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Erst anpacken, dann einpacken?

Sebastian Wolfrum

Von

Mi, 08. März 2017

Eichstetten

Warum werden integrierte Ausländer trotz einer festen Arbeit abgeschoben? 60 Firmen in Kreis und Land schildern Beispiele.

Foto: dpa
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BREISGAU-HOCHSCHWARZWALD. Badinding Jaiteh arbeitet hart, doch der Mann aus Gambia soll abgeschoben werden. Er ist bei einer Baufirma in Eichstetten angestellt. Seine Chefin will sich dafür einsetzen, dass Menschen, die arbeiten, auch bleiben dürfen. Mit ihrer Initiative trifft sie einen Nerv. Bereits 60 Firmen aus dem ganzen Land haben sich bei ihr gemeldet. Sie alle stellen dieselbe Frage: Warum müssen die Menschen gehen, die anpacken? Kritiker sagen: genau das sei politisch gewollt.

Eine Platte nach der nächsten hieven Badingdin Jaiteh und seine Kollegen aus der Schaufel des Baggers und tragen sie über den matschigen Boden. Hier am Fuße der Weinberge zwischen Eichstetten und Bötzingen soll eine kleinere Mehrzweckhalle entstehen. Die vier Männer bereiten das Fundament vor, das aus Beton gegossen werden soll. Alle packen an, Jaiteh ist der einzige auf der Baustelle ohne graue Haare. "Wir haben jahrelang nach Mitarbeitern gesucht", sagt Beate Meier. Im vergangenen Jahr hat das Baugeschäft, das sie und ihr Mann betreiben, endlich jemanden gefunden. Sie sind zufrieden mit Jaiteh, die Caritas hat ihn über ein Praktikum vermittelt. Er sei fleißig und freundlich, inzwischen verstehe er sogar den Kaiserstühler Dialekt, sagt Meier.

Aber wenn es nach dem Regierungspräsidium Karlsruhe geht, muss die Eichstetter Firma bald wieder auf Personalsuche gehen. Die Behörde ist für Badinding Jaitehs Fall zuständig, er soll abgeschoben werden. Der Mann aus Gambia war bereits 2008 nach Europa gekommen, damals hatte er in Italien einen ersten Asylantrag gestellt. Und nach der Dublin-Verordnung der EU ist damit Italien verantwortlich für das Asylverfahren. Jaiteh wurde schon mal dorthin abgeschoben, erst im vergangenen Oktober. Er kam zurück, stellte einen Asylfolgeantrag – doch es sieht so aus, als hätte auch dieser keinen Erfolg. Die Behörden wollen ihn zurück nach Italien schicken.

Das mag nach den gültigen Gesetzen richtig sein, für Beate Meier ist das "Irrsinn". Warum darf einer, der anpackt und sich einbringt, nicht hierbleiben? Zumal wenn er Arbeit übernimmt, für die sich jahrelang niemand beworben hat. Meier will es nicht einfach hinnehmen, dass Jaiteh abgeschoben wird. Nicht nur, weil es ihr um den Einzelfall geht. Es ist die darüberliegende Frage, die sie umtreibt. Sie hat einen Runden Tisch ins Leben gerufen, mit Vertretern von Jobcenter, Handelskammer und Caritas gesprochen. Sie hat sich mit Schreiben an Bundestagsabgeordnete gewandt. Vor wenigen Tagen erst diskutierte sie mit dem SPD-Abgeordneten Gernot Erler über Schwächen des Einwanderungsgesetzes.

Und sie hat den Kontakt mit anderen Firmen gesucht – und dabei festgestellt, dass sie mit ihren Fragen alles andere als allein ist. In nur zwei Wochen haben sich etwa 60 Firmen aus ganz Baden-Württemberg bei ihr gemeldet und ihre Fälle geschildert. Darunter sind etwa der Sportartikelhersteller Vaude, das Nobelrestaurant Schwarzer Adler oder die Bäckerei Reiss-Beck.

Arbeit bringt kein

Aufenthaltsrecht

In der Excel-Tabelle Meiers stehen Bauunternehmen aus Ulm genauso wie Senioreneinrichtungen in Villingen oder Metzger in Bahlingen. Sie alle beschäftigen Menschen aus Gambia, Afghanistan, Nigeria oder dem Senegal und würden das gerne weiter tun. Doch ihre neuen Mitarbeiter sollen abgeschoben werden.

Genau das sei politisch so gewollt. Diesen Vorwurf hört man von vielen Asyl- und Migrationsexperten. "Das ist offizielle Regierungspolitik", sagt Bernd Mesovic, Abteilungsleiter Rechtspolitik bei der Nichtregierungsorganisation Pro Asyl. "Asylverfahren sollen keine Hintertür für Arbeitsmigration werden", sagt er über die Perspektive der politisch Verantwortlichen. Menschen, die über ihr Asylverfahren kein Bleiberecht bekommen, soll der Weg über den Arbeitsmarkt versperrt werden. Trotz Fachkräftemangels und Demografischen Wandels – ein Job allein soll nicht reichen, um in Deutschland bleiben zu dürfen.

Dahinter mag die "optimistische Einschätzung" einer gesteuerten Zuwanderungspolitik stecken, so Mesovic. Es gehe auch um politischen Druck von rechts. Deshalb werde derzeit verstärkt abgeschoben. "Vielleicht können wir nach der Wahl überlegen, was wir mit den Menschen machen, die noch hier sind", sagt der Mann von Pro Asyl. Bei Mesovic werden Erinnerungen wach an die Sätze des CSU-Generalsekretärs Andreas Scheuer. "Das Schlimmste ist ein fußballspielender, ministrierender Senegalese. Der ist drei Jahre hier – als Wirtschaftsflüchtling. Den kriegen wir nie wieder los", sagte Scheuer 2016.

Mit den Abschiebungen soll aber nicht nur der AfD der Wind aus den Segeln genommen werden. Es gibt auch die Angst vor einer Sogwirkung. Deutschland ist mit das attraktivste Land in Europa für Flüchtlinge und Emigranten. Neben Sicherheit gibt es hier vor allem eines: eine wirtschaftliche Perspektive. Und Positivbeispiele von Menschen aus Afrika, die es schaffen, in Deutschland eine Existenz aufzubauen, hätten eine unerwünschte Nebenwirkung: noch mehr Menschen, die sich voller Hoffnung auf den Weg machen. "Dieser Pull-Faktor ist ein offensichtlicher Grund für Abschiebungen", sagt Wolfgang Busse, Leiter des Fachdienstes Migration und Integration beim Caritasverband Breisgau-Hochschwarzwald. "Dabei könnten wir hier eine klassische Win-win-Situation haben", sagt Busse. Die Firmen, meist in den Branchen, die wegen des Nachwuchsmangels ächzen, fänden Mitarbeiter. Die Menschen könnten sich integrieren, und sie könnten Beispiel für andere Flüchtlinge im Land werden. "Wir haben den Eindruck, dass gerade verstärkt Menschen abgeschoben werden, die schon länger da sind", sagt Sean McGinley, der Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg. Er sieht eine weitere Ebene, auf der Deutschland von Asylsuchenden in Arbeit profitieren könne. Denn Vorurteile würden sich schnell relativieren, wenn der neue Nachbar oder Kollege mit anpackt. Wer schafft, ist schneller akzeptiert.

Das Bundesinnenministerium sagt auf Anfrage der BZ, dass Arbeit kein Aufenthaltsrecht mit sich bringe. "Es führt zu einer Aushöhlung der Steuerungsfunktion unseres Arbeitsmigrationsrechts, wenn man jeden, der einen Job als Asylbewerber hier gefunden hat, dauerhaft als Arbeitnehmer im Land behalten würde", so ein Sprecher des Ministeriums.

Badinding Jaiteh lässt für einen Moment die Arbeit in den Weinbergen ruhen. "Ich möchte gerne einfach meiner Arbeit nachgehen und in Frieden leben", sagt der 41-Jährige. Er spricht ruhig, klopft mit der rechten Hand auf sein Herz. "Ich bete jeden Tag, dass ich hier bleiben kann." Doch seine Aussichten auf eine Zukunft in Deutschland stehen wohl schlecht. "Die Ausübung einer Beschäftigung stellt kein rechtliches oder tatsächliches Vollzugshindernis dar, so dass eine Duldung aus diesem Grund nicht in Betracht kommt", schreibt das Regierungspräsidium Karlsruhe. Spielraum habe die Behörde nicht. "Ein Ausländer ist abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist." Ausnahmen werden derzeit nur für Menschen in Ausbildung gemacht. Der letzte Weg kann über die Härtefallkommission des Landes führen. Wer mindestens drei Jahre im Land ist, wirtschaftlich unabhängig ist und als sozial integriert gilt, hat eine Chance. Jaiteh ist seit 2014 in Deutschland.

Beate Meier schüttelt den Kopf, als sie auf der Baustelle über den Fall ihres Mitarbeiters nachdenkt. "Da heißt es immer, die Leute müssen integriert werden – dann macht man etwas, und sie werden abgeschoben." Es sind besonders mittelständische Firmen, die Flüchtlinge anstellen, nicht die Dax-Unternehmen. "Wenn es keine Rechtssicherheit gibt, wird das aber nicht funktionieren", sagt sie. Ein Mitarbeiter des Jobcenters riet ihr, nur Menschen anzustellen, die aus Ländern mit guter Bleibeperspektive kommen. Wenig praktikabel, sagt Meier, gefunden haben sie so niemanden. "Vielleicht bin ich etwas blauäugig. Aber warum müssen die gehen, die hier Gas geben? Wir brauchen die Leute", sagt sie. Sie will weiterkämpfen, das Thema an die Öffentlichkeit und die Politik tragen. Fast täglich melden sich neue Firmen bei ihr.

Der Druck aus der Wirtschaft habe schon einmal dazu geführt, dass in Deutschland anders mit Flüchtlingen und Aufenthaltserlaubnissen umgegangen wurde, sagt Bernd Mesovic von Pro Asyl. Nach dem Krieg in Jugoslawien in den 1990er-Jahren verloren viele ihren Status als Flüchtling und sollten Deutschland wieder verlassen. "Sie hatten aber inzwischen Fuß gefasst, viele hatten eine Facharbeiterausbildung", sagt Mesovic. Nachdem es damals Zehntausende in die USA zog, schrieben besonders süddeutsche Arbeitgeber Brandbriefe an die Politik, sie wollten ihre Mitarbeiter behalten. Ihre Initiative hatte in Teilen Erfolg. Bürgerkriegsflüchtlinge, die seit mindestens sechs Jahren in Deutschland lebten und seit mindestens zwei Jahren gearbeitet hatten, durften in Deutschland bleiben.

Ressort: Eichstetten

  • Veröffentlicht in der gedruckten Ausgabe der BZ vom Mi, 08. März 2017:
  • Zeitungsartikel im Zeitungslayout: PDF-Version herunterladen

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