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dialɛgd ɪn də kʊnʃd

Sebastian Wolfrum
  • Di, 21. Februar 2017
    Freiburg

Dialekt in der Kunst: Heute ist der Internationale Tag der Muttersprache – Künstler aus dem Landkreis sprechen über ihr Verhältnis zum Alemannischen.

Magdalena Ganter Foto: vfno
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Sprache ist ein komplexes System zum Zweck der Kommunikation – so weit die abstrakte Definition. Sie ist aber viel mehr als das. Sprache und besonders der Dialekt sind auch ein Teil der Heimat, die Identifikation stiften können. Den 21. Februar hat die Unesco zum Internationalen Tag der Muttersprache ausgerufen. Der Tag soll daran erinnern, dass viele Sprachen und damit kulturelle Besonderheiten vom Verschwinden bedroht sind. Sebastian Wolfrum hat mit Mundart-Künstlern aus dem Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald über ihr Verhältnis zum Dialekt gesprochen.

Eine besondere Sprachmelodie

"Mundart hat sehr hohes lyrisches und musikalisches Potential", sagt der Liedermacher und Komponist Uli Führe. Der 59-Jährige hat unter anderem Texte von Johann Peter Hebel neu vertont. Seine Verknüpfung vom Alemannischen mit der Musik funktioniere auch wegen der besonderen Sprachmelodie. "Unser Dialekt ist weicher vom Sound her, es fließt, es gibt mehr Diphthonge. Dadurch haben wir mehr Klangmöglichkeiten. Das gibt es im Hochdeutschen gar nicht", sagt Führe, der in Buchenbach lebt. Er sieht immer wieder, dass Mundart wenig Ansehen in der Kunst genießt. "In unserer Kultur führt das Alemannische ein starkes Schattendasein", sagt er. Politik und Medien würden den Heimatdialekt kaum stützen. "In Bayern ist das anders, da hört man im Radio auch Moderatoren mit Mundartfärbung", sagt Führe. Kunst mit Dialekt fände in Südbaden heute hauptsächlich noch auf Kleinkunstbühnen auf dem Land statt. "Dabei gibt es bei uns richtig tolle Autoren und Lyriker." Er würde sich wünschen, dass die Leute Mut haben, mehr alemannisch im Alltag zu sprechen. Außerdem solle die Mundart im politischen Leben als Kulturbestandteil wahrgenommen werden.

Meisterprüfung für die Sprachlehrerin

Martin Wangler kann inzwischen auch Hochdeutsch. Aufgewachsen ist er in Breitnau, seine Muttersprache ist der Dialekt. "Bis ich mit 21 das Abitur nachgeholt habe, habe ich quasi nur Dialekt gesprochen", sagt er. Als er dann den Entschluss fasste, Schauspieler zu werden, habe er oft gehört: Das schaffst du nie. Wangler packt es, er wird am Mozarteum in Salzburg aufgenommen. Doch für die Bühnen muss der Dialekt weg. Ein hartes Stück Arbeit, nicht nur für den 47-Jährigen selbst. "Meine Sprecherzieherin hat an mir ihre Meisterprüfung gemacht." Später spielt er am Theater in Oldenburg, dann in Ingolstadt, seine Muttersprache legt er ganz ab. Bis er sich eines Tages ganz bewusst zurück besinnt. "Ich habe auf dieses Pferd gesetzt." Denn so viel Special-Interrest es sein mag – es ist auch ein Alleinstellungsmerkmal. Mit dem Dialekt entstand auch seine Figur des Fidelius Waldvogel – "auf Hochdeutsch wäre das nicht lustig", sagt Martin Wangler. Mit seiner Entscheidung für den Dialekt hat er auch die Rolle in der SWR-Serie "Die Fallers" bekommen. "Für meine Kunst ist Dialekt essentiell geworden", sagt er. Badisch und Alemannisch sind für ihn aber nicht nur ein Stilmittel. Sie sind auch ein identitätsstiftendes Merkmal. Dialekt sei zudem sehr emotional. Wenn er mit seinen Kindern auf Hochdeutsch schimpfe, sei noch alles halb so wild. "Erst wenn ich in den Dialekt schwenke, wissen sie, der Papa meint es ernst."

Zeit für einen Imagewechsel

Warum Kathrin Ruesch auf Dialekt schreibt? "Ich setzte mich gerne kreativ mit Sprache auseinander, und da bietet sich der Dialekt hervorragend an", sagt sie. Sie schreibt auch gerne auf Hochdeutsch. Aber das Alemannische sei geprägt von lautmalerischen Begriffen, vielen Wörtern könne man deshalb ihre Bedeutung regelrecht anhören. "Im Dialekt kann ich mich zu bestimmten Themen anders ausdrücken." Das Schreiben sei für sie eigentlich nichts anderes als Puzzeln mit Sprache: Worte sammeln, sortieren und sorgfältig zusammenfügen, bis ein Bild entsteht. "Das entstandene Bild wirkt im Dialekt oftmals stärker, unmittelbarer als in der Standardsprache." Das Gleiche gelte auch für Witze und Anekdoten. "Ich erlebe immer wieder, dass der Dialekt Publikum und Künstler schnell miteinander verbindet", sagt die 22-Jährige aus Buggingen, die in Freiburg lebt. Die gemeinsame sprachliche Basis mit den Zuhörern ermögliche Nähe und wecke viele Emotionen, was mit der Hochsprache nicht so tiefgreifend möglich wäre, glaubt Ruesch. "Ich schreibe und kommuniziere auch gerne auf Hochdeutsch. Im Dialekt kann ich mich zu bestimmten Themen aber anders ausdrücken", sagt Ruesch. Schade findet sie, dass Dialektsprecher häufig einem Bildungsniveau zugeordnet werden. Dabei sei Mundart ein Ausdruck von sprachlicher Vielfalt und Kreativität. "Höchste Zeit für einen Imagewechsel!", sagt sie.

Rebellion und Wiederbesinnung

Magdalena Ganter musste ihren Dialekt erst ablegen, um ihn wiederzuentdecken. Die 30-Jährige aus Hinterzarten lebt seit elf Jahren in Berlin, hat dort an Universität der Künste studiert. In der Zeit hat sie den Dialekt verloren. Ihre Abschlussarbeit war dann eine Art Rebellion und Wiederbesinnung. Sie schrieb ein Ein-Personen-Theaterstück, bei dem sie auf Alemannisch sang. "Ich hatte Lust mich mit altem Liedgut auseinanderzusetzen, und habe dabei gemerkt, dass das für mich eine große Kraftquelle ist." Das setzte sich fort. Mit ihrer Band Mockemalör hat sie ein Elektropop-Album aufgenommen, komplett auf Alemannisch. "Die Auseinandersetzung mit meinen Wurzeln und eigener Identität war ein schöner Prozess", sagt sie. Durch die bewusste Rückbesinnung auf den Heimatdialekt seien kindliche, fast vergessene Seiten zum Schwingen gekommen, ein besonderer Humor zum Beispiel. Das zweite Album der Band ist mit hochdeutschen Texten erschienen. "Mein Freundeskreis hier ist international, so bewege ich mich auch viel in Englisch und ab und an Französisch, was unweigerlich Einfluss auf mein Träumen, Denken und mein Schreiben nimmt", sagt Ganter. Ihre wahre Muttersprache, sagt sie, sei ohnehin die Musik. "Sie ist universell verständlich und kennt keine Grenzen."

Für die regionale Kultur kämpfen

Okay, Franz-Josef Winterhalter ist gar kein Künstler. Aber der 67-Jährige hat dennoch eine ganz besondere Beziehung zum Alemannischen. Seit zehn Jahren ist er der Präsident der Muettersproch-Gsellschaft, dem Verein zum Erhalt der alemannischen Sprache. "Es ist im wahrsten Sinne des Wortes Muttersprache", sagt er. Dabei ist auch bei ihm der Dialekt im Laufe des Lebens beinahe unter die Räder gekommen. Er war bei der Bundeswehr in Bayern, hat in Freiburg studiert, "da ging das zeitweise verloren". Erst in seiner Zeit als Bürgermeister von Oberried hat er gemerkt, dass er sich für die Sprache einsetzen will. Winterhalter hat in der Zeit begonnen, sich um die regionale Kultur zu kümmern, hat unter anderem die alemannische Woche mitbegründet. "Mir wurde bewusst, dass Regionales auf der Ebene vernachlässigt wird", sagt er. Dabei gehe es nicht nur um Sprache, sondern auch um Bauwerke, Bräuche oder Gewohnheiten. Doch Sprache sei etwas unglaublich Wichtiges für die Identität der Menschen. Man müsse dafür kämpfen, um diesen Teil der regionalen Kultur zu erhalten. "Man muss dem Dialekt eine Präsentationsfläche geben. Er wird sonst nicht erhalten bleiben", sagt Winterhalter. Die Muettersproch-Gsellschaft hat 2016 eine Petition gestartet, um mehr Mundart ins öffentlich-rechtliche Radio zu bringen. Auf der Videoplattform Youtube soll außerdem ein eigener alemannischer Kanal aufgebaut werden. Denn ganz so schlecht steht es um die Zukunft des Dialekts nicht. Der Heimatbegriff wandelt sich, ist weniger verstaubt als noch vor Jahren. Viele junge Leute würden wieder Interesse am Dialekt zeigen. "In Zeiten der Globalisierung gibt eine örtliche Verwurzelung Sicherheit und und dazu gehört auch die Sprache", sagt Winterhalter.

Kunst ohne Heimattümelei

Stefan Pflaum ist ein zweisprachiger Autor, er schreibt auf Hochdeutsch und auf Dialekt. Mundart ist für ihn ein sprachliches Ausdrucksmittel, "es hat eine andere Musikalität und Intonation", sagt er. Das erlaubt ihm eine andere Metrik und Rhythmik. "Ich bin ganz nah an der Musik der Sprache", so Pflaum. Er wertet die beiden Sprachen dabei nicht, sowohl mit Mundart als auch mit Hochdeutsch könnten alle Inhalte ausgedrückt werden – doch es bekommt eben einen anderen Ton. "Ein guter Text auf Mundart ist besser, als ein schlechter Text auf Hochdeutsch – und umgekehrt". In Deutschland sei es eher ungewöhnlich, politische oder akademische Themen mit Mundart auszudrücken. Menschen seien oft überrascht, solche Themen auf Mundart präsentiert zu bekommen. "In der Schweiz ist das anders", sagt er. Sein Heimatdialekt ist der aus der Region Lahr, seit 1964 lebt er in und um Freiburg, heute in Schallstadt. Auch wenn mit dem Dialekt oft die einfacheren Themen behandelt würden, "stelle ich hohe Ansprüche an die Sprache". Pflaum will alle Möglichkeiten der Sprache ausschöpfen, das geht für den 73-Jährigen bis hin zu Rap auf Dialekt. Mundart hat für ihn und seine Kunst nichts mit Heimattümelei zu tun. "Heimat ist eine große Welt, die große Welt ist eine Heimat."

Gegensätze prallen aufeinander

Nikolaus König ist einer der beiden "Buure zum Aalange". Gemeinsam mit seinem Bühnenpartner Wolfgang Winterhalder bearbeitet er eine breite Mischung an Themen – vom Dorfgeschehen bis zur bis Weltpolitik. Dabei leben ihre Kabarett-Auftritte auch von dem Gegensatz zwischen der Figur des Feriengasts aus Hannover und dem Hochschwarzwälder Landwirt. "Wir lassen das bewusst aufeinanderprallen", sagt der 47-Jährige, der im Hauptberuf einen Hof in Breitnau bewirtschaftet. Die beiden verkörpern die Menschen von hier. Was aber hier den Erfolg ausmacht, kann anderswo begrenzen. Die Buure haben auch Auftritte in der Schweiz, Österreich, der Pfalz oder in Bayern. Andernorts werden sie nicht gebucht – dort würde man sie nicht verstehen. Das Alemannische ist für König ein Teil seiner Heimat, Bodenhaftung und das Wissen, wo man herkommt, sind ihm wichtig. Dialekt sei ein Bekenntnis zu seiner Heimat, dürfe aber keine Abgrenzung sein. Weltoffenheit ist eines der Themen, die König auf der Bühne behandelt. Und es ist eines, dass er leben will. Er bietet Führungen für Urlauber aus aller Welt an. Mit den Menschen aus Israel, der Türkei oder Japan spricht er dann Englisch. "Darüber steht noch eine ganz andere Sprache: Die heißt freundlich sein und aufeinander zugehen. Da können wir alle noch viel lernen."

In der Onlineversion dieses Artikels finden Sie Videos mit Kostproben der Künstler: mehr.bz/kunstundmundart

Ressort: Freiburg

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Di, 21. Februar 2017: PDF-Version herunterladen

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