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Schutzgeist gegen das Virus

Michael Saurer
  • Sa, 13. Juni 2020
    Panorama

In Japan wurde im Zuge der Corona-Pandemie eine alte Legende wiederentdeckt.

Amabie auf einem Bild des japanischen Gesundheitsministeriums  | Foto: Monistry of Public Health
Amabie auf einem Bild des japanischen Gesundheitsministeriums Foto: Monistry of Public Health

FREIBURG. Japans Geister leben in Bäumen, Flüssen und Bergen. Manche sind Helden der Geschichte oder haben einen Migrationshintergrund, stammen aus Indien oder China. Und sie sind ein fester Bestandteil des Glaubens der meisten Japaner. Ein solches Wesen hat es durch die Corona-Pandemie nun zu unerwarteter Beliebtheit gebracht.

Wer glaubt, dass die Religion im hochmodernen Japan keine Rolle mehr spielt, der kennt das Land nicht. In kaum einem anderen Industriestaat sind spirituelle Vorstellungen so mit dem Alltag verwoben. Das liegt zum einen am Buddhismus, der zu Zeiten der Samurai dominierte und vieles geprägt hat, was wir heute mit Japan verbinden: Origami, Garten-Architektur, Kampfsport und Meditation – um nur einige Beispiele zu nennen.

Noch wichtiger sind für die Japaner aber die vielen Götter und Geistwesen, die der Shintoismus mit sich bringt, eine ausschließlich in Japan vorkommende Art der Geisterverehrung. "Kami" nennen die Menschen im Land ihre Götter – und wie viele es gibt, weiß kein Mensch. Jede Region hat ihre eigenen Kami, hinzukommen noch diejenigen, die nur für bestimmte Familien oder ein Dorf eine Bedeutung haben. Aber natürlich gibt es auch Götter, die für alle Japaner wichtig sind. Der Fruchtbarkeitsgott Inari etwa oder die Sonnengöttin Amaterasu, die als Ahnherrin des Kaiserhauses gilt. Hinzu kommen die vielen aus dem Volksglauben stammenden Fabelwesen, die man als Yokai oder Mononoke bezeichnet.

Ein solches Wesen nennt sich Amabie. Ganz grob ausgedrückt, ähnelt sie einer Meerjungfrau. Statt einem Fischschwanz hat sie aber drei Beine. Mitunter wird sie aber auch affenartig dargestellt, mit dichtem Fell und klumpiger Nase. Lange führte Amabie eher ein Nischendasein im reichhaltigen Pantheon der Japaner. "Sie war mir bislang nicht bekannt", sagt der Tübinger Japanologe Klaus Antoni, ein Experte für die spirituellen Vorstellungen im Land.

Doch seit einigen Wochen erfährt Amabie eine unerwartete Aufmerksamkeit – als Schutzgeist gegen die Corona-Pandemie. Um das zu verstehen, muss man eine der Legenden kennen, die sich um das bizarr aussehende Wesen ranken. Demnach ist einem städtischen Beamten im 19. Jahrhundert die Amabie an einem Strand erschienen und hatte eine wichtige Nachricht für ihn. Für die kommenden sechs Jahre, sagte sie voraus, werde es eine reiche Ernte geben. Aber auch eine Seuche könne über das Land hereinbrechen. Sollte es dazu kommen, solle man den Erkrankten ein Bild von ihr zeigen und sie würden geheilt.

Selbst das Ministerium verweist auf Amabie

Eine Geschichte, an die sich viele Menschen im Land zu Beginn der Corona-Pandemie erinnerten. Insbesondere Künstler, Grafiker und Illustratoren, die wegen der Pandemie kaum noch Aufträge aber viel Zeit hatten, fingen an, Bilder der Amabie zu zeichnen und verschickten sie über die Sozialen Netzwerke – als Schutz vor Covid-19. Mit Augenzwinkern aber auch einem gewissen Ernst. In Japan ist es vollkommen üblich, Glücksbringer aller Art, die sogenannten Omamori, mit sich zu tragen. Amabie fügt sich nahtlos in diesen spirituellen Überbau.

Auch Supermärkte gingen dazu über, Bilder der Amabie im Manga-Stil mit großen Glubschaugen aufzuhängen, um auf die Abstandsregeln hinzuweisen. Selbst das japanische Gesundheitsministerium veröffentlichte auf seiner Homepage ein Bild des Mischwesens und der klaren Botschaft: "Stop Covid-19!" Offenbar mit Erfolg. Die Infektionszahlen in Japan sind niedrig und bislang sind nach Zahlen der Johns Hopkins-Universität nur 923 Menschen an der Krankheit gestorben.

Ressort: Panorama

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