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Fußball-WM

Mesut Özil: "Wir haben noch Luft nach oben"

René Kübler
  • Mo, 30. Juni 2014, 13:31 Uhr
    Fußball-WM

Der Countdown läuft. Die Anspannung steigt. Vor dem Achtelfinalspiel spricht Mesut Özil über Beleidigungen, hängende Schultern, den Gegner Algerien, abgereiste Freunde sowie über den Spaß am Fußball im BZ-Interview.

Volle Kraft voraus im Spiel gegen Alge...deutsche Mittelfeldspieler Mesut Özil   | Foto: dpa
Volle Kraft voraus im Spiel gegen Algerien: der deutsche Mittelfeldspieler Mesut Özil Foto: dpa
Mesut Özil zählt zweifellos zu den talentiertesten deutschen Fußballern. An guten Tagen verzaubert der 25-Jährige die Fans, an schlechten Tagen wird er so hart kritisiert wie kaum ein anderer Nationalspieler. Im Interview mit René Kübler spricht Özil über Beleidigungen, hängende Schultern, dem deutschen WM-Gegner Algerien, abgereiste Freunde sowie über den Spaß am Fußball, den er sich auf keinen Fall nehmen lassen will.

BZ: Herr Özil, Deutschland steht im WM-Achtelfinale – trotz Hitze, Schwüle und unangenehmen Gegnern. Wie schwierig war es, da hin zu kommen?
Özil: Dass es nicht einfach war, sieht man an anderen Teams. Wenn ich dran denke, wie viele meiner Freunde schon wieder daheim sind: Ramos, Ronaldo, Casillas, Pepe, Coentrao, Oxfort-Chamberlain, Wilshere, Xabi Alonso – das hätte ich nicht erwartet. Es ist schwierig hier zu spielen – aber es macht Spaß. Es ist eine Klasse-WM.

BZ: Hat die deutsche Mannschaft aus Ihrer Sicht so gespielt, dass Sie Ihr großes Ziel, Weltmeister zu werden, erreichen kann?
Özil: Wir wissen alle, dass wir noch Luft nach oben haben. Aber eine WM wird nicht in den ersten zwei Wochen entschieden. Wir haben eine gute Basis – und darauf bauen wir auf.

BZ: Wie schätzen Sie den nächsten Gegner Algerien ein?
Özil: Wer im Achtelfinale einer WM spielt, hat seine Fähigkeiten. Gegen solche euphorischen Mannschaften zu spielen, ist nicht einfach. Aber wir werden wieder alle notwendigen Informationen bekommen von unseren Trainern.

BZ: Sie selbst wollen – wie zu lesen war – Weltfußballer und Weltmeister werden. Große Ziele. Welches ist denn schwieriger zu erreichen?
Özil: Beides ist gleich schwierig zu erreichen. Ich habe schon als Kind davon geträumt. Es gibt so viele Spieler, die ebenfalls der Beste sein wollen. Oder Weltmeister. Eine europäische Mannschaft hat noch nie den Titel in Südamerika gewonnen.
Sollte uns das jetzt gelingen, wären wir Legenden – zumindest ein wenig. Natürlich braucht man auf diesem Niveau etwas Glück. Ein kleiner Fehler – und das Turnier ist für dich vorbei. 2010 waren wir jung und wild, niemand hat etwas von uns erwartet. Das ist jetzt anders. Trotzdem ist klar: Wir wollen Weltmeister werden.

BZ: Es ist mutig, solche Zielsetzungen zu formulieren. Aber auch gewagt. Im Misserfolgsfall fällt es auf Sie zurück.
Özil: Wenn man bei Real Madrid oder Arsenal gespielt hat und viele Jahre im Geschäft ist, dann ist das nicht gewagt. Ich weiß was ich kann und habe große Erwartungen an mich selbst. Sich große Ziele zu stecken, spornt mich eher an. Ob positive oder negative Presse – ich mache mein Ding.

BZ: Sie wurden von den Fans zweimal zum Nationalspieler des Jahres gewählt, 20 Millionen Menschen folgen Ihnen auf Facebook – Sie gehören in diesem Netzwerk damit zu den zehn beliebtesten Menschen weltweit. Andererseits werden Sie oft hart kritisiert, im Stadion manchmal sogar ausgepfiffen. Wie erklären Sie sich diese Extreme?
Özil: Ich weiß es nicht. Aber es begleitet mich von Anfang an. Ich wurde immer skeptisch betrachtet. Aber wenn ich meine Karriere sehe und meine Erfolge, kann es so schlecht nicht gewesen sein.

BZ: Fühlten Sie sich gerade in den vergangenen Monaten insgesamt zu hart kritisiert?
Özil: Manche Kritiken sind echt beleidigend. Aber es gibt viele Meinungen, der Fußball lebt ja auch von solchen Dingen. Ich selbst war mit meinen Leistungen ebenfalls nicht immer zufrieden. Ich kann mehr – und das weiß ich. Aber ich bin auch nur ein Mensch.

BZ: Ihr Wechsel von Real zu Arsenal erregte viel Aufsehen.
Özil: Alles ging sehr, sehr schnell. So ist das eben im Fußball. Ich fühlte mich in Madrid nicht mehr richtig geschätzt, obwohl ich eine erfolgreiche Zeit dort hatte. Ich war immerhin der beste Vorbereiter der Liga.

BZ: Und dann, so hieß es, sind Sie geflohen. Der Vorwurf lautete: Der will sich nicht durchsetzen müssen, scheut den Konkurrenzkampf.
Özil (lacht): Bei einer Flucht zahlt keiner 50 Millionen. Wenn du, wie ich, als Talent zu Real Madrid wechselst und dort ein Weltklassespieler wie Kaka auf deiner Position spielt, den du dann verdrängst – dann kann ich über Themen wie Flucht so oder so nur lachen. Ich habe vor niemandem Angst. Für mich zählt das Vertrauen des Trainers. Bei Jose Mourinho war das vorhanden. Ich habe heute noch guten Kontakt zu ihm. Später, als Mourinho weg war, ging das Vertrauen verloren. Deswegen der Wechsel.

BZ: Und wie sieht es mit dem Vertrauen des Bundestrainers aus?
Özil: Ähnlich. Wir sprechen oft – auch während der Saison.

BZ: Kürzlich hat Joachim Löw Ihre Körpersprache kritisiert. Er meinte vermutlich die Gesten der Enttäuschung, die hängenden Schultern. Hat Löw damit Recht?
Özil: Auf jeden Fall. So etwas von ihm sehe ich ja auch nicht als Kritik, sondern als Hilfe. Während des Spiels ist mir manchmal nicht bewusst, wie ich wirke. Hinterher schon. Aber ich bin ein Perfektionist und ärgere mich eben, wenn ein Pass misslingt, ich kein Tor mache oder ein Spiel verliere. Das muss ich abschalten, mich konzentrieren, mir sagen: Komm, mach weiter. Das Spiel geht ja bekanntlich 90 Minuten. Aber ich bin ja auch fast immer sofort wieder engagiert.

BZ: Kann Ihnen bei diesem Problem jemand helfen, vielleicht der Teampsychologe?
Özil: Nein, das muss ich schon mit mir selbst ausmachen. Ich arbeite daran. Aber manchmal denke ich auch: Wenn ich beim Rauslaufen nach einer Auswechslung lache, ist es doch viel schlimmer. Es geht doch nicht nur um mich, um Körpersprache und sonst was. Es geht um Fußball und darum, wie ich der Mannschaft am besten helfen kann.

BZ: Auf welcher Position können Sie der Mannschaft denn aus Ihrer Sicht am besten helfen?
Özil: Ich kann auf vielen Offensivpositionen spielen. Am wohlsten fühle ich mich allerdings auf der Position in der Mitte hinter den Spitzen.

BZ: Bei der WM sind Sie aber nicht der typische Spielmacher, sondern Teil einer flexiblen Offensivreihe. Wie finden Sie das?
Özil: Der Trainer hat so entschieden, weil er die Mannschaft als Ganzes sieht. Da geht es nicht um Özil, sondern um die Nationalmannschaft. Mannschaftssport ist kein Wunschkonzert.

BZ: Die deutsche Mannschaft kann in Brasilien nicht so spielen, wie sie es in den vergangenen Monaten und Jahren getan hat? Zumindest in der Vorrunde ließen das die klimatischen Bedingungen nicht zu.
Özil: Nicht nur wir, sondern alle Nationen müssen darauf achten. 90 Minuten auf ganz hohem Niveau zu spielen, das ist hier nicht möglich. Jeder Gegner will Deutschland schlagen. Alle geben gegen uns ’tausend Prozent’. Trotzdem ist es schwierig, gegen uns zu gewinnen. Wir sind topfit.

BZ: Fühlen Sie sich selbst auch so?
Özil: Natürlich. Wichtig ist für mich aber noch etwas anderes: Man darf den Spaß am Fußball nicht verlieren. Wenn ich den Ball sehe, spüre ich Freude. Ich muss sofort hin und mit ihm spielen. So war ich schon als kleines Kind, so werde ich immer sein.

BZ: Aber Profifußball ist nicht immer nur Spaß – es gehört auch harte Arbeit dazu, besonders im Training.
Özil: Ich weiß. Am liebsten würde ich direkt mit einem Spiel elf gegen elf anfangen. Aber man braucht nun mal Ausdauer. Deswegen muss auch ich immer wieder da durch.

BZ: Sie haben in den vergangenen Jahren körperlich durchaus zugelegt.
Özil: Ja, allerdings will ich nicht so eine Kante werden. Dann wäre ich unbeweglich.

BZ: Also achten Sie auch auf Ihre Ernährung.
Özil: Ja, darauf achte ich. Anders geht es nicht mehr. Aber ich gönne mir schon noch was. Im Urlaub und in der Freizeit trinke ich nicht nur Wasser und esse Salat oder Gemüse. Ab und zu greife ich dann auch mal nach einer Cola oder einem Döner Kebab.
Mesut Özil

Der Sohn türkischer Eltern ist in Gelsenkirchen geboren. Mit der Volljährigkeit legte Özil die türkische Staatsbürgerschaft ab, um in Deutschland eingebürgert werden zu können. Seine Karriere begann der begnadete Techniker beim FC Schalke 04. Der Durchbruch als Profi gelang ihm aber bei Werder Bremen. Im Februar 2009 bestritt der U-21-Europameister sein erstes A-Länderspiel (0:1 gegen Norwegen). Nach der WM 2010 wechselte er zu Real Madrid. In Spanien wurde der zurückhaltende Özil Meister, Pokalsieger und Supercupsieger. Im September 2012 heuerte er beim FC Arsenal London an. Die Ablösesumme von 50 Millionen Euro machte ihn zum teuersten Verkauf von Real und zum teuersten Einkauf von Arsenal.

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