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Meine Tracht wird deine Tracht

  • Mo, 09. Mai 2016
    St. Peter

In St. Petermer Trachtenfundus im Rathaus gibt es seit acht Jahren traditionelle Kleidung zum Ausleihen – und auch zum Kaufen.

Margarete Schwär passt eine typische weiße Schürze an. Foto: Alexandra Wehrle
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ST. PETER. "Ich hab’ eine grüne, eine blaue und eine schwarze", zählt Margarete Schwär ihren Besitz an St. Petermer Trachten auf. Die 66-Jährige ist gelernte Trachtenschneiderin und betreut mit Corinna Schuler den Trachtenfundus im Obergeschoss des Rathauses. Gerade passt sie der dreijährigen Mathilda ein Trachtenkleidchen an. Die BZ durfte den Damen über die Schultern schauen.

Während Margarete Schwär fürs Anpassen zuständig ist, sucht Corinna Schuler Bluse, Kleid, Schürzen, Strumpfhosen, Schuhe und Kränze zusammen, die der Kleinen passen könnten. Zuvor hat schon die fünfjährige Miriam ihre geliehene Tracht gegen eine größere aus dem Fundus getauscht, und die dreijährige Schwester Hanna hat ihre erste bekommen.

Anita Wehrle steht noch im Hintergrund und wartet, bis sie gebraucht wird. Sie kümmert sich um den kronenartigen Kopfschmuck, nämlich Schäppel und Kränze, die im Umlauf sind. Ein Schäppel besteht aus einem Drahtgerüst, an dem rund 3000 Pailletten, Perlen, Knöpfe, Spiegelchen und Sternchen befestigt sind. Gut 60 Stunden dauere die Herstellung, erklärt Wehrle. Neue werden aber kaum noch nachgefragt. Bunte Verzierung an den Haaren sowie zwei lange, bunt bestickte Bänder, die in die Zöpfe eingeflochten sind und bis an den Rocksaum reichen, gehören auch dazu. Die Kränze schmücken unzähligen Glasperlen, Stoff- oder Wachsblümchen, Gazerosetten und Pailletten. "Die Kränzchen sind bequemer als die Schäppel", weiß Wehrle aus eigener Erfahrung. Sie ist 72 Jahre alt. In ihrer Jugend war das Tragen von Trachten ganz normal.

Margarete Schwär hat Mathilda inzwischen eine Schürze umgebunden, die noch gekürzt werden muss. Sorgfältig steckt sie mit Nadeln die richtige Länge ab. Die Kleine steht still und betrachtet sich stolz im großen Spiegel. Mädchentrachten würden häufiger ausgeliehen als Bubentrachten, erzählt Corinna Schuler.

Der Großteil an Trachten, die der Fundus beherbergt, sind für Frauen. Dicht an dicht hängen sie, nach Farben sortiert, in den Schränken. "Wir müssen dringend ausmisten", sagt Schwär lachend. Immer wieder kommen Leute zum Fundus, um ihre Trachten zu verleihen oder zu verkaufen. Das ein oder andere Stück bleibt jedoch für immer im Schrank. Weil insgesamt weniger Tracht getragen wird und weil die älteren Trachten den heutigen Trägerinnen und Trägern nicht mehr passen, wie Schwär erklärt. Früher waren die Menschen kleiner, zudem trug man die Röcke kürzer als heute. Aufgrund der vielen Schwangerschaften waren außerdem kürzere Mieder üblich. "Heute schafft man mehr auf Figur", erklärt Schwär.

Die Grundform der Mädchen- und Frauentracht besteht aus einem einfarbigen Rock mit angenähtem Mieder, einer Schürze, einer weißen Bluse mit Puffärmeln, Strümpfen, schwarzen geschlossenen Schuhen, einer Jacke und einer Kopfbedeckung. Während Schürzen und Strümpfe bei den jungen Mädchen weiß sind, tragen die Frauen die Schürzen mit Blumenstickereien in unterschiedlichen Farben und die Strümpfe in Schwarz.

Die Kopfbedeckung variiert je nach Alter und Familienstand der Mädchen und Frauen sowie je nach Anlass, an dem die Tracht getragen wird. Schäppel und Kränze sind Mädchen und jungen Frauen in der Zeit zwischen Erstkommunion und Hochzeit vorbehalten. Nicht mehr ganz so junge Frauen tragen Strohhüte mit weißem Rand, die mit schwarzen Bändern und roten Blüten verziert sind.

Vor Festen ist die Nachfrage im Trachtenfundus groß

Im Trauerfall werden schwarze Hüte getragen. Verheiratete Frauen tragen zudem die Kappe, auch Backenhaube oder Haube genannt. Sie wird mit zwei schwarzen Bändern unter dem Kinn zusammengebunden. Zwei weitere Bänder sind hinten angebracht und reichen bis zum Rocksaum. Wichtiges Merkmal der Trachten sind Goldstickereien und der Stehkragen aus weißer Spitze. Bei der Buben- und Männertracht gehören schwarze lange Hosen, ein weißes langärmliges Hemd, Hosenträger und eine weinrote Weste mit Goldknöpfen, die manchmal auch mit Blüten verziert ist, schwarze Schuhe und Strümpfe dazu. Ein mit Goldstickereien verziertes Krawättchen, eine schwarze Jacke, auf der das Wappen von St. Peter eingestickt ist, und ein schwarzer Hut runden das Bild ab. Varianten davon sind nur bei der Trachtengruppe und der Trachtenkapelle zu sehen.

Ins Leben gerufen wurde der Trachtenfundus vor acht Jahren vom damaligen Bürgermeister Gottfried Rohrer, kurz vor Ende seiner Amtszeit. Er hat auch eine Broschüre über die St. Petermer Tracht herausgegeben. Inzwischen ist der Fundus innerhalb des Rathauses umgezogen und hat etwas mehr Platz als zu Beginn. Rund 80 Frauen-, 15 Männer-, 20 Mädchen- und zehn Bubentrachten beherbergt der Fundus derzeit. Die ältesten dürften um die 80 Jahre alt sein.

Besonders nachgefragt werden Trachten für Kinder vor dem Weißen Sonntag oder wenn die Kindertrachtentanzgruppe wieder neue Mitglieder aufnimmt. Auch in der Zeit vor dem Dorffest, an dem das Patrozinium gefeiert wird, steigt die Nachfrage.

Das diesjährige Dorffest ist am 26. Juni – die Vorbereitungen laufen offenbar schon. Heute jedenfalls ist ein Kommen und Gehen, Corinna Schuler ist überrascht. "Wir sind auch schon zwei Stunden dagesessen und niemand ist gekommen." Genutzt wird der Fundus vor allem von Einheimischen, aber nicht nur. Kerstin Kälble, Mathildas Mutter, ist froh, hierherkommen zu können: "Ich find’ das toll. Die Kinder wachsen so schnell, gerade in dem Alter." Da kann man nicht jedes Mal eine neue Tracht anfertigen lassen. Sofern sie passen, haben ältere, gebrauchte Trachten auch für Erwachsene ihren Reiz: So zartfließende Stoffe wie früher gibt es heute nicht mehr.

Mehr Bilder gibt es unter http://mehr.bz/trachten

Ressort: St. Peter

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mo, 09. Mai 2016: PDF-Version herunterladen

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