Account/Login

Tierhaltung

So werden 200 Schafe bei Britzingen geschoren

Gabriele Hennicke
  • Mi, 18. Mai 2016
    Müllheim

Was für eine Schererei: Bevor Wanderschäfer Jürgen Welte seine rund 200 Schafe und zwei Böcke auf die Sommerweide am Belchen bringt, werden die Tiere geschoren.

Diese Schafe haben die Schur bereits überstanden.   | Foto: Gabriele Hennicke
Diese Schafe haben die Schur bereits überstanden. Foto: Gabriele Hennicke

MÜLLHEIM-BRITZINGEN. Es ist eine Schur, eine Schinderei. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Bevor Wanderschäfer Jürgen Welte mit seiner großen Schaf- und Ziegenherde hinauf zu den Sommerweiden in den Schwarzwald ins Belcheng

ebiet zieht, werden die Schafe geschoren. 200 Mutterschafe und zwei Böcke hat der Schäfer von ihrer Wolle befreit. Die Badische Zeitung war beim Scheren am Rande einer Mirabellenanlage bei Britzingen dabei.

Am Rande der Straße von Britzingen zur Schwärze hinauf stehen fast vierhundert Schafe, Mütter und ihre Lämmer in zwei großen Gattern. Es herrscht ein ziemliches Gedränge. Über einen Zwischengang werden die Tiere von einem zum anderen Gatter geführt. Hier werden alle Tiere entwurmt. Am hinteren Ende des zweiten Gatters steht Jürgen Weltle auf einem Podest, in der einen Hand den Scherkopf der motorangetriebenen Schafschermaschine, im linken Arm hält er ein Schaf. Mit routinierten Bewegungen führt Weltle den Scherkopf am Bauch des Schafs entlang, jetzt kommt der Hals dran, dann die eine und anschließend die andere Seite bis zu den Klauen, zum Schluss der Schwanz. Natürlich hält das Schaf nicht still, immer wieder muss er es auf dem kleinen Podest in die richtige Position wuchten. "Jeder Scherer hat seine eigene Technik entwickelt, ich mache es so", sagt Weltle in einer kurzen Verschnaufpause. Während Weltle die letzten Florreste entfernt, fangen Weltles Lebenspartnerin Conny Leisinger und ein weiterer Helfer den große Texelschafsbock ein. Ganzer Körpereinsatz ist jetzt gefragt. Von allen Beteiligten.

Der Wollpreis deckt kaum die Kosten

Jedes Schaf wiegt ungefähr hundert Kilo, die beiden Böcke sogar 120. Weltle lässt das fertig geschorene Schaf los, und packt den Bock. Der zappelt ganz schön und drängt den Schäfer immer mehr ans Gatter. Wie gut, dass der Schäfer ein Kissen befestigt hat, das die stärksten Stöße abmindert. "Blaue Flecken sind normal", sagt Conny Leisinger, die neben ihrem Hauptberuf in der Behindertenhilfe ihren Partner bei der Schäferei unterstützt. Ob die Jungschafe am meisten Scherereien machen? "Ganz und gar nicht, die älteren Schafe sind sogar oft schwieriger als die jungen, obwohl sie ja die Erfahrung haben, dass ihnen nichts passiert", sagt der Schäfer.

Die bereits geschorenen Schafe grasen entspannt in der großen Mirabellenplantage, einige Neugeborene sind auch dabei. Etwa drei Kilo Schafswolle fällt bei jedem Schaf an. Das Wollvlies wird in große weiße Säcke gestopft und an einen Wollhändler verkauft. "Zum Glück ist der Wollpreis in den letzten Jahren wieder gestiegen. Vor drei Jahren lag er noch bei 40 Cent, letztes Jahr bei einem Euro. Dieses Jahr soll es mehr werden, hoffentlich", sagt Jürgen Welte und verweist auf die hohen Kosten fürs Entwurmen, die notwendige Behandlung gegen Stechmücken und Zecken und die Kosten für die Scherausrüstung. Schon Weltles Urgroßvater war Wanderschäfer, ebenso Großvater und Vater, auch seine Schwester ist Schäferin. Seine erste Schafschermaschine hat Jürgen Weltle bereits mit vierzehn Jahren gekauft.

"Als ich noch jünger war, war ich auch schon Teil einer Lohnscherer-Kolonne von zwölf Leuten, die an einem Wochenende 2500 Schafe geschoren hat", berichtet Weltle (58) stolz. "Vor acht Jahren habe ich aus Gaudi bei der Deutschen Meisterschaft im Schafscheren mitgemacht, ohne Training, und bin 13. von 36 Teilnehmern geworden." In sieben Minuten musste Weltle damals vier Schafe scheren, bewertet wurde neben der Zeit auch die Sauberkeit des Schnitts. Früher hat Weltle etwa 20 Schafe in einer Stunde geschoren, heute sind es noch zwölf bis fünfzehn. Nicht alle Schäfer scheren selbst, viele beauftragen einen Lohnscherer. Zu Zeiten der ganz schlechten Wollpreise waren die Kosten für die Schur höher als der Erlös durch den Verkauf der Wolle.

Jetzt, nach Pfingsten, wird Jürgen Weltle mit seiner Herde, zu der neben den 200 Schafen, etwa 100 Lämmer und 100 Ziegen gehören, über Schweighof und Sirnitz hinauf nach Neuenweg im Kleinen Wiesental ziehen. Etwa vier Stunden dauert das, so der Schäfer. In Neuenweg übernehmen die Schafe die Erstbeweidung von Landschaftspflegeflächen im Auftrag des Landratsamts Lörrach. Im August zieht die Herde hinauf auf den 1414 Meter hohen Belchen und beweidet dort die unwegsamen Steilhänge an der Belchen-Südseite. Im November geht es wieder in die Rheinebene, wo Schäfer und Herde auf Flächen zwischen Heitersheim und Seefelden unterwegs sein werden.

Schäfer

Der Schäferberuf gilt als einer der ältesten landwirtschaftlichen Berufe. Die Schafschur war bis weit ins 19. Jahrhundert Teil des Berufs. Erst mit zunehmender Arbeitsteilung und immer größer werdenden Herden entwickelte sich der Beruf des Schafscherers.

Zahlreiche Redewendungen rund um das Scheren der Schafe haben sich bis heute in unserer Sprache erhalten: Scherereien machen, alles über einen Kamm scheren, sich darum scheren, ungeschoren davonkommen, sich zum Teufel scheren....

Ressort: Müllheim

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mi, 18. Mai 2016: PDF-Version herunterladen

Artikel verlinken

Wenn Sie auf diesen Artikel von badische-zeitung.de verlinken möchten, können Sie einfach und kostenlos folgenden HTML-Code in Ihre Internetseite einbinden:

© 2024 Badische Zeitung. Keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben.
Bitte beachten Sie auch folgende Nutzungshinweise, die Datenschutzerklärung und das Impressum.

Kommentare


Weitere Artikel