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Mehr, als das Leben ihr zu geben vermag

  • Gerhard Midding

  • Do, 02. März 2017
    Kino

ROMANVERFILMUNG: Nicole Garcias "Die Frau im Mond" nach Milena Agus ist ein Melodram von Sehnsucht und Begehren.

Aufruhr der Gefühle: Marion Cotillard als Gabrielle  | Foto: Studiocanal
Aufruhr der Gefühle: Marion Cotillard als Gabrielle Foto: Studiocanal
Immer wieder richtet sich der Blick der Kamera auf halb offene Türen. Was sie durch den Spalt erspäht, entzieht sich zunächst dem Begreifen. Am Scheitelpunkt des Films entsteht ein Spannungsmoment aus der Frage, wer die Tür zu der Wohnung öffnen wird, an die zuvor unzählige vergebliche Liebesbriefe geschickt wurden. Die Antwort könnte über das Schicksal von Gabrielle (Marion Cotillard) entscheiden. Ein unstillbares Begehren hat sie hierhin geführt. Sie will mehr vom Leben, als es ihr bisher geben konnte.

"Die Frau im Mond" gehört zu jener Art von Melodram, in der Heldinnen noch Anstoß erregten, weil sie festhalten an Träumen, die in ihrer engen, rustikalen Welt keinen Widerhall finden. Regisseurin Nicole Garcia und ihr bewährter Koautor Jacques Fieschi haben die Handlung, die in der Romanvorlage von Milena Agus auf Sardinien spielt, in der Provence der 50er Jahre verwurzelt. Sitte und Tradition fordern, dass die unangepasste Gabrielle domestiziert wird. Der spanische Saisonarbeiter José (Alex Brendemühl), der vor dem Franco-Regime geflohen ist, wäre eine geeignete Partie. Die Eheschließung ist ein brüsk geschlossener Handel. Gabrielle hätte die Chance, sich zu widersetzen. Nun stellt sie Regeln für das Zweckbündnis auf. Es dauert nicht lange, bis die Ehegatten den Schwur brechen, nie miteinander zu schlafen. Fast kommen sie sich dadurch nahe.

Gabrielles Nierenleiden – die "Steinkrankheit", der der Film seinen Originaltitel verdankt –, verhindert eine Schwangerschaft. Bei einer Kur in den Alpen verliebt sie sich in den Offizier André (Louis Garrel), dessen Lebensmut in Indochina erloschen ist – und erlebt ihre glücklichste Zeit. Sie bekommt einen Sohn, der vielleicht das Musiktalent des Kriegsheimkehrers geerbt hat. Die Briefe, die sie nach ihrer Heimkehr an den Geliebten schreibt, bleiben ohne Antwort.

Die Komplizenschaft, die zwischen Eheleuten entstehen kann, in deren Verbindung die Liebe eigentlich keine Rolle spielen sollte, ist dem Film teuer. Diskret knüpft er Bindeglieder. Es bedarf indes einiger Volten, bis sie einander wirklich kennenlernen. Cotillard spielt Gabrielle mit aufgeklärter Ergriffenheit. Aber die kleine, stille Sensation des Films ist ihr Partner. Brendemühl spielt José, dem seine Frau nichts vorzuwerfen hat und dessen Geduldsfaden nur einmal reißt, als stolzen, verschwiegenen Ruhepol. Selten nur gibt sein Antlitz eine hellsichtige Wehmut preis. Er spricht mit gepresster Stimme. Aber jedes Wort lässt erahnen, wie unermesslich reich das Innenleben dieses Mannes ist, der alles dafür geben würde, dass seine Frau den Aufruhr ihrer Gefühle überlebt.

"Die Frau im Mond" (Regie: Nicole Garcia) läuft in Freiburg. (Ab 6)

Ressort: Kino

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Do, 02. März 2017: PDF-Version herunterladen

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