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"In den Communitys ist man unter Seinesgleichen"

Stephanie Streif
  • Mo, 23. Januar 2017
    Liebe & Familie

BZ-INTERVIEW Der Psychiater Christian Fleischhaker darüber, wie soziale Netzwerke den Hungerkult unter Jugendlichen fördern.

C. Fleischhaker   | Foto: T. Kunz
C. Fleischhaker Foto: T. Kunz

Zwischen 2011 und 2015 stieg nach Angaben der Barmer GEK die Zahl der an Essstörungen leidenden Menschen um 13 Prozent. Besonders gefährdet sind Mädchen und junge Frauen. Fragt sich, ob viele Essstörungen nicht auch im Internet beginnen, immerhin verbringen Jugendliche dort viel Zeit. Christian Fleischhaker, Leitender Oberarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Freiburger Universitätsklinikums, im Gespräch mit Stephanie Streif.

BZ: Magerfotos, Abnehmwettstreits und Webforen, in denen sich Mädchen gegenseitig zum Dünnerwerden verpflichten – das Netz quillt über von solchen Angeboten. Wie gefährlich sind sie?
Fleischhaker: Kein Mädchen wird magersüchtig, weil es sich im Netz zum Beispiel durch die unter dem Hashtag Thinspiration abgelegten Magerfotos klickt. Aber bei Jugendlichen, für die Abnehmen ein großes Thema ist oder die bereits anorektisch oder bulimisch sind, können diese Fotos sehr wohl ein Verstärker sein. Das Social Web ist voller junger Menschen, die, wie es in der Pubertät häufig vorkommt, mit ihrem Selbstbild hadern und dünner werden wollen. Im Elternhaus oder Freundeskreis eckt man dann vielleicht an, weil man immer weniger wird, in diesen Communitys aber ist man unter Seinesgleichen. Man schickt sich Wiegefotos, postet Körpermaße, veranstaltet Hungerwettbewerbe und gratuliert sich gegenseitig zu jedem Gramm, das man verliert. Vor allem aber fühlt man sich dort verstanden. Die Community ist dann die Peergroup.
BZ: Magermodels und Anorexie gab es auch schon vor der digitalen Revolution. Gibt es dennoch Indizien dafür, dass die Digitalisierung mehr Menschen magersüchtig macht?
Fleischhaker: Es gibt immer mehr Mädchen mit Essstörungen. Magersüchtige werden auch immer jünger. Noch vor zehn Jahren waren präpubertäre Mädchen mit Magersucht die Ausnahme. Pro Jahr gab es bei uns damals vielleicht ein, maximal zwei Mädchen. Heute sind es jährlich drei bis vier Mädchen, darunter war jüngst auch eine Neunjährige. Eine Essstörung hat immer viele Gründe. Die eine Ursache gibt es nicht. Aber, die digitalen Medien machen heute natürlich vieles einfacher. Ein analoges Foto ließ sich früher nicht mit zwei Klicks im Netz streuen.
BZ: Und wie lässt sich gegen die vielen Pro-Ana-Sites und Whatsapp-Gruppen, die das Magersein verherrlichen, antherapieren?
Fleischhaker: Schwierig. Viele Foren sind natürlich geschlossen, in die kommen Eltern und Therapeuten nicht rein. Wir wissen also nicht, was dort im Detail passiert. Das gleiche gilt für Whatsapp-Gruppen. Und natürlich haben wir auch nicht das Recht dazu, das Smartphone unserer Jugendlichen einzuziehen. Darum gehen wir übers Gespräch. Wir treffen Vereinbarungen, wie zum Beispiel, das Smartphone nur für eine begrenzte Zeit zu nutzen. Das funktioniert. Junge Menschen empfinden es auch als wohltuend, mal nicht zu dürfen. Ebenfalls wichtig, die Jugendlichen wieder in Kontakt mit normalen Peers, also Jugendlichen außerhalb ihrer Mager-Communitys, zu bringen. Und Eltern sollten darauf achten, ihren Kindern nicht allzu früh ein Smartphone in die Hand zu drücken. Siebte Klasse ist früh genug.

Ressort: Liebe & Familie

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mo, 23. Januar 2017: PDF-Version herunterladen

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