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Zisch trifft Ottmar Hitzfeld

"Ich lebe immer im Jetzt"

  • Aaron Boeddrich

  • Fr, 08. August 2014, 10:20 Uhr
    Neues für Kinder

Der ehemalige Zisch-Reporter Aaron Boeddrich spricht mit Ottmar Hitzfeld über seine unglaubliche Karriere, darüber, was er jetzt vor hat und über aktuelle Themen aus der Welt des Fußballs.

Ottmar Hitzfeld nach dem Spiel seiner ...us der WM trat er als Trainer zurück.   | Foto: dpa
Ottmar Hitzfeld nach dem Spiel seiner Schweizer Mannschaft gegen Argentinien. Nach dem Aussscheiden aus der WM trat er als Trainer zurück. Foto: dpa
Zisch: Wieso haben Sie nach der Weltmeisterschaft 2014 Ihre große Karriere beendet?
Hitzfeld: Den Entschluss habe ich schon nach der Qualifikation gefasst, nach dem letzten Spiel. Ich habe gespürt, dass ich jetzt sechs Jahre lang die Schweizer Nationalmannschaft trainiert habe. Ich habe auch meistens sechs Jahre lang bei einem Verein gearbeitet: Sechs Jahre Bayern, sechs Jahre Dortmund, ein Jahr als Sportdirektor, jetzt wieder sechs Jahre. Ich habe gespürt, dass die Kraft nicht mehr da ist, um in diesem Geschäft mitzuhalten. Ich bin jetzt 65. Man weiß nie, wie alt man wird und deshalb habe ich die Entscheidung gefasst, aufzuhören.

Zisch: Sie haben gerade angesprochen, dass Sie immer sechs Jahre gearbeitet haben. Haben Sie das immer bewusst so gelegt oder war das Zufall?
Hitzfeld: Das hat sich so ergeben. Man unterschreibt ja, wenn man zum Verein oder Verband kommt für zwei Jahre. Das gehörte zu mir. Vielleicht auch zu meiner Mentalität. Man merkt auch, dass man irgendwann keine Kraft mehr hat und deswegen habe ich auch nach sechs Jahren immer Pause gemacht.

Zisch: Haben Sie keine Angst, dass Ihnen langweilig wird?
Hitzfeld: Das ist eine sehr gute Frage. Das bin ich am Erforschen. Aber ich habe trotzdem viele Termine. Zum Beispiel habe bei "Sky Deutschland" einen Vertrag. Ich habe auch Werbepartner, für die ich dann Referate halte. Ich habe genügend Termine.

Zisch: Wie haben Sie sich von der Schweizer Nationalmannschaft verabschiedet?
Hitzfeld: Ja, es war natürlich unglaublich spannend, bei der Weltmeisterschaft dabei gewesen zu sein. Wir waren glücklich, die Gruppenphase überstanden zu haben, das Achtelfinale erreicht zu haben. Gegen Argentinien hab wir uns viel vorgenommen und haben es ja fast geschafft, sie zu schlagen oder ins Elfmeterschießen zu kommen. Und haben dann zwei Minuten gefehlt. In der 118. Minute haben wir das Tor kassiert und danach in der 122. Minute haben wir noch einen Pfostenschuss gehabt. Und das war dann natürlich hart für uns. Und dann war meine Laufbahn beendet. Ich habe mich dann von der Mannschaft und den anderen Trainern und Betreuern verabschiedet, noch eine Rede gehalten und dann war das Abenteuer beendet.

Zisch: War der Abschied von der Nationalmannschaft anders als der bei Bayern oder dem BVB?
Hitzfeld: Ja, wenn man Trainer von Bayern oder Dortmund ist, hat man 50, 60 Spiele im Jahr. Das
ist intensiver. Bei der Nationalmannschaft hat man zehn Spiele und dazwischen immer Pause. Das war also ein anderer Abschied, der auch leichter gefallen ist.

Zisch: Als Abschiedsgeschenk haben Sie von Gökhan Inler eine Einladung nach Lugano bekommen. Weil Sie dort früher spielten?
Hitzfeld: Gökhan Inler hat noch Kontakt mit meiner Frau gehabt und gefragt, was ich eventuell gerne machen würde. Er wollte mir ein Wochenende in einem Hotel bezahlen und dann hat meine Frau das vorgeschlagen, nach Lugano zu reisen. Das war ein tolles Abschiedsgeschenk. Das hat mich sehr gefreut.

Zisch: 2004 hatten Sie die Möglichkeit, Bundestrainer zu werden, haben aber abgelehnt. Warum?
Hitzfeld: 2004 war ich sechs Jahre bei Bayern München, war ausgelaugt, habe einen leichten Burn-
Out gehabt und dann war es richtig für mich, aus gesundheitlichen Gründen eine Pause zu machen. Es ist mir schwer gefallen, aber im Nachhinein war es die richtige Entscheidung.

Zisch: Sie waren erst Trainer beim BVB, dann bei Bayern. Haben Ihnen die BVB-Fans den Wechsel übel genommen haben?
Hitzfeld: Weiß ich nicht. Es gibt immer geteilte Meinungen und Bayern München war natürlich ein Feindbild für Borussia Dortmund. Wenn man Schwarz-Gelb lebt, mag man Bayern München nicht, aber wenn man Trainer ist, dann kann man sich den Verein aussuchen und für einen Trainer ist es immer eine Ehre, ein Angebot von Bayern zu bekommen. Das ist einer der besten Clubs in Europa.

Zisch: Bei der WM 2010 haben Sie den Europameister Spanien 1:0 geschlagen. War das ein besonderer Sieg oder einer, wie jeder andere auch?
Hitzfeld: Es war ein grandioser Sieg, weil man, wie sich später herausgestellt hat, den Weltmeister
geschlagen hat und 2008 war Spanien schon Europameister, oder?

Zisch: Ja, 1:0 gegen Deutschland im Finale.
Hitzfeld: Das war eine besondere Ehre. Spanien hat bis dahin kein Spiel mehr verloren und dann
schlagen wir sie bei einer WM. Bei einer WM gegen Spanien zu gewinnen.Das war ein Highlight in der Nationalmannschaft.

Zisch: Sie waren 31 Jahre Trainer, haben viele Erfahrungen gesammelt. Können Sie davon
eine als beste beziehungsweise als schlechteste hervorheben?
Hitzfeld: Ich lebe immer im Jetzt und man muss immer aus jeder Situation das Beste machen. Man erlebt Dinge, die positiv sind und welche, die einen belasten, aber man muss immer wieder Hindernisse überwinden und das gehört dazu, dass es Rückschläge gibt.

Zisch: Sie haben als Spieler nie ein A-Länderspiel für Deutschland bestritten. Wirkt sich das
auf die Trainerlaufbahn aus?
Hitzfeld: Nein, man muss trennen zwischen Spieler und Trainer. Es gibt viele gute Spieler, die werden nie erfolgreiche Trainer. Es gibt auch viele Trainer, die keine Top-Spieler waren, aber es kann sicher ein Vorteil sein, Nationalspieler gewesen zu sein. Man hat einen besseren Namen, aber nachher ist das nicht mehr interessant.

Zisch: In der "SportBild" haben Sie gesagt, Sie wollten das WM-Finale ganz in Ruhe sehen. Ging das wirklich oder haben Sie für Deutschland mitgefiebert? Vielleicht auch, weil es gegen Argentinien ging?
Hitzfeld: Ich bin Deutscher, ich haben den Deutschen die Daumen gedrückt. Ich habe mit meiner Frau geschaut und konnte es genießen, obwohl es unglaublich spannend war.

Zisch: Sie haben es vorhin angesprochen: Als Sie 0:1 hinten langen, hatte Blemir Dzemailis die
Chance aufs 1:1, hat sie aber nicht nutzen können, Waren Sie in dem Moment sauer auf den Spieler?
Hitzfeld: Nach dem Schlusspfiff war ich stolz auf die Leistung meiner Mannschaft und man darf nie auf einen Spieler sauer sein. Natürlich habe ich gehofft, dass der Ball reingeht, es war eine 100-prozentige Torchance. Aber am Schluss hat die Freude Oberhand behalten.

Zisch: Sie hatten sieben Hemden für sieben mögliche Spiele dabei. Haben Sie damit gerechnet, mit der Schweiz ins Finale zu kommen?
Hitzfeld: (lacht) Man hat immer Träume und man kann sie auch verwirklichen. Ich habe immer
davon geträumt, große Erfolge zu haben und wenn man so große Ziele hat, dann muss man nur den festen Glauben daran haben. Und ich habe auch der Mannschaft vor der WM den Pokal gezeigt und habe gesagt: "Man muss glauben. Das wichtigste ist der Glaube." Und deshalb habe ich auch sieben Hemden mitgenommen. Ich hatte das Finale geplant. Es war nicht realistisch, aber es war ein Traum, den ich hätte verwirklichen können.

Zisch: Bei der WM wurde Messi zum besten Feldspieler gekürt. Eine gerechte Entscheidung?
Hitzfeld: Ich bin ein Messi-Fan, aber bei der WM hat er mir nicht so gut gefallen. Ich hätte Schweinsteiger gewählt, weil er das Sinnbild für eine großartige Leistung der Deutschen Mannschaft war, weil er sich nicht unterkriegen ließ, hat ein klares Ziel vor Augen gehabt, Weltmeister zu werden. Er war der Antreiber der Deutschen Mannschaft. Von daher hätte ich eine andere Wahl getroffen.

Zisch: Können Sie nachvollziehen, dass Philipp Lahm seine Karriere in der Nationalmannschaft beendet hat?
Hitzfeld: Ja, man muss diese Entscheidung respektieren. Ich habe gehofft, dass er weitermacht, er
ist 30, er kann noch zwei, vier Jahre spielen, aber er muss selbst spüren, ob die Belastung vielleicht zu groß ist.

Zisch: Hätten Sie einen Wunschnachfolger für Lahm?
Hitzfeld: Als Kapitän: Bastian Schweinsteiger. Als Rechtsverteidiger ist es schwierig. Das hat man
ja schon gesehen. Da muss Jogi Löw erst einmal testen.

Zisch: Hat man als Trainer eine bestimmte Formation, die man von Verein zu Verein übernimmt?
Hitzfeld: Es gibt Trainer, die haben ihr System. Ich habe immer geschaut, was ich für ein Potenzial
in der Mannschaft habe und danach aufgestellt. In den letzten Jahren bei der Schweiz habe ich mich für das 4-2-3-1 oder das 4-4-2 entschieden.

Zisch: Emotionale Trainer wie Jürgen Klopp oder Christian Streich kriegen oft viel Kritik. Sind solche Emotionen in Ordnung oder gar notwendig?
Hitzfeld: Manche Trainer haben sich nicht so im Griff, versuchen sich an der Seitenlinie abzurea-
gieren. Jeder Trainer muss sich seiner Vorbildsfunktion bewusst sein. Das wirkt sich ja auch auf Amateurtrainer aus, aber ich habe Verständnis. Als junger Trainer war ich auch emotionaler, impulsiver und mit der Zeit wurde ich halt ruhiger.

Zisch: Der VfB Stuttgart möchte laut der "Bild" ein Netzwerk aus allen Trainern und Spielern aufbauen, soll sich auch schon bei Ihnen gemeldet haben. Stimmt das?
Hitzfeld: Ja, ich habe auch schon Kontakt gehabt mit dem VfB, aber ich lebe in Lörrach und ich kann keine Funktion in einem Bundesligaverein übernehmen, der zu weit weg ist von Lörrach. Wenn man bei einem Bundesligisten arbeiten würde, egal welche Position, dann muss man dort auch leben, muss jedes Spiel anschauen und das mach ich nicht. Ich übernehme keine Funktion mehr in einem Verein.

Zisch: Wenn Stars wie Valentin Stocker auf der Bank sitzen, sind sie dann sauer?
Hitzfeld: Bei der Nationalmannschaft habe ich 23 Spieler, ich muss also zwölf Spieler auf die Bank
setzen. Und wenn sie dann nicht spielen, sind sie enttäuscht und teilweise auch sauer, aber
das gehört zum Trainerjob.

Zisch: Real Madrid möchte angeblich noch Monacos Radamel Falcao kaufen, obwohl sie mit Karim Benzema und jetzt James Rodríguez schon zwei Top-Stürmer haben. Keiner von ihnen wird sich freiwillig auf die Bank setzen.
Hitzfeld: Ja, das ist ein großes Problem für den Trainer. Der Präsident sagt: "Ich habe viel
eingekauft!" und rühmt sich und der Trainer muss nachher mit dem Material zu Recht kommen und das ist halt Real Madrid. Die spinnen ab und zu mit ihren Transfers und überziehen und ich hätte kein Verständnis, wenn Falcao auch noch käme. Dass wäre Unsinn.

Ressort: Neues für Kinder

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