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"Mir war das sehr unheimlich"

  • Fr, 19. Dezember 2014
    Schülertexte

ZISCHUP-INTERVIEW mit Marion Räuber über ihr erstes und wahrscheinlich auch aufregendstes Telefonat ihres Lebens.

So sahen Telefone früher aus: mit Ries...er, Wählscheibe und gekringeltem Kabel  | Foto: dpa
So sahen Telefone früher aus: mit Riesenhörer, Wählscheibe und gekringeltem Kabel Foto: dpa

Für die fünfköpfige Familie von Leonie Räuber, Schülerin der Klasse 8b der Friedrich-Ebert-Schule in Schopfheim, ist es ganz normal, immer und überall ein Telefon zur Hand zu haben. Ihre Familie benutzt insgesamt fünf Telefone. Mit Ausnahme ihres kleinen Bruders haben alle Handys. Und dann gibt es noch das Festnetz. Ständig erreichbar zu sein ist für Leonie Räuber ganz normal. Im Gespräch mit ihrer Mutter Marion Räuber erfährt sie, dass Telefonieren früher nicht unbedingt selbstverständlich war.

Zischup: Wann hast du das erste Mal telefoniert?
Räuber: Das war mit sechs Jahren, also 1972, da war ich in der ersten Klasse. Es gab nur wenige Familien mit einem Telefon. Meine Eltern hatten damals kein Telefon. Meine Tante, die im selben Haus wohnte, hatte aber eines. Sie war querschnittgelähmt und saß im Rollstuhl. Für sie war ihr Telefon das Tor zur Außenwelt. Wir wohnten in einem Dorf, meine Tante war die meiste Zeit zu Hause. Durch das Telefon hatte sie oft mit ihren Freundinnen Kontakt, viele davon waren auch körperbehindert und eingeschränkt in ihrer Bewegungsfreiheit.
Zischup: Mit wem hast Du damals telefoniert?
Räuber: Das weiß ich noch ganz genau: Mit meiner Freundin Brigitte, sie war eine der wenigen von meiner Klasse, die ein Telefon zuhause hatten.
Zischup: Kannst du dich an Details des Gesprächs erinnern?
Räuber: Ganz ehrlich, mir war das sehr unheimlich. Die ganze Zeit habe ich überlegt, wie Brigitte aus dem kleinen Apparat sprechen konnte. Wurde sie geschrumpft oder da reingesteckt? Unvorstellbar heute, aber so ahnungslos war ich damals. Für euch jungen Leute ist das selbstverständlich. Aber um auf deine Frage zurückzukommen: Wir haben uns zum Spielen verabredet.
Zischup: Wie sah das Telefon aus?
Räuber: Das war richtig schwer mit einem gekringelten Kabel. Knallorange war es und hatte einen Riesenhörer und eine Wählscheibe. So etwas wie Tastentelefone oder schnurlose Telefone gab es damals noch nicht. Man hatte ein Modell in drei Farben zur Auswahl: orange, grau und grün.
Zischup: Warum hatten deine Eltern kein Telefon?
Räuber: Das war damals relativ teuer, und die Telefonleitungen führten nicht zu jedem Haus. Es mussten Leitungen gelegt werden. Außerdem sahen es meine Eltern nicht als besonders notwendig an. Wir wohnten auf dem Land, es gab vier Läden in unserem Dorf. Dort traf man sich und konnte über das Notwendige reden. Heute gibt es übrigens keines der Geschäfte mehr.
Zischup: Und wann hat sich deine Familie ein Telefon angeschafft?
Räuber: Das war zum Ende meiner Grundschulzeit. Mein Vater hat in einer großen Firma gearbeitet, bei Degussa. Dort musste er auch Bereitschaftsdienste übernehmen. Darum kam das Telefon auch in unser Haus.
Zischup: Was findest du besser: Handys und Smartphones heute oder das Telefon von damals?
Räuber: Spontan würde ich sagen: mein Handy. Es ist schon toll, was ein Handy alles kann, denk nur einmal an die schönen Bilder, die du uns von deinem Schullandheimaufenthalt auf Langeoog direkt geschickt hast. Das fand ich toll, ich hab gleich gesehen, was Du erlebt hast und ich wusste, dass es Dir gut geht. Am Handy schätze ich auch sehr, dass ich jederzeit Hilfe holen kann, außer wenn ich in einem Funkloch sitze. Als Kind war ich mal mit meiner kleinen Schwester mit dem Fahrrad auf dem Heimweg. Sie stürzte und blieb bewusstlos liegen. Ich musste an drei Häusern klingeln, bis endlich jemand einen Telefonanschluss hatte und den Rettungswagen rufen konnte. Heute hätte ich mein Handy dabei. Deine Tante hatte übrigens eine Schädelfraktur. Andererseits telefoniere ich immer noch am liebsten am Festnetzanschluss. Die Nummer gebe ich immer als Kontakt an. Ich mag es nicht in der Öffentlichkeit zu telefonieren. Im Supermarkt am Handy kommt für mich nicht in Frage. Meine Handynummer haben nur sehr wenige Leute und somit führe ich 90 Prozent meiner Gespräche immer noch am Festnetz. Früher waren die Telefonnummern übrigens sehr kurz: drei oder vier Zahlen. Die konnte man sich super merken. Meine Handynummer kann ich heute noch nicht auswendig.

Ressort: Schülertexte

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 19. Dezember 2014: PDF-Version herunterladen

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