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Lebenslang für Staatsfolter

  • dpa

  • Fr, 14. Januar 2022
    Deutschland

Urteil im weltweit ersten Strafprozess um Verbrechen in Syrien vor Koblenzer Oberlandesgericht.

Die Syrerin Fadwa Mahmoud kommt aus de...n des Assad-Regimes verschwunden sind.  | Foto: Thomas Frey (dpa)
Die Syrerin Fadwa Mahmoud kommt aus dem Gebäude des Koblenzer Gerichts und hält ein Bild ihres Partners und ihres Sohnes in den Händen, die beide seit 2012 in Gefängnissen des Assad-Regimes verschwunden sind. Foto: Thomas Frey (dpa)

Das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz hat ein vielbeachtetes Urteil um Staatsfolter in Syrien gesprochen. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass der 58-jährige Anwar R. als Vernehmungschef in einem Gefängnis in der Hauptstadt Damaskus für die Folterung von mindestens 4000 Menschen sowie den Tod von 27 Menschen verantwortlich war. Das Gericht verurteilte ihn zu lebenslanger Haft. Es war laut Bundesanwaltschaft der weltweit erste Strafprozess um Staatsfolter in dem Bürgerkriegsland. Die Verteidigung kündigte Revision an.

Das Gericht befand den Angeklagten wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit für schuldig. Diese seien in Form von Tötung, Folter, schwerwiegender Freiheitsberaubung sowie Vergewaltigung in Tateinheit unter anderem mit Mord in 27 Fällen geschehen. Die rund 4000 Gefolterten seien im Zeitraum von Ende April 2011 bis Anfang September 2012 in dem einer Vernehmungsunterabteilung des Syrischen Allgemeinen Geheimdienstes in Damaskus angeschlossenen Gefängnisses inhaftiert gewesen. Sie seien mit Schlägen, Kabeln, Stöcken, Tritten und Elektroschocks gefoltert worden. Um Gefangene zu erniedrigen, sei auch sexualisierte Gewalt eingesetzt worden.

27 Inhaftierte seien in dem Zeitraum an den Folgen von Folter, anderen Misshandlungen und den Haftbedingungen gestorben. Anwar R. habe die Abläufe in dem Gefängnis überwacht und maßgeblich bestimmt, so das Gericht. Er habe die Taten zwar nicht persönlich ausgeführt, ihm seien sie aber aufgrund "seiner Entscheidungs- beziehungsweise Befehlsgewalt" zuzurechnen. Daher sei er als Mittäter verurteilt worden.

Die Vorsitzende Richterin Anne Kerber sagte, der Angeklagte habe sich als ein "zuverlässiger, intellektueller und leistungsstarker Technokrat" erwiesen bei seiner Arbeit im Geheimdienst. Er habe von den Folterungen und Todesfällen gewusst. Er habe sich entschieden, das Regime zu unterstützen in dem Bürgerkrieg, auch wegen der sozialen und wirtschaftlichen Aufstiegschancen für ihn.

Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, begrüßte den "historischen Schuldspruch". Sie forderte andere Staaten auf, Ermittlungen und die strafrechtliche Verfolgung gravierender Menschenrechtsverletzungen voranzutreiben. Der Prozess in Koblenz habe den Fokus wieder darauf gelenkt, wie brutal die Menschenrechte in Syrien über mehr als ein Jahrzehnt hinweg verletzt worden seien. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sieht das Urteil als "Pionierarbeit" und hofft ebenfalls auf Gerichte in anderen Staaten.

Der im April 2020 begonnene Koblenzer Prozess endete am 108. Verhandlungstag. Das Verfahren mit mehr als 80 Zeugen sowie einer Reihe von Folteropfern als Nebenkläger hatte auch international Aufsehen erregt. Der Angeklagte hatte sich als unschuldig bezeichnet, seine Verteidigung auf Freispruch plädiert.

Nun will Anwalt Yorck Fratzky in Revision beim Bundesgerichtshof gehen, wie er ankündigte. Anwar R. sei stellvertretend für das Regime verurteilt worden. "Die Verteidigung hat diese persönliche Schuld nicht gesehen." Anwar R. wurde nach seiner Flucht nach Deutschland von Folteropfern erkannt und 2019 in Berlin festgenommen.

Ressort: Deutschland

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