Der Comic als Labor
BZ-SERIE HELLE KÖPFE (21):Der Freiburger Stephan Packard erforscht, was Donald-Duck-Hefte lesenswert macht/.
infallsreiche und kluge Wissenschaftler sind die Grundlage für den Erfolg einer Universität und einer Region. Wir stellen Ihnen in dieser Serie Menschen vor, die den Forschungsstandort Südbaden starkmachen: Helle Köpfe, die in der globalen Wissenschaftswelt eine Rolle spielen, die Herausragendes leisten oder faszinierende Fragen lösen. Heute: der Kulturwissenschaftler Stephan Packard.
Natürlich hat auch Stephan Packard als Kind Comics gelesen. "Dann aber nicht mehr", bemerkt er freundlich lächelnd, Donald Duck und seinesgleichen habe er erst als Student wiederentdeckt. Seitdem liest er die bunten Bildergeschichten wieder mit Spaß, aber nicht nur zum Spaß. Denn aus der spät entdeckten Leidenschaft ist inzwischen ein Beruf geworden. Als Medienkulturwissenschaftler versucht der 36-Jährige unter anderem zu ergründen, was Enten in Matrosenanzügen oder mit Zylinder und Spazierstock für viele so unwiderstehlich macht. Mit Erfolg: Seine Erkenntnisse haben dem Juniorprofessor von der Universität Freiburg vor kurzem den Heinz-Maier-Leibnitz-Preis eingetragen, der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) an Nachwuchswissenschaftler vergeben wird. Was er mit dem Preisgeld von immerhin 20 000 Euro anfangen wird, weiß er noch nicht genau. Mit ziemlicher Sicherheit wird er es für seinen Forschungsbereich "Mediale Kontrolle" verwenden, der ihm neben der Comicforschung besonders am Herzen liegt.
Stephan Packard würde man rein äußerlich betrachtet vielleicht in der Informatik oder in der Halbleiterforschung verorten. Aber da tappt man schon in die Falle, denn genau das ist es, was den Forscher auch an Comics besonders interessiert: die Irritation, die beim Betrachten von Bildern oder von Figuren entsteht. "Wir lassen uns täuschen, weil wir einerseits wissen, dass wir nicht sehen, was wirklich da ist, und dennoch meinen, unsere Gegenüber am Aussehen erkennen zu können", sagt er.
Täuschungsversuch
Aber wir akzeptieren: Da ist einer, der ist reich und will immer noch mehr Geld – ein Muster, das uns bekannt ist. Der Leser sagt sich dann: "Natürlich ist das nicht so, wie es dargestellt wird", und kann genau an diesem Punkt, so Packard, anfangen zu reflektieren. So bekommt auch Dagobert Duck eine gesellschaftliche Relevanz.
Was den Juniorprofessor zudem fasziniert: "Der Comic ist ein Labor des Mediengebrauchs, denn er ist im Gegensatz zum Film relativ billig zu produzieren und dennoch jenseits der Schwelle zum Massenmedium." Diese Eigenschaften geben Zeichnern und Autoren die Freiheit, mit Bildern und Anregungen aus anderen Zusammenhängen – aus Karikatur, Buch oder Film – zu spielen und mit ihren Grenzen und Möglichkeiten zu experimentieren.
Abseits vom Mainstream interessiert sich der Forscher deshalb besonders für Comics, die Neues probieren. Die in gewisser Weise alternativ oder kritisch sind und die Gesellschaft mehr von ihrem Rand her betrachten. Einer seiner Lieblinge ist der New Yorker Zeichner Art Spiegelman. Dieser habe zum Beispiel die weltweit bekannten Bildmotive vom Anschlag des 11. September genommen, in seiner Cartoonästhetik in neue Zusammenhänge gebracht und so eine Reflexion der Macht der Bilder und der Mainstream-Medien angestoßen. "Dabei thematisiert er auch sein eigenes Trauma; seine Tochter ging in der Nähe des World Trade Centers in die Schule", erzählt Packard. Dennoch misstraue der Künstler der kollektiven Traumatisierung in den Vereinigten Staaten und der damit verbundenen Schuldzuweisung. Das mache sein Comic deutlich.
Auch mit Spiegelmans bekanntestem Comic "Maus" hat sich Packard beschäftigt. Er erzählt die Geschichte von Spiegelmans Vater, der als Jude im Dritten Reich Auschwitz überlebte. "Indem Spiegelman die Juden als Menschen mit Mäuseköpfen und die Nazis mit Katzenköpfen darstellt, betont er das Täter-Opfer-Schema sehr stark", so der Forscher. Allerdings sei manchmal zu erkennen, dass es sich um Masken handele. So wird dieses Schema gleichzeitig hinterfragt. "Der Comiczeichner kann sehr frei verfahren", sagt Packard. "Aber es wird auch deutlich, dass es nicht harmlos ist, eine Figur zu zeichnen, dabei müssen bewusste Entscheidungen darüber getroffen werden, auf welche Weise dies geschehen soll."
Auch Karikaturen, besonders, wenn es sich um Barack Obama handelt, sind dafür ein gutes Beispiel, findet Packard. Es gehört zum politischen Kommentar, den amerikanischen Präsidenten zu karikieren, die Frage ist nur wie? Hier steht die Cartoonästhetik vor einem Dilemma und kommt doch nicht an dem Thema vorbei: Eine karikierende Überzeichnung Obamas rückt sehr schnell in die Nähe einer rassistischen Darstellung. Nicht karikieren geht aber auch nicht. Hier wird auch besonders anschaulich, wie tief die Stereotypen über ein spezifisches Aussehen noch sitzen. Dabei gebe es sogar Studien, die belegen, dass Gesichter ohne den entsprechenden Kontext oft keiner bestimmten Hautfarbe zugeordnet werden können, bemerkt der Forscher.
Die Macht der Bilder ist dennoch ungebrochen. Die Frage nach ihrem Einfluss stellt Packard auch in seinem Forschungsschwerpunkt "Mediale Kontrolle". Als Herausgeber einer Online-Zeitschrift beschäftigt er sich mit wichtigen Fragen, die der heutige Mediengebrauch aufwirft: zum Beispiel die Fragen nach dem Urheberrecht, nach Zensur, nach Meinungs- und Pressefreiheit oder Jugendschutz im digitalen Zeitalter. Letztendlich fragen er und seine Kollegen danach, welchen Mächten der Mediengebrauch heute unterworfen ist. Im digitalen Zeitalter funktionieren die alten Regeln nicht mehr. Darüber, wie jetzt zu verfahren ist, wird erbittert gestritten.
Auch gegen das heiß diskutierte "Recht auf Vergessenwerden" spricht sich der Forscher aus. So haben Privatpersonen bereits dagegen geklagt, dass Dinge aus ihrer Vergangenheit Jahre später noch im Netz zu finden sind. "In dem Gerichtsverfahren ging es nur um die Suchergebnisse bei Google, die zu löschen waren. Die Inhalte selbst bleiben ja im Netz", erklärt der Medienexperte. Da bestehe die Gefahr, dass kapitalstarke Gruppierungen ihre eigenen Suchmaschinen entwickeln, mit denen sie alles finden, während der Normalsterbliche auf Google angewiesen bleibe, und damit vom verfügbaren Wissen potentiell abgeschnitten wird.
Packard geht es darum, zu diesen wichtigen Themen Diskussionen anzustoßen, die auch den historischen Zusammenhang und die unterschiedlichen Sichtweisen mit einbeziehen. Wie sieht das zum Beispiel der Jurist oder der Feuilletonist. Wie sieht es gar der Zensor? All diese Aspekte sind nach Packards Einschätzung hilfreich, um in diesen Fragestellungen voranzukommen.
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