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Stress-Symptom

Was gegen Zähneknirschen helfen kann

Petra Völzing

Von

Mo, 09. Mai 2016 um 00:00 Uhr

Gesundheit & Ernährung

Es klingt wie ein Mahlstein: Jeder fünfte Mensch knirscht oder presst unbewusst mit seinen Zähnen. Entspannung und Zahnschienen können helfen, Schäden an den Zähnen zu vermeiden.

Wenn der Kiefer verspannt ist, könnte das am Knirschen liegen.  | Foto: proDente e.V.
Wenn der Kiefer verspannt ist, könnte das am Knirschen liegen. Foto: proDente e.V.
Der Job, die Familie, Geldnöte oder einfach der hohe Anspruch an sich selbst: Jeder Mensch knabbert mehr oder weniger intensiv an seinen persönlichen Sorgen oder Herausforderungen. Manch einer tut dies im wörtlichen Sinne. Zähneknirschen und Zähnepressen, unter dem Sammelbegriff Bruxismus gefasst, sind schon fast eine Volkskrankheit. Nach einer nordamerikanischen Studie pressen oder knirschen etwa 20 Prozent der Bevölkerung. Sechs bis acht Prozent leiden an einer schweren Form des Bruxismus. Unterschieden wird auch nach Schlaf- und Wachbruxismus, wobei das Pressen im Wachzustand häufiger vorkommt als das Knirschen beim Schlafen.

Zähnärzte können Schleifspuren feststellen

Sandra Petschler gehört zu den Knirscherinnen. Vor fünf Jahren sagte ihr der Zahnarzt, sie habe Schliffspuren an den Zähnen. Offensichtlich mahlte sie im Schlaf mit den Kiefern so stark gegen einander, dass die Zähne schließlich in Mitleidenschaft gezogen wurden. "Ich habe das selbst überhaupt nicht gemerkt", sagt die 47-jährige Architektin, auch ihr Mann habe nächtens nichts davon gehört. Seitdem trägt sie zum Schlafen am Oberkiefer eine Kunststoffschiene, mit der die Zähne gegen das nächtliche Knirschen geschützt werden.

Sandra Petschler ist kein Einzelfall. "Neun von zehn Betroffenen merken selber nicht, dass sie bruxen", sagt Jens C. Türp, Professor am Universitären Zentrum für Zahnmedizin Basel (UZB). Meist kämen sie aus anderen Gründen zum Zahnarzt und seien von der Diagnose überrascht. Viele wiesen die Tatsache auch erst einmal weit von sich. Grund dafür ist, dass Bruxismus im Laienverständnis oft mit psychischen Problemen in Zusammenhang gebracht wird. Türp dringt hier auf mehr Gelassenheit: "Bruxismus ist nicht allzu tragisch", sagt er, außerdem gebe es auch keine klare Grenze, ab wann Kieferbewegungen mit Zahnkontakt tatsächlich als Bruxismus einzuordnen seien.

Bis heute führt man das Zähneknirschen auf ganz unterschiedliche Ursachen zurück: Von Zahnfehlstellungen über genetische Faktoren, Schlafstörungen, Angst, Depression bis hin zum Drogenkonsum. Als Hauptursache gilt emotionaler Stress – und davon ist so ziemlich jeder Mensch betroffen, zumindest zeitweise. Nachgewiesen ist auch, dass es bei Menschen zu stärkerer Aktivität des Unterkiefers kommt, wenn in ihrem Körper vermehrt Dopamin ausgeschüttet wird. Das passiert etwa bei der Einnahme von Drogen wie Heroin, Amphetaminen, Ecstasy oder Chrystal Meth. Ähnliches gilt für manche Medikamente, zum Beispiel für einige Antidepressiva. Auch wer sehr viel Kaffee, Nikotin oder Alkohol zu sich nimmt, schüttet Dopamin aus, allerdings in viel kleineren Mengen als bei harten Drogen.

Das Knirschen kann Kieferschmerzen verursachen

Zwar bleibt Bruxismus oft erst einmal unbemerkt, es gibt aber auch Betroffene, die unter Verspannung der Kiefer und unspezifischen Schmerzen leiden. Das ist kein Wunder, denn auf den Zähnen lastet beim Knirschen ein extrem hoher Druck. "Die Zähne sind im Knochenfach an einem Bandapparat leicht beweglich aufgehängt", erklärt Türp. Die dortigen Mechanorezeptoren registrieren Druck. Sogenannte Nozizeptoren nehmen Reize auf, die möglicherweise vom Hirn als Schmerz wahrgenommen werden. Das allerdings ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich.

Mancher Zahnarzt erkennt die wahren Ursachen dieser Schmerzen nicht und fahndet nach Anzeichen von Karies oder Wurzelentzündungen. Fehlbehandlungen können die Folge sein.

Ob ein Patient an Bruxismus leidet, lässt sich in vielen Fällen vom Zahnarzt am Schläfenmuskel und am Masseta, dem Muskel zwischen Jochbein und Unterkiefer, ertasten, denn diese sind dann häufig durch die starke Beanspruchung vergrößert. Dadurch haben Betroffene häufiger eine eckige Untergesichtsform.

Auch ein Algometer, das die Druckschmerzempfindlichkeit misst, ist für einen genaueren Befund hilfreich. "Weil Muskel und Kiefergelenke so gefordert sind, reagieren sie bei Druck schmerzempfindlich", erklärt Türp. Das gelte häufig auch für Bruxismus-Patienten, die sonst keine Schmerzen hätten. Mit dem Algometer werden 500 Gramm Druck auf die Kiefergelenke und 1000 Gramm Druck auf die Kaumuskeln ausgeübt. Über die standardisierte Messung gelangt man zu aussagekräftigen und vergleichbaren Ergebnissen. In seltenen, besonders schweren Fällen kann die Untersuchung in einem Schlaflabor sinnvoll sein.

Schmerzen und Spannungsgefühle können eine Folge der fortgesetzten Belastung sein; vor allem aber leiden die Zähne darunter. "Die Abschleifungen kann man sich bildlich vorstellen wie bei einem geköpften Ei, man sieht außen das Eiweiß, das ist der Zahnschmelz, und innen kommt das Eigelb zum Vorschein, das entspricht dem nach und nach freigelegten Zahnbein. Auch das ist erst mal nicht tragisch", sagt Türp. Wenn aber zu viel abgeschliffen sei, könne es manchmal schwierig werden, ohne größeren Aufwand eine Krone oder eine Brücke anzubringen. Beim Pressen werden die Zähne nicht abgeschliffen, es kann aber zum keilförmigen Defekt kommen, ein Zahnsubstanzverlust an der Außenseite der Zähne.

Verschiedene Therapien können helfen

Gegen die Symptome sollte der Betroffene auf jeden Fall etwas unternehmen. "Bei der Therapie ist eine Kombination aus Selbstbeobachtung, Muskelentspannung und dem Tragen einer Schiene sinnvoll", sagt Türp. Davor steht eine ausführliche Aufklärung. Türp nennt das "Informationstherapie". Für die Selbstbeobachtung kleben die Patienten farbige Punkte an Stellen, auf die sie im Alltag immer wieder zufällig schauen. Sobald sie einen solchen Punkt erblicken, sollen sich sich selbst fragen, ob ihre Kiefer in diesem Moment Kontakt haben. "Man kann das Knirschen und Pressen dadurch nicht abstellen, aber die Bewusstwerdung darüber, wie häufig man die Zähne eventuell zusammenbeißt, ist für eine Therapie schon sehr hilfreich", meint der Experte.

Mit einer Methode der Muskelentspannung kann erreicht werden, dass der Patient weniger häufig und weniger heftig presst oder knirscht. Dabei kommen ganz unterschiedliche Methoden in Frage. Die Technik der progressiven Muskelentspannung nach Jacobsen genauso wie Yoga oder autogenes Training. "Da muss jeder rausfinden, was für ihn passt", meint Türp. Wichtig sei nur, dass die Technik regelmäßig angewendet wird. Natürlich werden dann alle Muskeln des Körpers entspannt. "Das ist wie bei einer Schmerztablette. Man nimmt sie gegen Schmerz in einem bestimmten Gelenk, letztlich werden aber alle Gelenke beglückt", sagt Türp. In manchen Fällen kann auch eine Psychotherapie sinnvoll sein, um gezielt daran zu arbeiten, weniger gestresst zu sein.

Als Ergänzung zu Selbstbeobachtung und Entspannung sollte aber nach Meinung von Türp in der Nacht eine Schiene getragen werden, um die Zähne zu schützen. Er empfiehlt eine Form, die alle Zähne bedeckt, das sei nicht bei allen Schienen der Fall. Der Experte hält die so genannte Michigan-Schiene für die beste Lösung, eine Schiene aus hartem Plexiglas mit einem glatten Außenrelief, das nur an den Eckzähnen kleine Rampen hat, über die die nächtlichen Knirschbewegungen geführt werden. Diese wird aber von der Kasse nicht bezahlt. Das findet Türp unverständlich: "Diese Schiene hält, wenn sie richtig gemacht wurde, bestimmt zehn Jahre, das würde sich für die Kassen auf jeden Fall rentieren."

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Ressort: Gesundheit & Ernährung

  • Zum Artikel aus der gedruckten BZ vom Mo, 09. Mai 2016:
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