70 Millionen Dollar für eine Datei
Dank NFT-Technologie können Künstler mit digitalen Werken superreich werden / Was steckt dahinter?.
Doch anders als Richters "Abstraktes Bild 599" kann man Winkelmanns Collage nicht berühren. Sie existiert nur als Datei auf dem Computer – kann also beliebig oft kopiert werden. Dass das Bild trotzdem so viel wert ist, ermöglicht eine Technologie, die es bereits seit 2014 gibt: Non-Fungible Token (NFT) – nicht-ersetzbare Zeichen. NFTs funktionieren wie digitale Siegel, die die Eigentümer von digitalen Objekten – also auch Videos, Musik oder Beiträge in den sozialen Medien – eindeutig bestimmen lassen. Das bedeutet, Winkelmanns Collage befindet sich zwar mehrfach im Umlauf, aber nur eine Datei weist einen Besitzer aus, der damit handeln kann.
Seitdem die Kunstwelt NFT-Technik nutzt, vergeht keine Woche, in der nicht ein Millionenbetrag für digitale Kunst gezahlt wird. Das ruft auch Kritik hervor. "Die etablierten Künstler schauen mit etwas Missmut auf diese Werke, weil sie glauben, dass sie qualitativ nicht als Kunst durchgehen", sagt Armin Blasbichler, Architekt aus Basel und seit vier Jahren NFT-Sammler. Weil das Haptische fehlt, entstehe eine psychologische Sperre.
Den Grundstein für Kunst mit NFT-Technik legte 2017 das Programmierstudio Larva Labs mit den "CryptoPunks" – einer Kollektion von 10 000 Pixel-Porträts. Seitdem wächst eine Gemeinschaft, die NFTs sammelt wie Briefmarken – selbst Ex-First-Lady Melania Trump stellte gerade ihre eigene NFT-Plattform vor. "Es gibt anspruchsvolle Kunst in diesem Kontext, aber auch Trash", sagt Blasbichler. So wie in der analogen Welt auch.
Jens Rieger, Vorstand des Chaos-Computer-Clubs Freiburg, erklärt die Technik: "NFT ist im Grunde nur eine schnöde Besitzurkunde, die – und das ist das Neue – mathematisch abgesichert wird." NFTs liegen auf der sogenannten Blockchain (englisch für Blockkette) – einer ständig länger werdenden Liste von Datensätzen. Diese Liste funktioniert wie ein digitales Einnahmen-Ausgabenbuch, das nicht von Regierungen, Banken oder anderen Institutionen geführt wird, sondern online von Blockchain-Nutzern, also normalen Bürgern. Diese Technik wird auch für digitale Währungen wie Bitcoin genutzt.
In der analogen Welt kann ein Personalausweis bestimmte Informationen zweifelsfrei belegen, erklärt Rieger. Dass das möglich ist, liegt am Alleinrecht, das der Staat der Bundesdruckerei verliehen hat, die die Ausweise herstellt. In der Blockchain hingegen kann jeder Nutzer über Programmbefehle neue Informationen an die Liste anhängen – etwa den Besitzerwechsel eines digitalen Kunstwerkes. "Diesen mathematischen Beweis können Künstler als NFT verkaufen", sagt Rieger. Da jeder Computer auf die Blockchain zugreifen und sie prüfen kann, fiele eine nachträgliche Manipulation auf.
Matthias Kampmann, Kunsthistoriker mit Spezialisierung auf Computerkunst, sieht erst einmal das Positive an der Technologie: "Es ist super, wenn die Mittel demokratisiert werden und digitale Kunst nicht mehr geklaut wird." Bei Kunst mit NFT-Siegel entstehe aber der Eindruck, so Kampmann, dass das Technologische zum Selbstzweck wird und das Künstlerische in den Hintergrund rückt. "Der Kunstmarkt greift NFTs gerne auf, weil er sie verhökern kann", sagt er. "Ich halte das nicht für eine historisch relevante Form des künstlerischen Äußerns." Ob mit oder ohne NFT, an einem digitalen Bild ändere sich nichts.
Die Rekordsumme für Mike Winkelmanns Collage "Everydays" hat der Blockchain-Investor Vignesh Sundaresan hingeblättert. "Ich habe noch niemanden kennengelernt, der so drauf ist", sagt Kampmann. Doch dort, wo es obszönen Reichtum gebe, gehe man auf eine andere Art mit Kunst um. Galerien und Aktienmärkte würden manchmal ähnlich funktionieren. "Der Kunstmarkt schafft es immer wieder, noch so banale Objekte zu Platinpreisen zu verhökern", sagt Kampmann. "Das ist meine bittere, aber nicht ganz fehlgehende Interpretation dieser Struktur."
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