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BZ-Interview

Warum es für junge Menschen immer schwieriger wird, ein Ehrenamt zu übernehmen

Frank Zimmermann
  • Fr, 30. Oktober 2015, 13:07 Uhr
    Freiburg

"Wo bleibt Zeit für Freiwilligkeit?", fragt ein Positionspapier des Stadtjugendrings. Im BZ-Interview erklärt Geschäftsführerin Stefanie Huppert, warum es so schwierig es ist, Freiwillige für die Jugendarbeit zu finden.

Trachtengruppen – im Bild Kinder aus St. Peter im September auf dem Freiburger Rathausplatz – haben Nachwuchssorgen. Foto: Thomas Kunz
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"Es bleiben kaum Freiräume. Junge Menschen sehen sich größerem Druck von Gesellschaft und Arbeitsmarkt ausgesetzt."
BZ: Frau Huppert, der Stadtjugendring weist in einem Positionspapier darauf hin, dass Jugendliche weder Zeit noch Geld haben, um sich neben der Schule ehrenamtlich zu engagieren.
Huppert: Über unsere Mitgliedsvereine sind wir auf das Thema aufmerksam geworden. Sich ehrenamtlich zu engagieren, ist mittlerweile nur erschwert möglich, die schulischen Bedingungen engen jugendliches Engagement sehr ein. Das betrifft generell junge Menschen zwischen 12 und 27, vor allem aber Schüler an Gymnasien. Denn das Thema spielt vor allem vor dem Hintergrund von G8 eine große Rolle. In den Vereinen sind in den Jugendleitungen insgesamt eher wenige Werkrealschüler vertreten. Diese Gruppe der Jugendlichen findet sich eher in der Offenen Jugendarbeit, doch auch dort ist ein Rückgang des Engagements zu spüren.



BZ: Schüler haben ein so volles Programm und schlichtweg keine Zeit mehr?
Huppert: Ja, aber auch die Ganztagsbetreuung erschwert ehrenamtliches Mitwirken.

BZ: Wieso das?
Huppert: Eltern müssen ihre Kinder zur Ganztagsbetreuung anmelden, diese dann mal eben zwei Stunden da rauszunehmen, ist nicht so einfach möglich. Den Vereinen fehlen somit oft schon die Kinder für ihre Arbeit. Diese bilden dann später wiederum den Nachwuchs für das jugendliche Engagement. Kaum ein Jugendlicher entscheidet sich mit 16 Jahren für einen Verein. Die meisten wachsen schon in den Vereinen auf, in denen sie sich später mit viel Einsatz engagieren.

BZ: Wie kann man dieses Dilemma lösen?
Huppert: Die Vereine werden die Elternarbeit verstärken müssen, das heißt, sie werden die Eltern auf ihr Angebot aufmerksam machen und ihnen aufzeigen müssen, dass es auch andere Möglichkeiten als die Ganztagsbetreuung für ihr Kind gibt. Die Vorteile einer Vereinsmitgliedschaft müssen öffentlich stärker präsent sein. Diese reichen nämlich weit über eine bloße Betreuung der Kinder hinaus. Die Kinder und Jugendlichen können in außerschulischen Kontexten vor allem Sozial- und Teamkompetenzen erwerben, die ihnen im späteren Leben sehr nützlich sind.

BZ: Und was ist mit den älteren Schülern?
Huppert: Mit sechzehneinhalb Jahren, dem Alter, in dem man Jugendleiter oder -leiterin wird, gehen heutzutage die Abiturvorbereitungen los, da bleibt den Jugendlichen während ihrer Schulzeit gerade mal ein Jahr für eine Jugendleitungstätigkeit. Und nach dem Abi beginnen viele gleich mit dem Studium und ziehen weg.

"In Vereinen lernen Jugendliche zum Beispiel, Verantwortung zu übernehmen."
BZ: Auch Studenten haben anscheinend kaum noch Zeit.
Huppert: Ja, mit der Einführung des Bachelorstudiums ist im Prinzip das Gleiche passiert wie bei G8: Es bleiben kaum Freiräume. Junge Menschen sehen sich größerem Druck von Gesellschaft und Arbeitsmarkt ausgesetzt.

BZ: Kann es noch andere Gründe für mangelndes ehrenamtliches Engagement junger Menschen geben?
Huppert: Dass sich das so verschärft hat, kann natürlich auch mit gesellschaftlichen Entwicklungen zusammenhängen; die sozialen Medien spielen da sicherlich auch eine Rolle. Sie lassen Jugendliche auch unverbindlicher sein. Ein Beispiel: Früher haben sich Jugendliche im Jugendtreff zu einer bestimmten Uhrzeit verabredet, und wenn sie dann woanders hingegangen sind und einer kam zu spät, wusste der nicht, wo die anderen sind. Heute sind Jugendliche immer und überall erreichbar. Daher ist es auch weniger entscheidend, pünktlich zu kommen oder verbindliche Absprachen zu treffen. Auch Anmeldungen für Aktivitäten fallen den jungen Menschen heutzutage schwer.

BZ: Der Stadtjugendring hat 24 Mitgliedsvereine. Sind alle gleichermaßen davon betroffen?
Huppert: Viele davon haben das Problem benannt. Der Bund der Katholischen Jugend (BDKJ) spürt beispielsweise das zurückgehende Engagement der Jugendlichen und hat sich deshalb schon viel mit dem Thema beschäftigt. Auch die Katholische junge Gemeinde (KJG) und die Pfadfinder spüren das Problem beim Leiternachwuchs. Manche Vereine wie die Trachtengruppe Freiburg-St. Georgen kämpfen mangels Nachwuchses ums Überleben.

BZ: Wie könnte man mehr Jugend- liche zu ehrenamtlicher Arbeit bewegen?
Huppert: Wichtig wäre, dass es bei der Ganztagsbetreuung mehr Flexibilität gibt, damit diejenigen Schüler, die in Vereinen mitmachen wollen, nicht ausgebremst oder gar benachteiligt werden. Die Strukturen des Schulsystems sind da schon sehr fest. Schüler könnten zum Beispiel teilweise vom Unterricht freigestellt werden, um ehrenamtliche Arbeit zu leisten, und diese könnte mit dem Nachmittagsunterricht verrechnet werden. Schließlich passiert ganz viel Bildungsarbeit auch in Vereinen.

BZ: Das sollte mehr honoriert werden.
Huppert: Genau. Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen schauen bei der Auswahl ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ja auch sehr auf außerschulisches Engagement. In Vereinen lernen Jugendliche zum Beispiel, Verantwortung zu übernehmen. Sie sind als Gruppenleitungen für andere Kinder und Jugendliche zuständig, haben rechtliche Regeln, an die sie sich halten müssen und übernehmen gleichzeitig die Organisation von Programmen, Veranstaltungen, Freizeiten, et cetera. Solche organisatorischen Aufgaben – wenn beispielsweise ein Ferienlager geplant wird – haben Ernstcharakter, was selbstbestimmtes Tun und die Bereitschaft zu Engagement fördert. Und Jugendleitungen bekommen eine qualifizierte Ausbildung, das ist nicht nur Spaß, sondern erfordert persönlichen Einsatz.

BZ: Wo muss man ansetzen?
Huppert: Wir sind an dem Thema schon seit einer Weile dran. Eine Musterlösung haben wir nicht parat. Die Vereine sind im Laufe der Zeit immer wieder Veränderungen ausgesetzt und in ihren Strukturen beweglich, die schulischen Strukturen kann man hingegen nicht so einfach aufbrechen. Die Angebote der verbandlichen Jugendarbeit und auch die der Offenen Kinder- und Jugendarbeit sollten als Ergänzung zum Schulcurriculum wahrgenommen werden. Kooperationen funktionieren nur, wenn sich die Menschen in den Systemen wertschätzend gegenüberstehen und nicht ein System auf kosten des anderen profitiert. Die Vereine nannten uns im letzten Jahr auch vor allem dieses Problem. Derzeit sind Kooperationen mit Schulen nur zu deren Bedingungen möglich. Dabei verlassen die Vereine jedoch die Erfolgskriterien ihrer Arbeit. Deshalb ist langfristig das Problem, wie viel Offenheit in das geschlossene System Schule zu bekommen ist.
Stadtjugendring

Der Stadtjugendring ist der Dachverband für 24 Vereine und Verbände in der Stadt sorgt sich um außerschulische Bildung und außerschulisches Engagement, das junge Menschen in ihrer Persönlichkeit fördert und ihnen die Teilhabe in der Gesellschaft ermöglicht.

Zur Person

Stefanie Huppert, 27, ist Geschäftsführerin des Stadtjugendrings Freiburg. Kindheit und Jugend verbrachte sie im Schwarzwald-Baar-Kreis und wurde sozusagen bei der KJG (Katholische Junge Gemeinde) und dem BDKJ (Bund der Katholischen Jugend) groß. Von 2007 bis 2013 studierte sie an der Pädagogischen Hochschule Freiburg und schloss im Fach Erziehungswissenschaft mit dem Master ab. Anschließend arbeitete sie eine kurze Zeit beim Caritas-Bildungszentrum im Projekt "Erfolgreich in Ausbildung" mit und lernte die schulische Bildungsarbeit an Werkrealschulen kennen. Außerdem arbeitet sie schon lange als Erlebnispädagogin. Weitere Informationen zum Stadtjugendring Freiburg und den Jugendorganisationen und -verbänden, die zu seinen Mitgliedern gehören, im Internet unter: http://www.stadtjugendring-freiburg.de. Kontakt: [email protected]; Tel. 0761/156480825.

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Ressort: Freiburg

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