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Razzia in Berlin

Risse in der Mauer des Schweigens

Katja Bauer
  • Mi, 13. April 2016
    Deutschland

Razzia bei arabischem Familienclan in Berlin / Die Polizei hat 18 Wohnungen durchsucht und acht Männer festgenommen.

Großeinsatz in Berlin-Neukölln –...olizei an und nahm acht Personen fest.  | Foto: dpa
Großeinsatz in Berlin-Neukölln – früh am Morgen rückte die Polizei an und nahm acht Personen fest. Foto: dpa
Der Morgen ist noch nicht einmal angebrochen, aber in der Schinkestraße im harten Norden Neuköllns ist die Nacht für manche vorbei. In den Fenstern gehen die Lichter an, neugierig schauen die Bewohner, was draußen vor sich geht. Dicht aneinander stehen mehrere Polizeibusse vor einem grauen Mehrfamilienhaus aus den 80ern, Männer des Sondereinsatzkommandos (SEK) der Berliner Polizei mit Sturmhaube spurten durch die graffitibeschmierte Glastür ins Haus, dazu Fahnder mit Drogenhunden. Drinnen erhellen Lichtkegel von Taschenlampen Wohnungen, schemenhaft bewegen sich Schatten, auf einem Balkon begutachtet ein Polizist kurz einen Wäscheständer. Aber vanillegelbe Babystrampler sind an diesem Morgen nicht im Visier.

In einem der größten Einsätze seit Jahren durchsuchen seit 4.30 Uhr mehr als 220 Polizisten 18 Wohnungen, Gaststätten und Firmenräume in Neukölln sowie am nördlichen und südlichen Stadtrand. 60 SEK-Leute unterstützen die Schutzpolizisten, denn hier geht es um schweres Kaliber – und dass einer schießt, können die Beamten nicht ausschließen. 2003 ist ein Berliner SEK-Mann bei einer versuchten Festnahme getötet worden.

Der Einsatz am Dienstagmorgen richtet sich gegen mutmaßlich kriminelle Mitglieder einer der berüchtigten arabischen Großfamilien in der Hauptstadt – die Familie Al-Z. Natürlich betont der Polizeisprecher, dass gegen Einzelpersonen ermittelt werde, nicht gegen Familien. Aber die Ermittler kämpfen seit Jahren, und oft wie Don Quichotte vergeblich, gegen mafiöse Strukturen innerhalb großer, gegen die Außenwelt abgeschotteter Familienverbände.

Heinz Buschkowsky, lange Jahre Bürgermeister des Bezirks Neukölln und für seine klare Sprache bekannt, sagt es in einem Interview mit N24 so: "Diese Familien wollen sich nicht integrieren. Sie haben sich hier niedergelassen und machen ihre Geschäfte, das sind Teile der organisierten Kriminalität."

An diesem Morgen werden acht Männer im Alter zwischen 20 und 56 Jahren festgenommen, gegen alle liegen Haftbefehle vor. Der Sprecher der Polizei erklärt vor dem durchsuchten Haus, was den Verdächtigen vorgeworfen wird: Anstiftung zu einem versuchten, aber nicht vollendeten Auftragsmord, illegaler Waffenbesitz und die Beteiligung an einem Raubüberfall auf die Schmuckabteilung im KaDeWe Ende 2014. Bei dem versuchten Auftragsmord ging es nach Berichten mehrerer Berliner Medien um Rache für eine Frauengeschichte – dem Opfer sei in die Beine geschossen worden.

In den Wohnungen wird eine Waffe beschlagnahmt, dazu Munition, Bargeld und Schmuck. Ein Abschleppwagen lädt einen nachtblauen Porsche 911 Cabrio auf – er stammt aus dem Besitz eines der Verhafteten und wird laut Polizei zur Vermögenssicherung beschlagnahmt. Mindestens einer der verhafteten Männer soll sich gegen die Polizisten gewehrt haben.

Dieser Einsatz wurde möglich, weil etwas Seltenes passierte – es sei eine Mauer des Schweigens gefallen, sagt der Innensenator Frank Henkel (CDU). Es gibt, und das ist für dieses Milieu höchst ungewöhnlich, "umfangreiche Zeugenaussagen" und Hinweise aus dem Umfeld des Clans zu dem Raubüberfall auf das KaDeWe. Wenige Tage vor Weihnachten 2014 stürmten fünf maskierte, mit Macheten und Äxten bewaffnete Männer ins Erdgeschoss des Kaufhauses, versprühten Reizgas, zerschlugen die Auslagenvitrinen der Schmuckabteilung und rafften Rolex-Uhren und Chopard-Schmuck im Wert von mehr als 800 000 Euro zusammen. Im Frühjahr 2015 nahm die Polizei drei Männer fest. Seit November stehen sie vor Gericht – alle drei sind vorbestraft, zwei hören auf den Nachnamen Al-Z., ein Dritter ist ein Cousin der beiden. Verhandelt wird hier nur der Raub.

Es ist nicht zu erwarten, dass die mafiösen Strukturen, die die Ermittler bei Clans sehen, in dem Verfahren erhellt werden. Und doch ist bei diesem Prozess etwas anders, denn der Cousin, der beschuldigt wird, das Fluchtauto gestellt zu haben, gab vor Gericht eine Erklärung ab, in der er beteuerte, sein Wissen offenbaren und einen neuen Weg einschlagen zu wollen – ohne Kriminalität und ohne Rücksicht auf "den Ehrenkodex".

Das ist ein Verstoß gegen die ehernen Schweigegesetze, die in dem Milieu gelten und Ermittlungen extrem aufwendig machen. Die arabischen Clans mit tausend Angehörigen, so sagt ein Ermittler, beherrschten zwar nicht die Stadt, aber ihre Unterwelt. "Zeugen werden ganz schnell mundtot gemacht, mit Gewalt, mit Bedrohungen. Wenn heute acht Leute verhaftet worden sind, heißt das noch lange nicht, dass es auch zu acht Verurteilungen kommt", sagt Buschkowsky dem Sender n-tv. Er spricht von sieben arabischen Clans in Neukölln mit eigenen Netzwerken, die untereinander Revierkämpfe führten.

Auf ein neues Problem wies am Wochenende Oberstaatsanwalt Sjors Kamstra in der Welt am Sonntag hin: Offenbar haben die Clans Flüchtlinge im Visier, die sie für die Drecksarbeit der Kleinkriminalität anwerben. "Die Flüchtlinge kommen hierher und haben kein Geld", so Kamstra. "Und ihnen wird gezeigt, wie man ungelernt sehr schnell an Geld kommen kann." Ihnen werde gesagt, dass es ihnen in einem deutschen Gefängnis besser gehe als im Krieg.

Eine Studie, die der Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) vor einiger Zeit zum Thema Paralleljustiz vorgestellt hat, kommt zu teils erschreckenden Ergebnissen: "In Teilen der Stadt herrscht, insbesondere in bestimmten ethnisch-kulturell geprägten Communitys ein Klima der Angst, ausgelöst durch gewalttätige, von staatlichen Behörden nur noch unzureichend kontrollierte Clanmilieus", so die Wissenschaftler. Betroffen seien Teile von Neukölln, der Wedding, Moabit, aber auch Kreuzberg und Charlottenburg. Das Problem scheine sich gegenwärtig auszuweiten. Opfer und Zeugen von Straftaten werden mit Hinweis auf die Familienehre massiv eingeschüchtert oder vom Kontakt mit Behörden abgehalten. Streitigkeiten zwischen Clans würden intern geregelt. Anzeigen werden zurückgezogen, Zeugen schweigen oder erinnern sich an nichts. Die Wissenschaftler interviewten dafür 93 Personen, darunter Clanführer, Imame, Experten aus Justiz, Polizei und Verwaltung.

Der einstige Clanchef Mahmoud Al-Z., der sich selbst gerne als Pate oder Präsident bezeichnete, war über Jahre regelmäßig in den Boulevardzeitungen abgebildet und gab auch gerne Interviews. Vor acht Jahren wurde er wegen Drogenhandels zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Inzwischen soll er nicht mehr in Berlin leben.

Bei ihren Ermittlungen stoßen die Fahnder immer wieder auch auf die sogenannten Mhallamiye-Kurden aus der südöstlichen Türkei, deren Stämme seit Jahrzehnten im Libanon lebten und dort ausgegrenzt wurden. Anfang der 80er-Jahre flohen viele von ihnen nach Europa. Ihre Asylanträge wurden abgelehnt, aber wegen fehlender Papiere und der Flüchtlingskonvention blieben viele Einwanderer im Land – ohne Arbeitserlaubnis, was wohl den Weg in die Kriminalität mit ebnete. In Deutschland leben die meisten in Berlin und Bremen. In der Hauptstadt beschäftigte sich eine Sonderkommission über Jahre damit, falsche Identitäten aufzudecken und recherchierte so auch die familiären Strukturen und Verbindungen. Im Landeskriminalamt gibt man sich derzeit zugeknöpft zu der Frage, in wie vielen Fällen ermittelt wird. In der Kriminalstatistik schlägt sich ihr Treiben vor allem in den Kategorien Raub, Drogenhandel, Schutzgelderpressung und Zuhälterei nieder.

Ressort: Deutschland

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mi, 13. April 2016: PDF-Version herunterladen

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