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Parallelwelten

Verschwörungstheorien – ein Hamburger Ehepaar versucht dagegenzuhalten

Bernhard Honnigfort

Von

Do, 23. Februar 2017

Deutschland

So sieht also ein Reptiloid aus: schwarze Haare, dunkle Augen, ein zierliches Gesicht, ein freundliches Lächeln. Nicht besonders furchterregend. Alexa Waschkau sitzt an ihrem Küchentisch in ihrer Hamburger Wohnung.

Es ist Abend, zwei Katzen schleichen umher. In zehn Minuten kommt ihr Mann Alexander aus Kiel von der Arbeit. Es ist unfassbar, aber man sieht der 42-Jährigen, angeblich geboren in Bad Pyrmont, tatsächlich nicht an, dass sie kein Mensch sein soll, sondern ein Reptiloid, ein menschenähnliches Wesen, das von reptilienartigen Außerirdischen aus dem fernen Sternbild des Drachen abstammt. So wie die englische Königin. Die Clintons. Oder auch Kanzlerin Merkel.

"Es gibt Leute, die behaupten so etwas auch über mich", sagt Alexa Waschkau. "Ganz im Ernst. Es gibt wirklich Menschen, die fest von so etwas überzeugt sind." Und dann erzählt sie von David Icke, dem ehemaligen britischen Fußballer, der ein furchtbarer Verschwörungstheoretiker wurde und seitdem verbreitet, Reptiloiden könnten menschliches Aussehen annehmen und würden die Politik beherrschen. Sie bräuchten nur etwas menschliches Blut.

Es ist eine Welt, die
aus Überforderung
und aus Angst besteht
Die Wohnungstür geht auf, Ehemann Alexander kommt, er hat den Namen David Icke beim Eintreten gehört und ist sofort im Stoff. "Meine Güte", sagt er, "Icke – der hat in seinem Leben eindeutig zu viele Bälle an den Kopf bekommen."

Willkommen in den Welten des Wahns. Die beiden Waschkaus sind Experten. Sie kennen jeden Unfug, der irgendwo auf der Welt keimte, sich dann in den Parallelwelten des Internets vermehrte wie Pflänzchen in einem Gewächshaus und zu einer stattlichen Verschwörungstheorie heranwuchs. Die beiden kämpfen seit Jahren auf ihre Art gegen den wuchernden Unverstand. Er ist Psychologe, sie Volkskundlerin, gemeinsam betreiben sie im Netz den Podcast Hoaxilla, hergeleitet vom englischen Hoax: Scherz, Falschmeldung. Alle 14 Tage, bis zu 80 000 Zuhörer, mittlerweile 200 Folgen, in denen sie freundlich, aber bestimmt den grassierenden Unfug mit Hilfe von Fakten sezieren: Bermuda-Dreieck, Reichsbürger, das Brieselanger Licht, die Zombie-Apokalypse, Erdbebenmaschinen, Lichtnahrung, der Tod der Lady Di, Kornkreise, Aliens und Naziflugscheiben. "Es gibt nichts, was Leute nicht glauben", sagt Alexander Waschkau.

Der Wahn der anderen frisst ihre gesamte Freizeit, ist Teil ihres Lebens geworden. Sie recherchieren, sie sprechen ihre Sendungen, sie beantworten E-Mails. Jeder zehn Stunden pro Woche. Alles fing mit Neugierde an, mit einer schrägen Geschichte im Münsterland vor 15 Jahren, einer Geschichte, die bei Partys und Grillfesten im Garten rundging. Eine Freundin erzählte sie Alexa Waschkau, garantiert so passiert, meinte sie, echt wahr: Der Abend vor dem Hochzeitstag. Junggesellenabschied, alle haben kräftig gepichelt, der Bräutigam schwer angeschlagen, der Trauzeuge zieht dem Bräutigam Stiefel an, pumpt sie mit Bauschaum voll. Nächster Morgen: Bräutigam wacht auf, die Beine, abgestorben vom ausgehärteten Bauschaum, müssen amputiert werde. Der verzweifelte Trauzeuge bringt sich um.

"Das hat mich neugierig gemacht", erzählt die vermeintliche Reptiloidin. "Ich bin der Sache nachgegangen. Die Geschichte ging herum in Norddeutschland, eine typische Urban Legend wie die Spinne in der Yuccapalme."

Damals fing es an, eher spaßig und spielerisch, mittlerweile sind die Waschkaus tief eingetaucht in die dunklen Welten des Netzes. Sie werden beschimpft, sie werden bedroht, sie sollen in der Hölle schmoren. Wie auf Bestellung pingt das Smartphone von Alexander Waschkau. "Irgendein Nazi", sagt er und zeigt die Mail mit Hakenkreuz und dem Satz: Mit Leuten wie ihm und seiner Frau hätte die SS kurzen Prozess gemacht.

Seit sieben Jahren befassen sich die beiden nun mit Verschwörungstheorien. Sie können nicht sagen, ob es mehr oder dank sozialer Netzwerke nur sichtbarer wird, was immer schon in manchen Köpfen brodelte. Sie erzählen von den Reichsbürgern, Menschen, die meinen, es gebe die Bundesrepublik gar nicht. Alexa Waschkau: "Es ist eine Welt aus Überforderung und Angst. Sie ist emotional und nicht mehr erreichbar. Als ob man zwei Sprachen spricht."

Noch vor zehn Jahren galten die Reichsbürger als Spinner, mehr oder weniger harmlos. Irgendwo am rechten Rand unterwegs, aber, nun ja. Machen sich eigene Pässe, Führerscheine, Nummernschilder, nennen sich Statthalter, tun wichtig. Doch seit 2016 in Bayern ein Polizist erschossen wurde, der einem Reichsbürger die Waffensammlung abnehmen sollte, seit in Bärwalde bei Meißen selbsternannte Polizisten herumliefen, die einen Gerichtsvollzieher als Geisel nahmen, seitdem sind Politik, Polizei und Justiz alarmiert. Die Lage wird gerade neu bewertet. Der Verfassungsschutz beobachtet, die Zahlen der Reichsbürger werden bundesweit nach oben korrigiert, angeblich sind es jetzt knapp 5000.

Wird es schlimmer? "Es wird sichtbarer", urteilt Jan Rathje. "Alles, was immer schon da war, wird erkennbar. Die Stammtische vernetzen sich." Rathje ist Politikwissenschaftler in Berlin, arbeitet für die Amadeu-Antonio-Stiftung. Er ist dort der Fachmann für alles Verschwörerische. "Die Welt wird komplexer und komplizierter. Und Verschwörungstheorien sind der Kitt, der alle Widersprüche glättet."

Er hat sie studiert und Grundmerkmale herausgearbeitet: Viele Theorien sind antidemokratisch und antijüdisch, sie gehen von einem wahren Volkswillen aus und bösen Mächten, die ihn unterdrücken. Der Verschwörungstheoretiker vertritt diesen Willen. Wer Dinge anders sieht, lügt und ist Feind oder wird "bezahlt", während der Verschwörungstheoretiker aus Selbstlosigkeit handelt. Hinter allem lauern finstere Kräfte, am Ende immer eine jüdische Weltverschwörung. Sie richten sich gegen Minderheiten, sie brauchen Sündenböcke, sie sind oft uralt wie das Lügenbild von den Juden als Verschwörern. "In dieser Welt gibt es keine Ursachenbeseitigung, es gibt nur Schuldige", sagt Rathje. "Es geht nicht um Wissenslücken oder um Argumente. Diese Leute konstruierten sich eine Identität, die auf Gegensätzen fußt: Gut gegen Böse, einfach gegen abstrakt, wir gegen die, rein gegen unrein, anständig gegen korrupt, Wahrheit gegen Lügenpresse. "Das große Problem dieser Leute ist: Eigene Widersprüche werden nicht ertragen." Dann macht er eine kleine Pause und sagt: "Wie bei Donald Trump."

Was tun? Auf alle Fälle nicht wie der CDU-Landtagsabgeordnete Martin Bäumer aus dem Landkreis Osnabrück reagieren, meint Rathje. "Völlig falsch." Bäumer hat Anfragen an die Landesregierung in Hannover gerichtet. Er wollte ein für alle Mal klären lassen, ob es Chemtrails gibt oder nicht. Anhänger dieser Bewegung glauben, Kondensstreifen von Flugzeugen seien in Wahrheit Giftwolken, versprüht, um das Volk dumm und unfruchtbar zu machen. Bäumer, umweltpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, erhielt knapp gehaltene Mitteilungen der Landesregierung, dass es so etwas nicht gebe. "Als Abgeordneter lasse ich mich nicht mit einfachen oder sogar falschen Antworten abspeisen", sagte er daraufhin der Neuen Osnabrücker Zeitung kurz vor Weihnachten. In der Chemtrail-Szene verehren sie ihn jetzt als hartnäckigen Streiter, im Landtag gilt er als Spinner, der "Abgeordnete mit dem Aluhut".

Fachleute wie Rathje schütteln nur den Kopf über den Christdemokraten: "Vollkommen verkehrt. So funktioniert es nicht. Er lässt sich auf eine Scheinargumentation ein, er betritt ein Lügengebäude, aus dem es kein Heraus gibt. Er vermittelt solchen Leuten das Gefühl, sie würden bestätigt, weil er mit ihnen spricht, anstatt zu sagen: Ihr redet Quatsch!"

"Dagegenhalten", sagt Rathje, wenn man ihn fragt, was noch hilft. "Einen Strich ziehen. Wer tief in solchen sektenähnlichen Zirkeln steckt, der ist nicht erreichbar, der hat für alles eine Erklärung. Da ist man am Ende. Es gibt keine alternativen Fakten."

Alternative Fakten. "Ein furchtbarer Ausdruck, mir wird angst und bange", sagt der Psychologe Martin K. W. Schweer. Er ist Professor an der Uni Vechta und leitet das Zentrum für Vertrauensforschung. Schweer macht sich schon lange Gedanken über schwindendes Vertrauen in Politik und Institutionen. Über Ursachen von Verschwörungswahn. Er sagt: "Ohne Vertrauen sind Menschen nicht überlebensfähig. Sie brauchen es, um sich in der Welt zurechtfinden zu können. Menschen können nicht alles selber machen und alles selber kontrollieren." Nur leider, so Schweer, werde die Welt immer komplexer und undurchschaubarer. "Es gibt immer mehr Möglichkeiten, in Echtzeit Informationen, Fake News und Gerüchte zu senden."

Es wird immer einfacher, Unsicherheit zu erzeugen. Vertrauen wird deshalb immer dringlicher. Eigentlich sei ja Skepsis gegenüber dem politischen System und gegenüber Politikern nichts Furchterregendes. Wenn aber eine Gesellschaft auseinanderklaffe, stellten sich Gerechtigkeitsfragen, Gefühle von Bedrohung und Verlorenheit wüchsen. "Ab dann wird es bedenklich." Wenn einmal ein basales Vertrauen zerstört sei, dann werde es unendlich schwer, es wieder aufzubauen. "Vertrauen kommt zu Fuß und verschwindet im Galopp."

Vertrauen, ja, genau darum gehe es, sagt Alexander Waschkau, der neben seiner Frau in seiner Küche in Hamburg sitzt und darüber nachgrübelt, wie alles kam: wachsendes Misstrauen, schwindendes Vertrauen, Erosion, Lügenpresse-Geschimpfe und Parallelwelten. "Wir geraten langsam, aber sicher in einen Informationskrieg", meint er. Seine Frau nickt. "Es wird immer anstrengender."

Das Vertrauen in Politik und Institutionen ist gesunken
Anders herum wäre es so einfach: Es wäre so leicht, reich zu werden mit all dem Irrsinn. Man müsste nur mitmachen, seinen eigenen Wahn basteln und verkünden. "Irgendwas mit Steinen und Kräften, mit kleinen Pyramiden oder ein Mutter-Kind-Pendel, irgendein Quatsch mit einer Geschichte drum herum gestrickt. Tausende würden es glauben", ist er sich sicher. "Garantiert!" Oder wenn er verkünden würde, all die Windräder zur Stromerzeugung in Deutschland würden in Wahrheit nur dazu dienen, die Gifte aus den Chemtrails besser zu verteilen und für Menschen unauffälliger zu machen?

Aber so etwas tun sie nicht, der Herr Waschkau und seine reptiloide Dame, die beide schrecklich in der Hölle brennen sollen, ginge es nach manchen Herrschaften. Wenn es ihnen schlecht geht und sie den Wahn und Hass der digitalen Welt nicht mehr ertragen, dann erholen sie sich mit leicht verdaulichen Mythen. "Dann machen wir was über Yetis", sagt sie und lächelt leicht außerirdisch. "Die tun niemandem was."

Ressort: Deutschland

  • Veröffentlicht in der gedruckten Ausgabe der BZ vom Do, 23. Februar 2017:
  • Zeitungsartikel im Zeitungslayout: PDF-Version herunterladen

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