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Zwischenbilanz

Mordprozess Neuenburg: Täter waren schneller als die Polizei

Peter Sliwka

Von

Mi, 24. Juni 2015 um 00:00 Uhr

Südwest

Seit April wird die Bluttat verhandelt, ein Ende ist nicht in Sicht: Im Neuenburger Rachemordprozess stellt sich heraus, dass die Polizei Morddrohungen des angeklagten Vaters wohl nicht ernst nahm.

Der Tatort bei Neuenburg am Tag danach   | Foto: Patrick Seeger (dpa)
Der Tatort bei Neuenburg am Tag danach Foto: Patrick Seeger (dpa)
Gut ein Jahr ist es her, da man auf dem Pendlerparkplatz an der A 5 bei Neuenburg einen 27-Jährigen fand – erstochen. Einer der Täter hatte ihn im Verdacht, seine Schwester vergewaltigt zu haben. Die Polizei wusste von dem Verdacht, doch andere waren schneller.

Zu Beginn jeden Verhandlungstages umarmen sich Vater und Sohn, sobald ihnen die Handschellen abgenommen werden. Der 17-Jährige ist schmal, hat Ringe unter den Augen. Der Vater (48) wirkt verschlossen. Seinen Anwalt hat er sagen lassen, dass er nicht, wie es die Anklage darstellt, der Vater sei, der seinen Sohn losschickte, um Rache zu üben. Er billige die Tötung nicht, habe nichts mit ihr zu tun.

Vater, Sohn und dessen 21-jähriger Freund sind des gemeinsam begangenen Mordes angeklagt. Einem 19-Jährigen wird Körperverletzung mit Todesfolge vorgeworfen. Er hatte den Kontakt zu dem Opfer hergestellt. Ruhig und mit großem Einfühlungsvermögen leitet Stefan Bürgelin als Vorsitzender der Jugendkammer die Verhandlung. Er vermeidet jegliche Schärfe und reagiert gelassen auf die Anträge der Verteidiger.

Festgenommen worden waren die Männer schon kurz nach dem blutigen Geschehen am 18. Juni 2014. Anfangs, auf der Straße, war der 17-Jährige noch ruhig. Auf der Fahrt zum Revier sprudelte es aus ihm heraus: "Ich hab ihn abgestochen. Es hat gutgetan, auf ihn einzustechen, es hat Spaß gemacht. Hoffentlich stirbt er." Der Polizist an seiner Seite herrschte ihn mehrfach an, endlich den Mund zu halten. Als er ihm später die Nachricht vom Tod des Opfers in die Zelle brachte – so der 53 Jahre alte Beamte in seiner Zeugenaussage –, habe der junge Mann wahrscheinlich erst kapiert, dass ein Mensch gestorben ist: "Wie ein Kartenhaus ist er in sich zusammengefallen. Er war geschockt. Mein Eindruck ist, dass er nicht mit dem Tod gerechnet hat." In seinen Vernehmungen hatte der 17-Jährige gesagt, dass er den Vergewaltiger seiner Schwester nur finden und zur Rede stellen wollte. Er sprach von Abreibung, Denkzettel und davon, dass er ihn "bei der Polizei über den Zaun werfen wollte". Er erinnerte sich, im Gerangel dreimal zugestochen zu haben und wirkte erstaunt, als er hörte, dass es 23 Stiche waren.

Er machte mit der Hand eine kopfabschneidende Geste

 Rückblende: Die Szenen auf dem Revier in Müllheim vom Abend des 12. Juni 2014 haben sich der Psychologin eingebrannt. In Rufbereitschaft, war sie von der Polizei gebeten worden, einer jungen Frau beizustehen, die vergewaltigt worden sei – von jemandem, den sie kannte, weil er mit ihr an derselben Schule war. Die junge Frau war verletzt und brach während der Befragung zusammen. Sie musste in eine Klinik gebracht werden.

Sechs Tage später, am 18. Juni liegt bei Neuenburg auf dem Pendlerparkplatz ein Leichnam. Der nackte Oberkörper ist blutverschmiert und von Stichwunden übersät. Es ist der mutmaßliche Vergewaltiger, 27 Jahre alt. Hatte der Vater der jungen Frau seine Drohungen wahr gemacht? Er soll am 12. Juni gesagt haben, dass er tätig werden werde, wenn die Polizei den Vergewaltiger seiner Tochter nicht schnell genug fasse.

Damals waren er und seine Frau auf dem Polizeirevier über den Zustand der Tochter zunächst nur besorgt. Dann kochten die Emotionen hoch, die die Psychologin hautnah mitbekam. Der Vater sagte, er werde denjenigen umbringen, der seiner Tochter das angetan habe. Er stamme aus dem Libanon, dort sei das Sitte. Und er machte, so hat es die Psychologin vor Augen, eine kopfabschneidende Geste.

Die Psychologin nahm das ernst. Sie hat noch den harten Blick des Vaters in Erinnerung. Sie forderte die Polizisten damals auf, mit den Eltern eine sogenannte Gefährderansprache zu machen. Das Resultat: Einer der Polizisten sagte beim Vorübergehen den Eltern auf der Treppe, sie sollten vernünftig bleiben. Tags darauf, die junge Frau hatte die Polizei zum Ort der Vergewaltigung geführt, wo sie auch ihren vermissten Ohrring fand, holte sie der Vater ab. Laut und vernehmlich sagte er, seine Tochter in den Arm nehmend: "Wir regeln das." Für die Psychologin war das eine Fortsetzung der Drohungen. Ein Kripobeamter, erinnert sie sich, habe gesagt, der Polizei seien die Hände gebunden, solange nur gedroht werde. Der Beamte streitet ab, das gesagt zu haben.

Der Plan des Gerichts, am 17. Juli die Urteile zu verkünden, ist geplatzt. 177 Zeugen wurden während der Ermittlungen vernommen. Einige von ihnen sollen noch geladen werden. Erst dann können Gutachten zur Schuldfähigkeit des 17- und des 21-Jährigen erstellt werden. Über eine Besichtigung des Tatorts ist noch nicht entschieden. Weitere sechs Verhandlungstage wird es bis zum 20. Oktober geben. Die Maxime des Vorsitzenden: "Wir werden alles tun, um diesen Fall so gut wie möglich aufzuklären."

Ressort: Südwest

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