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Musik

Was bringt uns dazu, das Tanzbein zu schwingen?

Susanne Donner
  • Sa, 05. Dezember 2015, 00:00 Uhr
    Bildung & Wissen

Erst wippen wir mit den Füßen, dann wiegen wir die Hüften: Forscher versuchen herauszufinden, warum wir bei bestimmten Songs nicht mehr stillsitzen können.

Musik ohne  Bewegung? Zumindest unser Hirn kann das nicht.  | Foto: photocase.de/Janski
Musik ohne Bewegung? Zumindest unser Hirn kann das nicht. Foto: photocase.de/Janski
Ein starr dasitzender Schlagzeuger, das ist nicht nur ziemlich unvorstellbar – es ist auch unmöglich, so Musik zu machen. Der Rhythmus entspringt seinem Körper; er entspricht einem unsichtbaren subtilen Tanz. Körperregulation nennen die Musiker das Prinzip, das ihnen dabei hilft, den Takt zu wahren. Es ist wie der Schlag einer inneren Uhr, ohne zu zählen.

Schon Neugeborene reagieren auf Rhythmus

Musik bewegt den Menschen schon von klein auf. Neugeborene reagieren auf rhythmische Veränderungen in der Musik, bemerkte der ungarische Psychologe Istvan Winkler von der Ungarischen Akademie der Wissenschaften in Budapest. Er spielte 14 Neugeborenen im Schlaf über Kopfhörer eine rockige Komposition aus Trommel, Bass und Schlagzeug vor. Ließ er den ersten betonten Schlag im Rhythmus weg, reagierten die Kleinen mit veränderten Hirnströmen. Der Forscher leitet daraus ab, dass die Babys die rhythmische Struktur wahrnehmen und ihre Wiederkehr erwarten. Wenn diese Erwartung sich nicht erfüllt, reagiert ihr Gehirn.

Auf andere, subtilere Veränderungen des Rhythmus’ reagierten die Neugeborenen allerdings nicht, berichtete der Forscher 2009. Doch ist für Winkler klar, dass das Gespür für Musik angeboren ist und nicht erst im Laufe des Lebens erworben wird.

Lange bevor Kinder laufen lernen, können sie Arme und Beine zur Musik bewegen. Das belegt auch Marcel Zentners Studie an 120 Säuglingen, die er 2010 veröffentlicht hat. Er spielte den Kindern klassische Kompositionen, Trommelmusik und eine Sprachaufnahme vor. Zur Musik wippten die Kleinen mit den Armen und Beinen. Dabei waren sie häufiger im Takt als das zufällig der Fall sein konnte. Beschleunigte sich der Rhythmus, strampelten sie ebenfalls schneller. Und offensichtlich spürten die Babys, wenn sie sich synchron zu Musik bewegten. Dann lächelten sie oftmals, schreiben Marcel Zentner von der britischen Universität von York und sein Kollege Tuomas Eerola.

Stillsitzen? Ist bei Musik schwierig!

Bis ins Erwachsenenalter bleibt der Impuls, sich beim Lauschen von Musik zu bewegen. Ein Drang, den wir sogar verspüren, wenn wir eigentlich Stillsitzen müssen. Neurobiologisch ist das nur naheliegend. "Denn das auditorische System hat sich aus dem Gleichgewichtssystem und damit aus einem Bewegungssystem entwickelt", sagt der Musikpsychologe Stefan Kölsch vom Leipziger Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften. Viele Nervenfasern des Gleichgewichtssystems reagieren unmittelbar auf akustische Reize. Das kann erklären, weshalb wir fast unwillkürlich mit dem Fuß wippen, wenn wir Musik hören. Auch in Hirnscans wird offensichtlich, dass Musik immer bewegt. Sie aktiviert stets auch die motorischen Areale – selbst wenn der Proband still im Magnetresonanztomografen liegt.

"Wir haben auch nur in unserer Kultur das merkwürdige Phänomen, dass Menschen still dasitzen und Musik und Tanz konsumieren. In anderen, vor allem afrikanischen Kulturen gibt es manchmal nicht einmal andere Wörter für Tanz, Sprache und Musik", erklärt Kölsch.

Musizieren, dazu zu tanzen und zu singen ist ein uraltes, von Menschen praktiziertes gemeinschaftliches Erlebnis, das die soziale Zusammengehörigkeit stärkt und Kooperation fördert. Und doch ist der Drang, sich zu bewegen individuell unterschiedlich. Dem einen kribbelt es bei dem 80er-Jahre-Hit "I’m so Excited" von den Pointer Sisters in den Füßen, der andere kann beim Donauwalzer nicht mehr still sitzen. Die Forscher sprechen vom "ultimativen Groove". Musik grooved für uns umso mehr, je besser sie uns gefällt und je klarer wir den Rhythmus heraushören, entdeckte Petr Janata vom Center of Mind and Brain an der University of California in Davis. "Je grooviger wir die Musik finden, desto leichter fällt es uns auch, uns im Rhythmus zu bewegen", bestätigt die Hirn- und Musikforscherin Jessica Grahn von Western University, in London, Ontario in einer Untersuchung von 2014. "Und desto längere und schnellere Schritte machen wir dazu."

Groove ist mehr als nur Rhythmus

Doch Rhythmus alleine reicht für den ultimativen Groove nicht aus. Ein monotones Raka-taka-raka-taka-tak wäre selbst dem gutmütigsten Zuhörer auf Dauer zu langweilig. Auf Ebene der rhythmischen Struktur braucht es klar wiederkehrende Elemente – und dann den überraschenden Bruch mit diesem Muster durch Synkopierung, also durch andersartige Betonung des Rhythmus, meint Sofia Dahl, Rhythmusforscherin von der Aalborg Universität in Kopenhagen. "Der Bruch mit der Erwartungshaltung versetzt uns in eine Art kurzzeitigen Rausch, das mögen wir." Im Elektroenzephalogramm, also in der Aufzeichnung der Hirnströme, ist er als deutlicher Ausschlag zu sehen. Trotzdem: Was Musik für unsere Ohren tatsächlich betörend macht, ist noch unklar, oder, wie Dahl sagt "Gegenstand laufender Forschung".

Welche Rhythmen uns schunkeln lassen, ist – zumindest bei Erwachsenen – auch eine Frage der Kultur. Das ist das Fazit einer neuen Studie von Jessica Grahn mit nordamerikanischen und ostafrikanischen Probanden. Beide konnten zwar die Rhythmen des jeweils anderen Kulturraums ebenso gut wahrnehmen wie die vertrauten Klänge. Doch als sie die Rhythmen klopfen sollten, gelang das bei den jeweils vertrauten Takten – mal Drei-Viertel, mal Vier-Viertel – viel besser als bei der fremdartigen Musik. Und so hilft es vermutlich, in den 80er Jahren aufgewachsen zu sein, um einen Song der Zeit als ultimativen Groove zu empfinden.

Ressort: Bildung & Wissen

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Sa, 05. Dezember 2015: PDF-Version herunterladen

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