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Wer hat den meisten Anspruch auf Mitleid?

Ursula Thomas-Stein
  • Di, 27. März 2018
    Literatur & Vorträge

Anna Woltz’ Roman "Für immer Alaska".

Nachts um zwei bricht eine Zwölfjährige getarnt mit einer Biwakmütze bei einem Klassenkameraden ein. Sie will seinen Hund Alaska entführen. Dazu kommt es aber nicht, sondern zu vertrauensvollen Gesprächen zwischen zwei Menschen, die eins besonders verbindet: ein Hund, der in der Familie des Mädchens aufwuchs und jetzt Assistenzhund des Jungen mit Epilepsie ist. Aber sie haben noch mehr gemeinsam: Zufällig sind sie beide neu in derselben Klasse. Und sie haben Angst, ja Panik, vor Kontrollverlust. Sven will am ersten Schultag etwas "Großartiges machen": "Wenn ich nichts mache, bin ich innerhalb von einer Woche dieser bedauernswerte Junge aus der 7b. Der Junge, der jeden Tag von seinem Vater zur Schule gebracht und von seiner Mutter wieder abgeholt wird. Der nie allein sein darf." Parker ist furchtbar vorsichtig und umsichtig, sie deutet vieles an. Dass ihre Eltern kürzlich überfallen wurden, spielt auch noch eine Rolle. Und doch verliert sie bei der Vorstellungsrunde die Fassung – weil sie in Svens Husky-blaue Augen guckt. Sie fühlt sich von ihm provoziert, als Opfer. Sven fühlt sich als Freak.

Die Ich-Erzähler kommen abwechselnd zu Wort, und der Perspektivwechsel bringt neue Einsichten, zum Beispiel als Sven gleich am ersten Tag einen Anfall hat: Eben schildert Parker, wie der Junge plötzlich in der Klasse gespenstisch lacht, schmatzt und die Augen verdreht; darauf ist Sven selbst dran: "Es fühlt sich an, als würde ich aus dem Wasser auftauchen. Es ist passiert. Das kann gar nicht anders sein. (...) Alle starren mich an. Das war’s also. Ab jetzt bin ich dieser Junge aus der 7b, der einem nur leidtun kann." Stimmt gar nicht – Parker berichtet, wie sich nach Schulschluss die Mädchen immer noch über Sven unterhalten: "Sie hatten ihn sowieso schon witzig und cool gefunden, aber jetzt war er auch noch ein armer Kerl." Parkers Tarnung fliegt auf, und es kommt zwischen den beiden zur Krise. Die Kernfrage lautet: Wem gehört Alaska? Oder besser: Wer hat den größeren Anspruch auf Mitleid? "Für immer Alaska" ist die Geschichte einer Freundschaft unter Außenseitern, mitreißend erzählt, mit viel Witz und auch viel Ernst.

Anna Woltz: Für immer Alaska. Roman. Aus dem Niederländischen von Andrea Kluitmann. Carlsen Verlag, Hamburg 2018. 176 Seiten, 12 Euro. Ab 10.

Ressort: Literatur & Vorträge

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Di, 27. März 2018: PDF-Version herunterladen

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