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Triathlon

Interview mit Andreas Böcherer und Nils Frommhold

Matthias Kaufhold
  • Mi, 09. September 2015
    Triathlon

BZ-INTERVIEW: Die Freiburger Triathleten Andreas Böcherer und Nils Frommhold über eine Quäl-dich-Nation, ihren Beitrag zum Mythos Ironman und die Dopingfrage.

Wohl bekomm’s. Andreas Böcherer (links) und Nils Frommhold in der unmittelbaren Wettkampfvorbereitung auf den Ironman 2015: Toast Hawaii im Stegener Waldcafé Faller Foto: Matthias Kaufhold/dpa (2)
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TRIATHLON. Leicht irritiert wirkten die Freiburger Andreas Böcherer und Nils Frommhold, als sie für ein Gespräch über den Ironman auf Hawaii ins Stegener Waldcafé Faller geladen wurden. Doch das gastronomische Kleinod am Ende des Attentals bei Freiburg schlägt auf der Speisekarte eine Brücke zwischen deutscher Triathlonherrlichkeit und pazifischem Eisenmann-Mythos: mit dem Toast Hawaii. Beim Essen sprach Matthias Kaufhold mit Böcherer und Frommhold über Ernährungsgewohnheiten von Triathlonprofis, über deren Macken und Markenzeichen, über den legendären Ruf von Hawaii und die Verrufenheit v

on Doping.

BZ: Kann Sie vor dem Ironman am 10. Oktober ein Toast Hawaii auf den Geschmack bringen?

Böcherer: Ja schon.

Frommhold: Klar, mache ich gerne.

BZ: Aha. Für viele Leute sind Triathleten Menschen vom anderen Stern, die nur an Astronautennahrung herumknabbern.

Böcherer: Sicher müssen wir ein bisschen mehr essen als andere Leute. Aber am besten kocht immer noch der eigene Magen. Wenn du auf etwas Bestimmtes Lust hast, dann solltest du das auch essen.

Frommhold: Es kommt auf den Zeitpunkt an. Bei einem Triathlon ernähren wir uns schon speziell: viel Flüssiges, viel Energie, die verdaulich ist und ohne viel zu kauen schnell im Körper ankommt. Es ist aber schwer, beim Thema Ernährung für alle zu sprechen. Beim Triathlon führen viele Wege nach Rom. Es gibt hier alle Typen, von superdünn bis kolossal.

BZ: Es gibt also nicht das Idealbild, wie der perfekte Triathlet aussehen sollte?

Frommhold: Weil die Sportart aus drei Disziplinen besteht, verfolgt jeder seine eigene Taktik. Deshalb sind die Typen so krass verschieden wie vielleicht in keiner anderen Sportart. Wer auf den Marathon setzt, ist ’ne Bohnenstange im Vergleich zu jenem, der mit dicken Beinen die Schwimm-Rad-Performance wählt.

Böcherer: Gerade auf Hawaii hat jeder Typ seine Chance, weil niemand am Morgen des Rennens weiß, wie später die Bedingungen sein werden. Bei totalem Sturm wird der Marathonspezialist vom Rad gepustet. Wenn es aber windstill ist, halten die Läufer auf dem Rad gut mit und hüpfen dann den Jungs mit den dicken Oberschenkeln wie Springmäuse davon.

BZ: Macht diese Unberechenbarkeit den Mythos Hawaii aus?

Frommhold: Da ist natürlich viel mehr. Hawaii ist der Ort, an dem Triathlon vor 37 Jahren geboren wurde. Und dieser Ursprung zählt bis heute. Wer hier gewinnt, geht in die Triathlongeschichte ein. Der Wind, die Hitze, die Lavawüste, kein Schatten, das alles gehört eben dazu.

BZ: Weltweit gibt es 40 Langdistanzwettbewerbe der Marke Ironman, dazu etwa zehn der Konkurrenzserie Challenge. Wird Hawaii immer alles überstrahlen?

Böcherer: Ja. Hawaii wird immer das Nonplusultra bleiben, total speziell, total verrückt. Keine Zuschauer an der Strecke, du bist alleine und kämpfst mit dir und den Bedingungen. Das Rennen trägt so viel Geschichte in sich, das kannst du nirgendwo aus dem Boden stampfen.

BZ: Was wird mehr gefordert, der Körper oder der Geist?

Böcherer: Beides gleichermaßen. Ironman ist wie ein Boxkampf. Es gewinnt derjenige, der am meisten einstecken kann. Manchmal gewinnt einer, der in der Vorbereitung gar nicht so stark wirkte, dann aber im Kopf der Frischeste war.

Frommhold: Auf Hawaii wird alles ein wenig zelebriert. Der Triathlet an sich ist schon verrückt. Und die Verrücktesten davon sind auf Hawaii.

"Ironman ist wie

ein Boxkampf. Es gewinnt

derjenige, der am meisten

einstecken kann."

Andreas Böcherer
BZ: Sind Triathleten tatsächlich verrückter als andere Leistungssportler?

Böcherer: Ein Triathlet macht schon viel am Tag. Ich war mit Moritz Milatz (dem Mountainbiker mit zwei Olympia-Teilnahmen, d. Red.) zwei Wochen im Trainingslager in der Toskana. Und ich bin mehr Rad gefahren als er, obwohl ich nebenher noch schwimmen und laufen war.

Frommhold: Jeder, der in seiner Sportart weit vorne ist, hat eine Stärke, die an Verrücktheit grenzt. Der Triathlet hat das Problem, dass er in drei Sportarten trainieren muss und hier an so vielen Stellschrauben drehen kann, dass allein das schon verrückt ist. Bei uns muss am Ende das Paket stimmen. Doch wie man das schnürt, muss jeder selbst entscheiden.

Böcherer: Im Triathlon bist du eigentlich nie fertig, weil es immer etwas gibt, was noch perfekter laufen könnte. Beim Ironman kannst du diese Perfektion nie erreichen. Selbst wenn du einen Supertag erwischst, musst du irgendwann im Rennen durch ein Tal und aus dem ganz tiefen Dunkel wieder rauskrabbeln. Das verbindet die Profis mit den Triathleten, die in den Altersklassen starten und etwas länger brauchen. Alle erzählen am Ende des Tages die gleichen Geschichten, egal ob sie 8 oder 16 Stunden brauchen.

BZ: Kommen Sie als Triathlonprofi eigentlich gut über die Runden?

Böcherer: Glücklicherweise gibt es bei uns keine Teamstruktur, das heißt: Du sitzt nicht komplett auf dem Trockenen, wenn du aus einem Team rausfliegst wie bei den Mountainbikern. Es gibt vier, fünf Stützen, sodass man es gut verkraften kann, wenn eine wegbrechen sollte.

Frommhold: Es sind Markenhersteller im Bereich Fahrrad, Schwimmanzug, Klamotten oder Brille. Für uns ist es ein Segen, dass es hinter uns eine Breite Masse von Triathleten gibt, die dieses Material erwerben. Darüber hinaus wird’s schwierig. Dafür sind wir trotz Roth, Frankfurt oder Hawaii zu selten im Fernsehen.

BZ: In Deutschland gibt es schätzungsweise 20 echte Triathlonprofis. Davon gelten Vorjahressieger Sebastian Kienle, der Vorjahresdritte Jan Frodeno, Andreas Raelert und Sie beide in Hawaii als heiße Anwärter auf einen Spitzenplatz. Wieso ist Deutschland so stark?

Böcherer: Konkurrenz belebt das Geschäft. Ich kann mich vor der Haustür mit dem Sieger von Roth messen, nur hundert Kilometer weiter wohnt der Sieger von Hawaii. Das spornt an und hilft gegen Bequemlichkeit. Zudem glaube ich, dass die Deutschen Arbeitstiere sind. Und auf der Langdistanz ist es einfach das A und O, dass man schuftet.

Frommhold: Man braucht die breite Masse, um eine gute Spitze zu destillieren. Wir sind in Deutschland gesegnet mit vielen Spitzenveranstaltungen wie in Roth, Frankfurt, Hamburg, Wiesbaden, oder Heilbronn. Das spült immer wieder neue Leute zum Triathlon. Zudem bieten Städte wie Freiburg (seit diesem Jahr Bundesstützpunkt für den Nachwuchs, d. Red.) einen gezielten Aufbau für die Jugend an. Vor 20 Jahren gingen die Pioniere im Training noch auf Entdeckungsreise und probierten alles aus. Vieles ist seitdem perfektioniert worden, deshalb werden die Zeiten auch immer schneller.

BZ: Die Entwicklung ist rasant. Unter den Top 20 der Ironman-Weltbestzeiten stammen nur fünf Zeiten nicht aus den letzten fünf Jahren. Wie ist das zu erklären?

Frommhold: Erstens haben wir aus den Fehlern der Vorgenerationen gelernt, gerade im Trainingsaufbau. Zweitens ist das Material besser geworden. Und drittens sorgt auch die höhere Leistungsdichte an der Spitze für schnellere Zeiten.

Böcherer: Die Trainingseinheiten sind viel effizienter geworden, weniger Umfang, mehr Intensität.

"Doping ist ein Thema,

vor dem man nicht

die Augen verschließen darf."

Nils Frommhold
BZ: Im Radfahren gelten schnelle Zeiten, beispielsweise in der Armstrong-Ära bei der Tour de France, inzwischen als starkes Indiz für Epo-Doping. Wie gehen Sie mit dem Doping-Verdacht um?

Frommhold: Natürlich ist das ein Thema, vor dem man nicht die Augen verschließen darf. Ich kann auch für niemanden meine Hand ins Feuer legen, doch ich sehe, wie weit ich sauber mit meinem Training komme. Deshalb halte ich es für unrealistisch, dass jene, die noch ein bisschen schneller sind, da nachhelfen. Wenn ich wie ein Ochse 100 Stunden pro Woche trainieren würde und eine Stunde Rückstand hätte, würde was falsch laufen.

Böcherer: Auf der Langstrecke siehst du nach jedem Rennen so viele Schrauben, an denen du drehen kannst, bei der Aerodynamik, der Technik, dem Material, dass du nichts aus der Apotheke brauchst. Im Radsport zählt nur der Etappensieg. Bei uns ist auch ein fünfter Platz von Bedeutung. Im Radsport sind viele, die sich früher was eingeschmissen haben, jetzt in der Teambetreuung tätig. Diese verseuchten Strukturen gibt es im Triathlon nicht.

Frommhold: Und wenn man sieht, wie die Community Leute mit schwarzer Vergangenheit behandelt ....

Böcherer: .… die werden nicht mehr integriert. Zum Beispiel bei Michi Weiß ....

BZ: .… dem österreichischen Triathleten, der 2011 wegen Dopings als Mountainbiker zwei Jahre gesperrt wurde ....

Böcherer: Als der im Frühjahr in St. Pölten startete, war es brutal schwer, weil man nicht so recht wusste, wie man mit ihm umgehen soll. Was machst du, wenn der im Rennen auf einmal neben dir auftaucht oder wenn der gar gewinnt und du ihm als Zweiter gratulieren sollst?

BZ: Wie sahen Ihre Kontrollen in den Jahren 2014 und 2015 aus?

Frommhold: Andi und ich gehören zum höchsten Kontrollkader. Wir führen einen Blutpass und müssen stets unseren Aufenthaltsort angeben. Neben den Wettkampfkontrollen werde ich sicher einmal im Monat unangemeldet kontrolliert.

Böcherer: 2014 war ich ziemlich schlecht, dann nehmen irgendwann auch die Kontrollen ab. Es ist somit eine besondere Form der Anerkennung, wenn sie bei dir wieder häufiger klingeln. Ich hatte in diesem Jahr sicher schon zehn Trainingskontrollen, beim Wettkampf wurde fast immer Blut und Urin untersucht.

Frommhold: Triathlon ist sicher eine der Sportarten mit dem dichtesten Kontrollnetz. Doch leider sagt die Zahl der Kontrollen nicht alles, da die Schummler meistens einen Schritt voraus sind.

BZ: Auf Hawaii steht die 8:03 als Bestzeit. Wird der Tag kommen, an dem hier die Acht-Stunden-Marke unterboten wird?

Frommhold: Ganz sicher. Wenn einer von vorne bis hinten mit anderen Konkurrenten Gas geben kann …

Böcherer: Craig Alexander hat bei seinen 8:03 auch Krämpfe bekommen, ist stehen geblieben und musste sich dehnen. Das Fenster für einen Rekord öffnet sich auf Hawaii vielleicht alle zehn Jahre. Wenn dann einer den Tag seines Lebens erwischt – das gäbe ein Donnerwetter, die Triathlonwelt würde beben.



BZ: Bei welcher Leistung steigen Sie nach dem Ironman mit einem zufriedenen Gefühl in den Flieger nach Europa?

Frommhold: Ich will primär die Leistung von meinem sechsten Platz aus dem vergangenen Jahr bestätigen. Ich denke, ich brauche noch zwei, drei Jahre, um vielleicht das Podium anzugreifen.

Böcherer: Für mich ist die Top Ten das Ziel, denn es gibt bis zum zehnten Platz Preisgeld und mediale Aufmerksamkeit. Als Profi gilt die Regel: Wenn du Elfter wirst, hättest du dir besser ein anderes Rennen ausgesucht.

ZUR PERSON: Andreas Böcherer

Siege bei den Mitteldistanz-Triathlons von St. Pölten, Aix-en-Provence und Heilbronn, Platz zwei beim Kraichgau-Triathlon und Rang drei bei der Ironman-EM in Frankfurt – der 32-jährige Freiburger, der verheiratet ist und zwei Töchter hat, erlebt 2015 sein bestes Jahr als Triathlonprofi. In Frankfurt stellte Böcherer auch seine Bestzeit über die Ironman-Distanz auf: 8:03:49 Stunden. Auf Hawaii wird er nun zum fünften Mal starten. Die bisher beste Platzierung des examinierten Mathematikers beim großen Klassiker: Rang acht im Jahr 2011 in einer Zeit von 8:23:19 Stunden.

Nils Frommhold

Bei seinem Sieg in Roth erreichte Frommhold im vergangenen Juli in 7:51:28 Stunden die siebtschnellste Zeit, die jemals auf der Ironman-Distanz (3,86 Kilometer Schwimmen, 180,2 Kilometer Radfahren und 42,195 Kilometer Laufen) zurückgelegt wurde. 2012 zog der gebürtige Berliner wegen der guten Trainingsbedingungen nach Freiburg und verbesserte sich hier über die Langdistanz. Frommhold, der noch nebenher Wirtschaft an der Fernuni in Hagen studiert, gewann 2014 seinen ersten Ironman in Südafrika und wurde im gleichen Jahr bei seinem Hawaii-Debüt Sechster (8:22:29).

Ressort: Triathlon

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