Vier Glocken in Holz gefasst
Der Kirchturm von St. Georg in Bleibach / Dreieck als Grundriss / Stabilität, Ästhetik und Funktionsvielfalt.
Mit dem gotischen Chor aus dem Jahr 1514 und dem modernen Kirchenbau von 1977 bildet er damit eine architektonische Einheit, bei der seine fallenden Linien bis in den steilen Turmhelm übernommen wurden. "Dieser spiegelt so auch die Talflanken im Hintergrund wider und fügt sich ideal in die Landschaft an", beschreibt Architekt Klaus Wehrle seine Konzeption. Zugleich trägt der neue Turm aber auch eine religiöse Symbolik in sich. Denn das gleichseitige Dreieck gilt im christlichen Glauben seit Jahrhunderten als Zeichen für die göttliche Trinität. "Kirche und Turm stehen nun für die Dreifaltigkeit und mit der Zeltform für das pilgernde Gottesvolk in der Zeit", umschrieb dies Pfarrer Rolf Paschke, als das hohe Bauwerk 2020 nach acht Monaten Bauzeit fertig war.
Der Neubau war damals dringend notwendig geworden. Nachdem der alte Turm 1977 abgerissen worden war, war das Geläut provisorisch über dem Chor untergebracht worden. Dessen Gewicht und die Schwingungen hatten das historische Gewölbe angegriffen. Die niedrige Aufhängung der Glocken hemmte die Schallausbreitung, was nun beseitigt ist. Der neue Glockenturm ist in seiner Bausubstanz etwas Besonderes. Seine komplette Konstruktion ist aus Holz.
Der Turmaufbau gliedert sich in drei Teile. In seinem Schaft führen 60 Stufen auf eine Aussichtsebene in 15 Meter Höhe. Darüber befindet sich die sechs Meter hohe Glockenstube; vertikal aufgefächerte Lamellen an der Fassade sorgen dort jetzt für eine gelenkte Ausrichtung des Schalls. Durch die Form des Turms wird auch das natürliche Licht optimal einbezogen. Aufgrund seiner drei Seiten steht meist nur eine Fassade in der Sonne. Damit wird die Tageszeit an der Hülle ablesbar. Und senkrecht eingelassene Belichtungsschlitze sorgen auch für eine gleichmäßige Verbreitung des Lichts im Inneren des Turms. Auf der Plattform lassen sich Wände über Holzschiebeläden öffnen. Für Turmbesucher bieten sich dabei weite Ausblicke in die umliegenden Täler. Im Turmhelm sind auf mehreren Ebenen auch Brut- und Nistplätze für Vögel und heimische Fledermausarten freigehalten. Der Turm erfüllt damit gleich mehrere Funktionen; und er steht auch für nachhaltigen Holzbau. Seine Wände, der Treppenaufgang und die zwölf Zwischenpodeste sind alle aus heimischer Weißtanne gefertigt. Sie wurden mit entsprechenden Kreuzlagentafeln aufgebaut. Das Bauwerk besteht so fast vollständig aus nachwachsendem Material aus der Region.
Innovativ an dem Turm sind seine Fassadenverkleidung und die Dachhaut. Für sie wurde ausschließlich acetyliertes Accoya-Holz verwendet, das sich besonders für den Außenbereich eignet. Dieses kiefernartige Holz, ebenfalls aus nachhaltiger Forstwirtschaft, zeichne sich durch seine natürliche Beschaffenheit aus, verspreche Farbtreue und weise hohe Dauerhaftigkeit und Schädlingsresistenz auf. Architekt Wehrle hält es deshalb für zukunftsträchtig. Aus demselben Material wurden auch die Lamellen und Schiebeläden gefertigt. "Sie treten leicht heraus oder schneiden sich ein, was der Fassade zusätzliche Spannung verleiht", so der Einreichungsbericht zum Preiswettbewerb, "Innovation auch als Beitrag zur Gebäudeästhetik".
Große Handwerkskunst verrät schließlich der Treppenaufgang, ein Werk des Simonswälder Holzbaubetriebs Baumer. "Rohbau war hier gleich Ausbau", sagt Wehrle und verweist auf die dazu nötige Präzisionsarbeit. Auch dafür hat der Turm noch Preise erhalten: 2020 gleich zweimal den Iconic Award für mutige Materialwahl und Formgebung. Und im September in Freiburg den Hugo-Häring-Preis, ausgelobt vom Bund Deutscher Architekten. Auch in einer Ausstellung des Deutschen Architekturmuseums wurde der Turm aus Bleibach als gelungenes Beispiel vorgestellt.
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