Im kommunistischen Kuba ist der Bau neuer Gotteshäuser verboten, doch die Gläubigen wissen sich in ihrer Not zu helfen.
Der Nachbar hat sich entspannt. Wenn Martha Herra und ihr Mann Rinaldo, wie jeden Freitag, das Sideboard ins Treppenhaus räumen, eine geblümte Häkeldecke über den Fernseher werfen und das Kruzifix zwischen den beiden Fenstern aufhängen, bleibt es im zweiten Stock, eine Etage unter ihnen, ruhig. In den ersten Jahren, als das Ehepaar beschloss, seine Wohnung der katholischen Kirche als provisorisches Gotteshaus zur Verfügung zu stellen, hat der Nachbar noch erbost mit dem Besenstil gegen die Decke gepoltert und das Radio auf höchste Lautstärke gedreht. Nicht etwa, um den Gesang zu übertönen, sondern um die stillen Momente dazwischen, die Predigt oder das Gebet zu stören. Für den Nachbarn, ein überzeugter Kommunist und dekoriertes Mitglied der Castro-Partei, war der Gottesdienst unter dem gemeinsamen Dach eine ständige Provokation. Ausgerechnet in Micro 9, der Vorzeigeplattenbausiedlung am Stadtrand von Santiago de Cuba! Heute grüßen sich die ...