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Tag der Pressefreiheit

Nicht nur in China nimmt die Pressefreiheit stetig ab

Finn Mayer-Kuckuk
  • Di, 03. Mai 2016, 00:00 Uhr
    Computer & Medien

Wie frei ist die Presse? Wie unabhängig können Journalisten arbeiten, wie wichtig ist beides? Oft genug erfährt man Letzteres gerade dann, wenn Pressefreiheit fehlt. China ist dafür ein Beispiel.

Anfang des Jahrhunderts war er voller Enthusiasmus in den Journalismus gegangen, doch inzwischen hat Li Bin resigniert. "Gerade investigativer Journalismus ist kaum noch möglich", sagt der 37-jährige Redakteur einer überregionalen Tageszeitung mit Sitz in Peking. "Eigentlich sollten wir doch eine Überwachungsfunktion ausüben, von der die ganze Gesellschaft profitiert." Stattdessen werden er und seine Kollegen in China als Staatsfeinde dargestellt, wenn sie versuchen, die Wahrheit ans Licht zu bringen.
"Gerade investigativer Journalismus ist kaum noch möglich." Li Bin
Die Pressefreiheit nimmt in China stetig ab. "Der Spielraum ist weiter geschrumpft", urteilte die US-Organisation Freedom House jüngst. Es sitzen in China derzeit 49 Journalisten wegen ihrer Berichterstattung im Gefängnis. Auf der Skala zur Bewertung der Pressefreiheit nimmt China mit 87 von 100 Negativ-Punkten einen noch schlechteren Platz ein als im Vorjahr. Das Land liegt damit weit am unteren Ende der Rangliste in der Nähe von Iran und Saudi-Arabien. Präsident Xi Jingping ist offenbar in seinem Bestreben weitergekommen, die gesamte Gesellschaft auf Parteilinie zu bringen. Die Zensur ist ein wichtiger Teil seines Konzepts.

Der Chefpropagandist bestimmt den Tenor

In der Praxis ist die Verschärfung deutlich zu merken. In der Morgenkonferenz geben der Chefredakteur oder der Propagandaverantwortliche zu jedem Thema den erwünschten Tenor vor, berichtet Journalist Li aus seinem Alltag. Oft ist sogar festgelegt, welche Experten zu interviewen seien. In vielen Fällen, etwa beim Territorialstreit im Südchinesischen Meer, erhalten die Redakteure fertige Fragen und Antworten von der Zensurbehörde zugeschickt. Dann steht in allen chinesischen Zeitungen das gleiche. Wer mehrfach von der vorgegebenen Linie abweicht, verliert seinen Job, etwa Lis voriger Chefredakteur. Er ist durch einen zuverlässigen Parteimann ersetzt worden.

Redakteur Li freut sich umso mehr über Gelegenheiten, das System zu unterlaufen. Vor allem auf dem Land kann er einen Unterschied machen: Die Provinzpresse steht unter der Fuchtel der Lokalpolitiker, während sein überregionales Medium aus Peking hier freier agieren kann.

Wer sich registriert hatte, bekam einen Maulkorb

Li war beispielsweise als Augenzeuge dabei, als sich in der Provinz Hunan Dorfbewohner eine Schlacht mit der Polizei geliefert haben, weil Beamte ihnen das Land wegnehmen wollten. Später gab es eine beschönigende Pressekonferenz. Wer sich offiziell registriert hatte, bekam einen Maulkorb. "Doch ich hatte mich unter falschem Namen eingeschlichen, nahm alles auf und fuhr nach Peking zurück." Lis Artikel war der einzige zu diesem Thema, der in ganz China erschienen ist. Die Provinzregierung wollte ihn verhaften lassen, doch die Chefredaktion hat sich hinter ihn gestellt – vermutlich, weil das Verhalten der Provinzpolitiker der Führung in Peking ebenfalls ein Dorn im Auge ist.

Eines der heikelsten Themen ist derzeit die Debatte um die Bedeutung der chinesischen Verfassung. Diese sieht Menschenrechte, Pressefreiheit und Rechtsstaatlichkeit vor. Hinweise darauf, dass die Praxis arg von der Theorie abweicht, sind unerwünscht. Auch der unverschämte Reichtum der hohen Beamten ist ein Tabuthema – obwohl die Partei die Korruption in den eigenen Reihen verfolgt. Li: "Aber die Kader verbitten sich eben jede Einmischung von außen."

Finn Mayer-Kuckuk berichtet für die BZ aus Peking. Anders als seinen chinesischen Kollegen, sagt er, könne ihm wenig passieren. "Mich können sie nur aus dem Land werfen."


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Ressort: Computer & Medien

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Di, 03. Mai 2016: PDF-Version herunterladen

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