wenn man Tausende von Meilen von diesem Land entfernt lebt und es nur sehr selten besuchen kann? In der Vergangenheit wusste ich mitunter wirklich nicht, wie ich das anstellen sollte. Ich besorgte mir Grammatikbücher, weil es mich schockierte, dass ich ein paar Zeitformen gar nicht kannte. Ich bestellte mir portugiesische Bücher im Internet und hoffte, dass mein doofes Gefühl, nicht dazu zu gehören, endlich aufhören würde. Und wirklich, langsam hörte ich auf, mir Sorgen darüber zu machen. Denn ich merkte, dass mir das, was ich hatte, niemand wegnehmen kann. Und dass Brasilien immer ein Teil von mir sein würde, egal was passieren oder wie viel Zeit ich hier in Deutschland verbringen würde.

Als ich das bemerkt und begriffen hatte, fiel mir ein Stein vom Herzen. Aber irgendwie fehlte mir doch noch der Beweis dafür, dass ich wirklich das war, was ich sein wollte. Deswegen wollte ich den brasilianischen Pass. Und ich habe ihn bekommen. Irgendwie hilft mir das, denn jetzt habe ich es auch noch schwarz auf weiß.

Bei diesem Stückchen Papier soll es aber natürlich nicht bleiben. Ich will wieder nach Brasilien, in das Haus meiner Großeltern, wo meine Mutter großgeworden ist und wo ich immer wieder mit meinen Onkeln, Tanten, Cousins und Cousinen zusammentreffe. Irgendwann will ich dort einmal leben, um den Alltag kennen zu lernen. Denn bis jetzt war ich immer nur als Besucherin für kurze Zeit dort.

Und dann ist da noch die andere Seite von mir. Deutschland. Hier habe ich mein ganzes Leben lang gelebt. Deshalb stellte ich mir bislang auch noch nie die Frage, ob ich hier tatsächlich auch dazugehöre, weil das einfach von Anfang irgendwie so war. Ich finde, Menschen, die zwei Identitäten in sich tragen, sollten selber entscheiden, wo sie dazu gehören. Niemand kann einem diese Entscheidung abnehmen. Man muss nur dazugehören wollen und dann wird man auch dazugehören.



Ressort: Schülertexte

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 18. Dezember 2015: PDF-Version herunterladen

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