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Syrien

UNO kann Flüchtlinge nicht mit dem Nötigsten versorgen

Annemarie Rösch
  • Sa, 28. November 2015, 00:02 Uhr
    Ausland

Die Lage der Flüchtlinge in Syrien und den umliegenden Ländern bleibt prekär: Noch immer fehlen dem Flüchtlingshilfswerk UNHCR viel Geld, um die Menschen mit ausreichend Nahrung und winterfesten Unterkünften zu versorgen.

  | Foto: Lucie Parsaghian
Foto: Lucie Parsaghian
Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) befürchtet einen Ausbruch der Cholera. Beschämend nennt er die Lage der Flüchtlinge. "Viele Menschen haben die Hoffnung verloren, dass sich ihre Lage bessern wird", sagt UNHCR-Pressereferent Martin Rentsch. Er sieht darin einen wesentlichen Grund, warum sich auch im Winter viele Kriegsflüchtlinge aufmachen, um ihr Glück in Europa zu versuchen. Der Entwicklungsminister warnte in der Augsburger Allgemeinen Zeitung gar vor einer neuen Flüchtlingswelle.

Die Mehrheit der Menschen, die aktuell in Europa eintreffen, flüchten nach Erkenntnissen des UNHCR direkt aus Syrien. Da Jordanien und der Libanon die Grenzen dicht gemacht haben, kommen sie über die Türkei. Einer der Gründe für die Grenzschließung: Im Libanon ist inzwischen jeder fünfte Bewohner ein syrischer Flüchtling. In Jordanien leben bei einer Bevölkerung von 6,7 Millionen Einwohnern 630 000 Syrer. Die Staaten sehen sich außerstande weitere aufzunehmen. "Doch auch in der Türkei sind die Lebensumstände schwierig", sagt Rentsch. Zwar hat das Land bereits 6,6 Milliarden Euro für die zwei Millionen syrischen Flüchtlinge ausgegeben, doch ihm gehen die Mittel aus. Die türkische Regierung, die am Wochenende mit der EU über dieses Thema verhandelt, fordert nun drei Milliarden Euro EU-Hilfe.

Nach Angaben des Welternährungsprogramms (WFP) stehen den Flüchtlingen in Syriens anderen Nachbarstaaten deutlich weniger als 27 Dollar Essenshilfe pro Kopf und Monat zur Verfügung. Diese Summe wäre nötig, um die Menschen so zu versorgen, dass keine Mangelerscheinungen auftreten. "Wir beobachten, dass viele Kinder viel zu klein sind für ihr Alter", sagt Ralf Südhoff, Leiter des WFP in Deutschland. Zudem nehme Prostitution und Kriminalität zu. Trotz dieser schwierigen Lage lässt die Hilfsbereitschaft der Geberländer noch immer zu wünschen übrig. Um die Flüchtlinge in Syriens Anrainerländern bis April 2016 ausreichend mit Lebensmitteln zu versorgen, bräuchte das WFP 305 Millionen Dollar. "Bisher fehlen uns noch 80 Prozent der Mittel", berichtet Südhoff. Deutschland hat allerdings seit Beginn der Flüchtlingskrise im Sommer seine Unterstützung deutlich aufgestockt, anders als viele arabische Länder (mit Ausnahme Kuwaits) oder EU-Staaten wie Frankreich.

Damit die Flüchtlinge gut über den Winter kommen können, mangelt es neben Nahrung auch an anderen wichtigen Hilfsgütern: Laut Ninja Charbonneau von Unicef Deutschland benötigt das Kinderhilfswerk 250 Millionen Dollar mehr, um Kinder und Jugendliche in Syrien und den arabischen Nachbarstaaten im November und Dezember ausreichend mit warmen Kleidern, Decken und Heizmaterial zu versorgen. Das Geld ist aber bisher nicht eingegangen. Ähnliches ist vom UNHCR zu hören. "Für 2015 haben wir 4,5 Milliarden US-Dollar veranschlagt, bekommen haben wir etwas über zwei Milliarden", sagt Martin Rentsch. Das Hilfswerk versorgt die Menschen unter anderem mit winterfesten Zelten, Isolierfolien und Öfen. "Wir müssten noch sehr viel mehr tun, um die örtlichen Behörden zu unterstützen", sagt Rentsch.

Besonders schwierig ist die Lage im Libanon. Dort leben die Flüchtlinge in 1500 wilden Siedlungen, da der libanesische Staat keine UNHCR-Zeltsiedlungen erlaubt. Damit will er verhindern, dass dauerhafte Ortschaften entstehen. "Die Befürchtung ist, dass die Menschen nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren, wenn der Konflikt beendet ist", sagt Südhoff. Offenbar hat die libanesische Führung auch Angst, dass dann das nach dem Bürgerkrieg mühsam ausgehandelte Gleichgewicht zwischen Religionen und Konfessionen aus dem Lot geraten könnte.

Die informellen Siedlungen im Libanon bestehen oft aus selbst zusammengezimmerten Hütten oder Zelten, die nicht winterfest sind. Viele Menschen leben auch in abbruchreifen Häusern, Garagen oder Lagerhallen. Anders als der Libanon arbeitet Jordanien dagegen gut mit dem UNHCR zusammen. Dort gibt es große vom UNHCR organisierte Zeltlager. Aber auch in Jordanien kommen viele Menschen privat unter. "Nach vier Jahren Krieg haben allerdings viele Syrer ihre Reserven aufgebraucht. Viele können sich ihre Mietwohnungen nicht mehr leisten", sagt Rentsch. Der Hilfsbedarf wird also weiter steigen.

Wenn es schon am Geld für das Nötigste fehlt, verwundert es nicht, dass die Ausbildung der Kinder oft auf der Strecke bleibt. "Viele nehmen die Kinder von der Schule, damit diese arbeiten und zum Familienunterhalt beitragen können", so Rentsch. "Wenn der Krieg in Syrien zu Ende ist, werden Menschen fehlen, die gut ausgebildet sind und das Land aufbauen können." In den UNHCR-Lagern selbst sieht es besser aus für die Kinder. Dort gehen sie nach Angaben von Unicef in der Regel bis zum 17. Lebensjahr in die Schule. "Wenn wir jetzt allerdings unsere Mittel für die Winterhilfe umschichten müssen, fehlt uns irgendwann für die Schulbildung das Geld", sagt Charbonneau.

Spendenkonten unter: http:// mehr.bz/syrienspenden

Ressort: Ausland

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Sa, 28. November 2015: PDF-Version herunterladen

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