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Menschliches Versagen mit katastrophalen Folgen

Patrick Guyton
  • Mi, 17. Februar 2016
    Deutschland

Nach dem Zugunglück von Bad Aibling ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen den Fahrdienstleiter wegen fahrlässiger Tötung / Er hat ein Signal falsch gestellt.

Hilfskräfte suchen  am Unglücksort nach Opfern.   | Foto: DPA
Hilfskräfte suchen am Unglücksort nach Opfern. Foto: DPA
Die Vermutung ist jetzt zur Gewissheit geworden: Der zuständige Fahrdienstleiter hat das Zugunglück in Bad Aibling verursacht, weil er einen Fehler bei der Signalgebung machte. Deshalb prallten am Faschingsdienstag in Oberbayern zwei Regionalzüge auf einer eingleisigen Strecke frontal und bei Tempo 100 aufeinander, wie die Ermittlungsbehörden am Dienstag bekannt gaben. Nach neuesten Angaben von Robert Kopp, dem Polizeipräsidenten von Oberbayern-Süd, wurden 24 Menschen schwer und weitere 61 leicht verletzt. Elf Menschen starben.

"Sein Verhalten ist nicht mit dem Regelrecht in Einklang zu bringen", sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Wolfgang Giese auf einer Pressekonferenz über den Fahrdienstleiter. "Hätte er sich regelrecht verhalten, dann wäre es nicht zu dem Zusammenstoß gekommen." Es gehe um "menschliches Verhalten mit katastrophalen Folgen". Technische Fehler konnten keine entdeckt werden.

Nachdem sich der Fahrdienstleiter sechs Tage lang auf sein Recht berufen hatte, die Aussage zu verweigern, ließ er sich am Montag in Anwesenheit seines Anwalts mehrere Stunden lang vernehmen. Demnach hat der Mann für die Strecke "ein Sondersignal gegeben, das nicht hätte gegeben werden dürfen", wie der Oberstaatsanwalt Jürgen Branz sagte, der die Sonderkommission leitet. Die Ermittler halten sich aber weiterhin noch ziemlich bedeckt, denn ihre Arbeit ist noch nicht beendet. Gegen den Fahrdienstleiter ist ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung. Darauf steht ein Strafmaß von bis zu fünf Jahren Haft.

Nach Angaben von Branz ist der Mann 39 Jahre alt, verheiratet und gilt als erfahren in seinem Beruf. 1997 hatte er seine Ausbildung abgeschlossen und mit der regulären Arbeit begonnen. Er ist bei der Deutschen Bahn beschäftigt, die den Streckenablauf organisiert. Die Unfallzüge hingegen wurden von der privaten "Bayerischen Oberlandbahn" (BOB) betrieben.

Der Beschuldigte sei derzeit nicht in Haft. Dies sei bei dem Vorwurf der fahrlässigen Tötung nicht üblich, sagte die Staatsanwaltschaft. Aus Sicherheitsgründen befindet er sich an einem Ort, der der Öffentlichkeit nicht bekannt ist. Anwalt, Polizei und Staatsanwaltschaft haben aber jederzeit die Möglichkeit, mit dem Mann in Kontakt zu treten. "Es geht ihm nicht gut", so Jürgen Branz. Ob der Mann suizidgefährdet ist, darüber werden keine Auskünfte gegeben. Die Angaben des Fahrdienstleiters müssen nun vor allem mit anderen Zeitangaben abgeglichen werden, die sich etwa in den Blackboxes finden oder bei Telefonverbindungen.

Bisher stellt sich der Verlauf des Unglücks folgendermaßen dar: Der Zug, der morgens gegen 6.45 Uhr von Rosenheim kam, hatte grünes Licht und durfte auf der einspurigen Strecke fahren. Der entgegenkommende Zug von Holzkirchen hatte einige Minuten Verspätung. Er hätte am Bahnhof Bad Aibling oder an der nächsten Station, dem Kurpark Bad Aibling, halten müssen. Denn dort gibt es zwei Gleise. Der Zug erhielt aber ein Sondersignal, das "ZS1" genannt wird: ein rotes Licht mit drei weißen Punkten darunter. Dies bedeutet, dass der Zug fahren darf. Offenbar hatte der Fahrdienstleiter seinen Fehler noch bemerkt und an beide Züge einen Notruf abgesetzt. "Aber das ging ins Leere", so Branz. "Hat der Mann gestanden?", wird er gefragt. Dieser meint nur: "Das war meine letzte Frage an ihn, dann haben wir die Vernehmung abgebrochen." Die Staatsanwaltschaft geht nicht von einer vorsätzlichen Tötung aus. Der Mann habe das Unglück nicht bewusst auslösen wollen. Zudem hatte er keinerlei Alkohol im Blut und auch keine anderen Substanzen wie Drogen.

Bad Aibling, dieses hübsche Städtchen in der Nähe von Rosenheim, steht noch immer unter Schock. Am Eingang des Rathauses liegt ein Kondolenzbuch aus, daneben ein Strauß weißer Rosen und eine brennende Kerze mit einer schwarzen Schleife. Eine Frau schreibt in das Buch: "Auch wenn wir Euch nicht mehr sehen – Ihr seid weiter unter uns." Ein anonymer Schreiber hinterlässt die Worte: "Es tut so weh."

Laut Polizeipräsident Kopp hat das Team aus 45 Ermittlern bis zu 16 Stunden täglich gearbeitet. "Die Bilder in den Köpfen meiner Kolleginnen und Kollegen sind nur schwer zu verkraften", sagt er. Die Getöteten mussten identifiziert, die Verletzten vernommen werden. Zehn Mitarbeiter betreuen die Angehörigen der Opfer. 1200 Telefonanrufe von besorgten Bürgern wurden angenommen. Die Ermittler arbeiten zusammen mit Experten vom Eisenbahnbundesamt und der Eisenbahnuntersuchungszentrale des Bundes.

Wann die Strecke wieder für den Zugverkehr geöffnet wird, ist offen. In der kommenden Woche soll das Unfallgeschehen auf den Gleisen nachgestellt werden, um zusätzliche Erkenntnisse zu erhalten. Die Staatsanwaltschaft wird dann entscheiden, ob sie Anklage erhebt.

Ressort: Deutschland

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mi, 17. Februar 2016: PDF-Version herunterladen

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