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EM-Qualifikation

Nationalelf-Analyse: Souverän vorn, anfällig hinten

René Kübler
  • Mi, 09. September 2015, 00:00 Uhr
    Nationalelf

Siege gegen Polen und in Schottland – die deutsche Fußball-Nationalmannschaft kann für die EM in Frankreich planen. Gute Offensivaktionen, anfälliges Defensivverhalten: eine Analyse.

Lacht sich wieder mal eins:  Thomas Müller (Mitte).  | Foto: dpa
Lacht sich wieder mal eins: Thomas Müller (Mitte). Foto: dpa
Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ist aus dem Gröbsten raus. Nach den beiden Siegen gegen Polen (3:1) und in Schottland (3:2) dürfte die EM-Qualifikation nur noch Formsache sein. Auffällig war in beiden Partien der deutschen Auswahl in der Gruppe D die Diskrepanz zwischen guten Offensivaktionen und anfälligem Defensivverhalten. Eine Analyse.

Der Anspruch

Die deutsche Mannschaft hat die Messlatte durch den Gewinn des WM-Titels 2014 in Brasilien hochgelegt. Die Erwartungshaltung an einen Weltmeister ist groß. Dass Leistungsträger wie Kapitän Philipp Lahm und Angreifer Miroslav Klose ihre Auswahl-Karriere beendet haben, mildert den Druck nicht. "Es wird so hingestellt, als wäre es immer einfach für uns, zu gewinnen", sagte nach dem Schottland-Spiel ein leicht verärgerter Mats Hummels. Dass dem nicht so ist, zeigte sich in den Monaten nach der Weltmeisterschaft deutlich. Und auch jetzt, da eine Leistungssteigerung unübersehbar war, hatte die deutsche Elf in ihren Begegnungen schwierige Phasen zu überstehen.

Die Stärken

Gegen die Polen und auch in Schottland zeigte die deutsche Offensive immer wieder, dass sie zu Außergewöhnlichem fähig ist. Mesut Özil, Mario Götze, Thomas Müller und auch Ilkay Gündogan boten selbst auf engstem Raum Weltklassekombinationen, die jeden Gegner überfordern: schnell und technisch hochwertig. Der verletzte Marco Reus ist mehr als eine Alternative. Müllers Torinstinkt sorgt zudem dafür, dass das Fehlen eines "echten" Mittelstürmers nicht all zu sehr ins Gewicht fällt. "Der riecht, wohin der Ball kommt", sagt Bundestrainer Joachim Löw. Einer wie Müller sei daher Gold wert für jede Mannschaft. Ähnliches gilt für die deutsche Innenverteidigung. Jerome Boateng ist aktuell wohl der weltbeste zentrale Abwehrspieler. Gemeinsam mit Hummels agiert er souverän. Hinzu kommt, dass beide offensiv denkende Abwehrspieler sind, die jederzeit Angriffe initiieren können.

Die Schwächen

Hier kommt wieder Philipp Lahm ins Spiel. Besser gesagt eben nicht mehr ins Spiel. Und genau deswegen ist die Position des rechten Außenverteidigers die größte Schwachstelle innerhalb der deutschen Mannschaft. Während links der Kölner Jonas Hector andeutete, dass er Perspektive hat, konnte Debütant Emre Can rechts hinten weder gegen Polen noch in Schottland überzeugen. Joachim Löw setzt auf einen Entwicklungsprozess beim Mann vom FC Liverpool. Doch das ist wohl mehr Hoffnung denn Überzeugung. Dauerhaft ist es mühsam, sich mit Notlösungen oder Experimenten durchzuhangeln. Abzuwarten bleibt auch, ob das Duo Schweinsteiger/Kroos auf der Doppelsechs die Idealbesetzung ist. Beide sind sichere Passspieler, scheuen aber zu häufig Zuspiele in die Tiefe. Dadurch lahmt das Umschalten auf Offensive, geht Rasanz verloren, Räume schließen sich. Hinzu kommt bei Kroos (wie auch bei Mesut Özil) ein bisweilen arg lustlos wirkendes Zweikampfverhalten. Ilkay Gündogan kam in Glasgow im offensiven Mittelfeld zum Einsatz, bewies dabei, dass er genau die Dynamik einbringen kann, die Schweinsteiger und Kroos bisweilen fehlt – auch auf der Doppelsechs. Die Mischung aus Dynamik und Geduld sei entscheidend, sagt Löw. Gündogan ist in der Lage, beides zu kombinieren. Nach langer Verletzungspause ist der Dortmunder körperlich wieder in Bestform. Und daher, wie Löw sagt, aus dem deutschen Team perspektivisch nicht mehr wegzudenken.

Die Aussichten

Die deutsche Mannschaft wird sich für die Europameisterschaft in Frankreich qualifizieren. Daran besteht kein Zweifel. Das physische und mentale Tal nach dem Triumph von Rio ist durchschritten. Die Offensive ist weiterhin weltmeisterlich – und wird es auch bleiben. Genau wie die Innenverteidigung. Für rechts hinten zeichnet sich keine Lösung ab. Allerdings hat sich auch bei der WM gezeigt, dass Joachim Löw in der Lage ist, dies zu kompensieren. Der Bundestrainer weist zu Recht darauf hin, dass sein Team enorm lernfähig ist. Das wird immer dann deutlich, wenn Löw Gelegenheit hat, länger mit den Spielern zu arbeiten, wie beispielsweise im Vorfeld eines Turniers. "Immer dann, wenn wir ein bisschen Zeit haben, wird’s gut."

Ressort: Nationalelf

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mi, 09. September 2015: PDF-Version herunterladen

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