Katholische Kirche
Theologin Barbara Winter-Riesterer: "Seelsorge soll im Mittelpunkt stehen"
Am 1. Januar 2026 gehen im Erzbistum Freiburg die 36 neuen Pfarreien an den Start. Barbara Winter-Riesterer leitet das Projekt Kirchenentwicklung und spricht im Interview über Sorgen, Chancen und Synodalität.
So, 7. Dez 2025, 9:00 Uhr
Südwest
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BZ: Zum neuen Jahr startet das 2019 begonnene Reformprojekt "Kirchenentwicklung 2030" in die Umsetzungsphase. Wie ist die Stimmung in der Erzdiözese Freiburg, Frau Winter-Riesterer?
Die Stimmung ist sehr unterschiedlich, je nachdem, mit wem man spricht. Diejenigen, die Verantwortung übernehmen, sei es beruflich oder ehrenamtlich, sind voller Energie: Endlich geht es los. Zugleich ist die Arbeitslast wenige Wochen vor dem Start hoch, viele Prozesse und Zuständigkeiten müssen noch überprüft werden. Doch bei manchen Menschen löst die Veränderung auch Ängste aus.
BZ: Viele äußern die Sorge, dass sie ihre kirchliche Heimat verlieren. Wird nun alles anders?
Nein. Die Verlässlichkeit kirchlichen Lebens vor Ort ist uns sehr wichtig und wird es bleiben. Allerdings müssen wir ehrlich sagen: Ein Grund für die Kirchenentwicklung 2030 ist, dass wir weniger Mitglieder, weniger Priester, weniger Haupt- und Ehrenamtliche und weniger Einnahmen haben. Darauf müssen wir reagieren. Wir werden unsere Aufgaben künftig effizienter organisieren, ziehen uns aber nicht aus der Fläche zurück – das betont Erzbischof Stephan Burger immer wieder. Wir brauchen in einer Pfarrei nicht acht Pfarrbüros, die alle dasselbe tun. Wir werden aber auch nicht alles zentralisieren. Die frühere Idee, in jeder der 36 Pfarreien ein Zentrum zu schaffen und die Mitarbeitenden von dort aus in die Fläche zu schicken, haben wir verworfen.
BZ: Das haben die Gläubigen erreicht, nicht wahr?
Ja, deren Beteiligung war sehr wichtig für das Projekt – für sein Gelingen und für die Akzeptanz.
BZ: Es handelt sich bei K2030 um die tiefgreifendste Reform im Erzbistum seit seiner Gründung vor 200 Jahren. Anders als bei früheren Reformen waren die Gläubigen beteiligt. Das Stichwort dabei ist "Synodalität", was "gemeinsamer Weg" bedeutet. Wie lief das?
Bei der Synodalität geht es uns darum, von unten nach oben zu denken, statt umgekehrt, es geht um gegenseitiges Zuhören und gemeinsames Entwickeln. Eine frühe Einsicht von Erzbischof Burger war: Unsere Gesellschaft verändert sich, lokale Besonderheiten sind wichtig. Es gibt nicht mehr das eine zentrale Konzept, das vom Bodensee bis nach Mannheim passt. Verantwortung muss nach unten gegeben werden – nicht als Gnade, sondern weil dort passende Lösungen entstehen, damit Seelsorge und gelebtes Evangelium bei den Menschen ankommen.
"Der Wandel wird weitergehen."Barbara Winter-Riesterer
BZ: Wie waren die Erfahrungen mit der Beteiligung in der Konzeptionsphase (2019 bis 2022) und in der Transformationsphase (2023 bis 2025)?
Sie waren sehr positiv. Das gilt für die Raumplanung, als aus 224 Seelsorgeeinheiten mit 1048 kleinen Pfarreien 36 neue Pfarreien entstanden, die zugleich Kirchengemeinden nach staatlichem Recht sind, genauso wie bei der Entwicklung der 13 Ziele der Diözesanstrategie. Arbeitsgruppen vor Ort haben Vorschläge entwickelt, diese wurden dann im Diözesanforum 2022 mit seinen rund 200 Delegierten aus Räten und Gremien diskutiert und verändert, schließlich hat der Erzbischof den Beschluss in Kraft gesetzt. Diese Logik wird nun auf die 36 neuen Pfarreien übertragen. Die Teams mit Leitungsfunktion – Pfarrer, stellvertretender Pfarrer, Pfarreikökonomen und leitende Referenten – sind gefordert, Gremien und Engagierte zu beteiligen und gemeinsam zu planen, was vor Ort gewollt und nötig ist.
BZ: Jede Pfarrei hat eine sogenannte Gründungsvereinbarung formuliert. Wie groß sind da die Unterschiede?
Vom Prinzip her sind sie sich ähnlich, weil sie alle auf der Diözesanstrategie basieren, die wir gemeinsam entwickelt haben, so spielen etwa Ökumene und Diakonie in allen Gründungsvereinbarungen eine Rolle. Hinzu kommen unterschiedliche Schwerpunkte. So setzt etwa die Pfarrei Sigmaringen stark auf Trauerpastoral und Notfallseelsorge, im Murgtal stehen Familien, besonders jene in schwierigen Situationen, im Fokus. Viele Pfarreien setzen als großer Träger von Kindertageseinrichtungen auf starke Familienzentren, andere richten den Blick auf Vielfalt in der Liturgie. In allen Fällen gilt: Nicht das Erzbistum verordnet, sondern fördert, was vor Ort entsteht – unterstützt durch Fachwissen aus Seelsorge, Ökumene, Weltkirche und anderen Bereichen des Ordinariats.
BZ: Am 19. Oktober sind in den 36 Pfarreien die Pfarreiräte gewählt worden. Dabei lag die Wahlbeteiligung bei nur 9,6 Prozent.
Der Wert wirkt auf den ersten Blick gering, liegt aber leicht über den Zahlen anderer Bistümer und er ist höher als die Zahl der Gottesdienstbesuchenden. Insofern ist das Ergebnis gut, die neuen Pfarreiräte sind mit einem soliden Mandat ausgestattet.
BZ: Was wird ihre Aufgabe sein?
Gemeinsam mit der Pfarreileitung verantwortet der Pfarreirat die Strategie der Pfarrei und achtet auf deren Umsetzung. Er verabschiedet den Haushalt, ist bei Immobilienentwicklung mitentscheidend und setzt den Rahmen für die Arbeit in den Teams vor Ort. Einfach wird das nicht – umso wichtiger ist das Miteinander.
"Frau sein reicht natürlich nicht, es kommt auf die Kompetenz an."Barbara Winter-Riesterer
BZ: Sind alle Leitungsstellen besetzt? Und wie viele Frauen sind darunter?
Ja, alle Stellen sind besetzt. Die Zahl der Priester, die den leitenden Pfarrer unterstützen, reicht von vier in den kleinsten Pfarreien wie Murgtal und Lauda bis zu 16 in den großen Pfarreien Mannheim und Bruchsal, in Freiburg sind 13 Priesterstellen vorgesehen. Von den Pfarreiökonominnen und Pfarreiökonomen sind knapp ein Viertel Frauen, bei den Stellvertretungen ist es etwa die Hälfte. Auch unter den leitenden Referentinnen und Referenten ist etwa die Hälfte weiblich. Frau sein reicht natürlich nicht, es kommt auf die Kompetenz an. Aber die Projektleitung hat gezielt für Gleichstellung geworben und frauenfreundliche Rahmenbedingungen geschaffen.
BZ: Die Umsetzungsphase dauert dann bis 2030?
So kann man sagen, wobei die Kirchenentwicklung nicht 2030 endet. Der Wandel wird weitergehen. Ab dem neuen Jahr geht es ans Ausprobieren und das Erkennen, wo es Nachsteuerungen braucht. Die Seelsorge soll im Mittelpunkt stehen. Wir wollen mutig, agil und lernbereit sein und zugleich die Balance halten: Traditionen geben vielen Menschen Heimat; für andere braucht es neue Formen. Das Ordinariat will sich als Dienstleister verstehen und schnell und bedarfsorientiert unterstützen.
BZ: Müssen Ehrenamtliche künftig noch mehr leisten?
Das wäre so, wenn wir alles wie bisher fortführen würden. Doch wir müssen uns von manchem verabschieden und gemeinsam überlegen, was es vor Ort braucht. Für alle 36 Pfarreien gibt es eine vom Bistum finanzierte halbe Stelle für Engagementförderung, die die Ehrenamtlichen – neben diversen Unterstützungsangeboten – begleitet. Kirche wird 2030 anders aussehen – vielleicht mit weißen Flecken, aber mit vielen kraftvollen Orten.
Barbara Winter-Riesterer (56) ist Theologin und Organisationsentwicklerin und leitet die Stabsstelle Kirchenentwicklung und Strategie im Erzbistum Freiburg.
