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Versteckt, verdrängt, verschämt

  • Caroline Seemann, Klasse 9a, Grimmelshausen-Gymnasium (Offenburg)

  • Fr, 20. Dezember 2019
    Schülertexte

Immer mehr Menschen werden in Deutschland wohnungslos / Schuld daran ist auch der angespannte Wohnungsmarkt.

Ein Obdachloser liegt ohne Decke in einer Stuttgarter Unterführung.  | Foto: Sebastian Gollnow
Ein Obdachloser liegt ohne Decke in einer Stuttgarter Unterführung. Foto: Sebastian Gollnow
Die kälteste Jahreszeit steht bevor, warm angezogen laufe ich, wie viele andere Passanten auch, durch die weihnachtlich geschmückte Offenburger Innenstadt. In der Menschenmenge fällt mein Blick, wie etliche Male zuvor, auf einen Obdachlosen, der mit trister Miene am Rande des Geschehens sitzt. Wieder und wieder schwirrt mir dieselbe Frage im Kopf herum: "Wieso müssen Menschen im reichen Deutschland auf der Straße leben?"

In Deutschland, so die Zahlen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, haben 860 000 Menschen keinen mietvertraglich abgesicherten Wohnraum, davon sind 52 000 Menschen obdachlos. Diese sind nicht in Übergangswohnheimen, Notunterkünften oder Frauenhäusern untergebracht. Sie sind dem Leben auf der Straße ausgesetzt.

Obwohl jeder von ihnen das Recht auf Wohnen hat, wie es in der Charta der Vereinten Nationen als Menschenrecht festgeschrieben wurde, und auf kommunaler Ebene die Gemeinden dazu verpflichtet sind, Obdachlose unterzubringen, kommt bei manchen jede Hilfe zu spät. Das jahrelange Leben auf der Straße hat ihnen psychisch und körperlich so zugesetzt, dass sie kaum noch Hilfe annehmen und sich somit an den kalten Wintertagen im Extremfall zu Tode frieren.

Andere wiederum, die in Wohnheimen untergebracht sind, fallen nun aus der Statistik für die öffentliche Wahrnehmung aufgrund der Tatsache, dass sie jetzt nicht mehr als obdachlos gelten. Doch ohne eigene Wohnung bekommen die meisten keinen Job und ohne einen Job können sie sich keine Wohnung leisten. Dies wirkt wie ein ewiger Teufelskreis, der endlos scheint und dazu beiträgt, dass sie nicht mehr in ein geregeltes Leben zurückfinden.

Faktoren, die überhaupt zur Wohnungslosigkeit führen, sind unterschiedlich. Jedoch sind die Hauptursachen unerwartete Schicksalsschläge, wie der Verlust der Arbeitsstelle, die dazu führen können, dass Menschen durch ihre soziale und wirtschaftliche Notlage ins Abseits geraten und durch das soziale Netz fallen. Außerdem gibt es zu wenig bezahlbaren Wohnraum, da die Mieten drastisch gestiegen sind und die Anzahl der Sozialwohnungen für Bedürftige jährlich sinkt, obwohl die Anzahl der armen Menschen in den letzten 30 Jahren angestiegen ist.

In der Ortenau selbst gibt es rund 330 Obdachlose, die in Wohnheimen, wie dem Wohnheim St. Ursula in Offenburg oder in speziellen Unterkünften für Frauen mit gesonderter Betreuung in Kehl, wohnen. Zusätzlich unterstützt der Ortenaukreis die Obdachlosen, indem er gute Beratungs- und Betreuungsangebote in den Wohnheimen, Tagesstätten und den Hilfswerken anbietet. Dies bedeutet, dass es Anlaufstellen gibt, die bei Fragen und Problemen weiterhelfen, beispielsweise im Wohnheim St. Ursula oder Organisationen wie die Tafel, ein Verein, der Essen an Bedürftige verteilt. In der Weihnachtszeit gibt es zusätzlich zu diesen Hilfsprogrammen immer wieder neue Angebote für Obdachlose, zum Beispiel organisiert das Offenburger Restaurant Gugelhupf ein Weihnachtsessen für Bedürftige.

Jedoch ist die Situation der Obdachlosen nicht überall so gut geregelt und organisiert wie im Ortenaukreis. Die Anzahl der Obdachlosen soll in den nächsten Jahren bis auf 1,2 Millionen steigen, wenn die Regierung nicht anfängt, die Mietpreisbremse zu ziehen oder eine Erhöhung der Regelsätze für Hartz IV einführt.
Wir Bürger können nicht direkt Einfluss auf die politischen Entscheidungen nehmen, aber wir können Hilfseinrichtungen mit Geld- und Sachspenden unterstützen und bei den Organisationen mithelfen.

Aus den Augenwinkeln sehe ich noch den Obdachlosen auf seiner Aluminiummatte sitzen. Die Fußgängerzone ist belebt und im Geschiebe der Menschen ist die Momentaufnahme schon vorüber. Für mich war es ein kurzes Blitzlicht, für den Mann am Boden ist es Alltag, jeden Tag in diesem Winter.

Ressort: Schülertexte

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 20. Dezember 2019: PDF-Version herunterladen

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