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Musicals sind voll im Kommen - und sie sprechen Jugendliche an

  • Mo, 29. Januar 2001
    Zisch

In Skaterhosen und mit hochgegelten Haaren kommen viele junge Zuschauer in die Musical-Theater - wie zum Beispiel nach Stuttgart zum "Tanz der Vampire".

Man kann in der Stadt hingucken, wohin man will: unter Garantie springt einem zu jeder Zeit ein Werbeplakat für irgendein Musical ins Auge: "Chicago", "She loves you", "Die Schöne und das Biest" . . . Sind das nun alles abgelutschte Unterhaltungsstückchen - und sind die nur für alte Leute bestimmt? "Quatsch, Musicals sind voll im Kommen, das spricht Jugendliche an", erwidert in Stuttgart eine begeisterte - nun ja, man muss sie so nennen - Vampirbraut.

Schaut euch doch mal um: lauter junge Leute hier!

Diese Vampirbraut wartet zwischen vielen anderen Besuchern gespannt vor verschlossenen Türen. Hinter denen tauchen wenige Minuten später noch viel mehr Gestalten der Nacht auf - nämlich auf der Musical-Bühne. Im Foyer stehen einstweilen noch diverse Grüppchen um die wenigen Tische gedrängt, um noch in letzter Minute einen Drink mit dem sinnigen Namen "Vampirblut" zu kippen. Doch kaum einer hat sich so in Schale geworfen wie unsere Vampirbraut: schwarzer Umhang und Vampirzähne - da steckt ein echter Vampirfan dahinter. Nein, sie sei nicht zum ersten Mal hier in Stuttgart beim Musical "Tanz der Vampire", sagt Christiane Kästner (18) aus Pforzheim.

Als die Türen endlich aufgehen, fällt der Blick sofort auf den schwarzen Bühnenvorhang, auf den ein blutiges Vampirgebiss projiziert ist. Während die ersten schon ihre Sitzplätze gefunden haben und das Geschehen im Orchestergraben beobachten, stolpern die anderen noch aufgeregt in den Saal. Erst als wie aus der Ferne eine Kirchenglocke ertönt, legt sich die Unruhe und der Lärm. Das Publikum ist mucksmäuschenstill und ein erster Gruselschauer breitet sich aus. Die Spannung steigt, als das Schlagen der Glocke erstirbt. Sogar der eigene Atem klingt in dieser plötzlichen Stille wie Lärm. Auf den Rücken der Zuschauer macht sich Gänsehaut breit. Der Tanz der Vampire beginnt. Die wuchtige Ouvertüre, der fetzige Gesang und die vulgären Sprüche lassen einem das Blut in den Adern gefrieren. "Dieses Grabschen und sein Glotzen, als er lebte, war er zum Kotzen", schallt es von der Bühne. "Geschmackssache", meint Margarethe Schmidt (56) aus Bottrop, "aber zweifellos passend zum Thema". Die Kosmetikerin ist davon überzeugt, dass diese Art von Musical den Geschmacksnerv der Jugendlichen trifft. "Alles hier, die ganze Aufmachung, die Kulissen, das ist absolut beeindruckend."

Und was meint die jüngere Generation? In der Pause steht abseits vom Gedränge einer, den man ohne weiteres als typischen Vertreter dieser Generation bezeichnen kann: Hochgegelte Haare, schlabbrige Skaterhose, Zigarette zwischen den Fingern, lässiger Blick. In seinem Kopf scheint Platz für alles zu sein, nur nicht für Musicals und sonstige (Mainstream-)Kultur.

Doch der Eindruck täuscht. "Schaut euch doch mal um - lauter junge Leute hier", sagt Markus Allamodes. Auch der 17-Jährige ist nicht zum ersten Mal im Musical. Für ihn sind diese Besuche nichts weiteres als eine weitere Spielart seiner Freizeitaktivitäten. "Der Tanz der Vampire hält gut mit", sagt er salopp. So einseitig scheinen die Interessen "der" Jugendlichen nicht zu sein, kein Grund also sie als Kulturbanausen abzustempeln. Und wer sich bislang von nichts und niemandem davon überzeugen lassen wollte, dass Musicals nicht nur etwas für Alte sind, für den sind die "Vampire" genau der richtige Einstieg, um auf den Geschmack zu kommen.

Stephanie Bretag, Christiane Oehler

Die Vampire tanzen derzeit in der Musical Hall im Stuttgarter SI-Centrum. Infos und Kartenservice unter http://www.tanz-der-vampire.de

Ressort: Zisch

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mo, 29. Januar 2001: PDF-Version herunterladen

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