Vogelgrippe
Wildtierexperte warnt: "Man sollte tote Vögel nicht anfassen"
Getötete Nutztiere, Massensterben bei Wildvögeln: Die Vogelgrippe greift um sich. Der Wildtierexperte Gernot Segelbacher erklärt im Interview, wie gefährlich das Virus für den Menschen ist.
So, 2. Nov 2025, 7:00 Uhr
Südwest
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BZ: Herr Segelbacher, woher kommt der derzeitige Ausbruch der Vogelgrippe?
Solche Ausbrüche sind ja nichts Neues. Das Virus zirkuliert schon lange, wir haben bei uns in Deutschland seit 2005 immer wieder Ausbrüche. Es sind dabei meist bestimmte Tierarten stärker betroffen als andere. Vor zwei Jahren waren es die Lachmöwen und Flussseeschwalben, die verendet sind. Jetzt erwischt es die Kraniche. Die werden von vielen Menschen gern beobachtet, gerade jetzt im Herbst, und die Bilder der kranken Vögel, die auf Feldern umherirren und zusammenbrechen, sind natürlich sehr einprägsam. Daher steht dieser Ausbruch vielleicht etwas mehr auch im medialen Fokus als andere. Warum er gerade jetzt passiert und woher die Kraniche das Virus mitbringen, wissen wir nicht im Detail. Das Virus ist permanent da, es verändert sich laufend und führt so zu Ausbrüchen.
BZ: Kann man das mit der echten Grippe beim Menschen vergleichen? Da haben wir ja auch ein sich veränderndes Virus und eine Art Saison, in der es zur Grippewelle kommt.
Eigentlich ist es bei der Vogelgrippe ähnlich, wir haben da im Grunde auch jahreszeitliche Zyklen – zumindest sah es lange so aus. Inzwischen hatten wir schon zweimal Ausbrüche im Sommer. Neben den Lachmöwen vor zwei Jahren waren das im Sommer 2022 die Basstölpel an der Nordsee. Da hat das Virus plötzlich ganze Kolonien dahingerafft, gerade einmal zehn Prozent der Population haben überlebt. Insofern müssen wir damit rechnen, dass solche Peaks jederzeit auftreten können, je nachdem, wie sich das Virus verändert und wie empfindlich die Art reagiert, auf die es dann trifft.
BZ: Sind manche Arten immun?
Wir sehen bei vielen Arten beispielsweise des Wassergeflügels eine Teilimmunität. Sie zeigen also keine Symptome, sind aber dennoch ansteckend.
BZ: Neben dem Ausbruch bei den Kranichen sind derzeit auch vermehrt Geflügelbetriebe betroffen, sie müssen meist ihren gesamten Bestand töten, wenn das Virus bei ihnen nachgewiesen wird. Schleppen die Kraniche das Virus in die Stallungen ein?
Das ist ein viel diskutiertes Thema: Gefährden erkrankte Wildtiere tatsächlich die Geflügelbestände? Einige Experten schließen das kategorisch aus. Grundsätzlich gibt es zwei Ausbreitungswege. Durch den Menschen zwischen Betrieben, zum Beispiel durch Futtermittel, Tiere, oder wenn unbeabsichtigt Kot eines Wildvogels eingeschleppt werden würde. Und eine direkte Ausbreitung durch Wildvögel. Diese bedeutet ja immer auch, dass sich Wildvogel und Geflügel direkt begegnen würden, oder zumindest den gleichen Ort besuchen, wie zum Beispiel eine gemeinsame Wasserstelle. Nur dann kann über Aerosole oder Kot eine Ausbreitung zwischen Wildvogel und Tieren in Betrieben stattfinden.
BZ: Kein Schuldspruch also für den Kranich?
Nein. Und dass ein infizierter Kranich mit dem derzeit einzigen betroffenen Betrieb in Baden-Württemberg, in dem 15.000 Tiere getötet werden mussten, in Zusammenhang steht, ist eigentlich ausgeschlossen.
BZ: Wieso das?
Die Hauptzugroute der Kraniche führt von Mecklenburg-Vorpommern über Hessen nach Frankreich. Alle bisher bekannten Fälle infizierter und toter Kraniche betreffen diese Route, südlich davon haben wir bis zum jetzigen Zeitpunkt (Mittwoch, 29. Oktober, Anm. d. Red.) noch keine gehabt. In den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren hat sich beim Kranich eine neue Zugroute entwickelt: Einige Kraniche gehen von Nordeuropa aus erst einmal nach Ungarn und fliegen dann am nördlichen Alpenrand nach Frankreich, wo sie sich mit den Tieren, die über die Hauptzugroute ziehen, vermischen. Das ist der Grund dafür, weshalb es auch bei uns inzwischen regelmäßig zu Kranichsichtungen kommt. In diesem östlichen Kranichzugweg sind bisher keine Ausbrüche von Vogelgrippe dokumentiert. Das heißt: Die bei uns in Baden-Württemberg beobachteten Vögel stammen von einem anderen Zugweg, von dem keine Infektionen bekannt sind.
BZ: Man liest immer wieder von indirekten Infektionen, was genau heißt das im Fall der Vogelgrippe?
Dann findet kein direkter Kontakt zwischen einem infizierten und gesunden Tier statt. Wildtiere wie Enten, Schwäne oder Graugänse können infiziert sein, ohne selber zu erkranken, sie geben aber stark virushaltigen Kot ab. Beim Spazierengehen auf Wiesen und an Gewässern tritt man da schnell mal rein und nimmt so das Virus mit. Vielleicht nicht in den großen Geflügelbestand, wo strenge Hygienevorschriften gelten, aber in den kleinen Hühnerstall im Garten.
BZ: Wie gefährlich ist das Virus für den Menschen?
Prinzipiell ist das Virus auch auf den Menschen übertragbar. Derzeit geht man aber davon aus, dass das Risiko für den Menschen für eine schwerwiegende Erkrankung gering ist. Es gibt aber Fälle, wo andere Säugetiere wie Nerze und Seelöwen daran erkrankt und gestorben sind. Um kein Risiko einzugehen, sollte man tote Vögel, die man findet, nicht anfassen und das Veterinäramt informieren.
BZ: Sie sagten, die Basstölpel an der Nordsee seien durch die Vogelgrippe massiv dezimiert worden. Wie viele Sorgen müssen wir uns um die Kraniche machen?
Die Kraniche haben in den vergangenen Jahren in Europa erfreulicherweise zugenommen, wir haben derzeit europaweit wieder etwa 500.000 Tiere. Das soll kein Argument dafür sein, sich keine Sorgen zu machen, aber die Sorgen wären größer, wenn es eine Art betreffen würde, wo wir insgesamt nur noch ein paar hundert Exemplare haben. Aktuell würde ich vorsichtig optimistisch davon ausgehen, dass sich die Kranichbestände erholen, wenn es nicht zu einem massiven Ausbruch in den nächsten Wochen und Monaten kommen wird.
Gernot Segelbacher ist Professor für Wildtierökologie an der Universität Freiburg.
Das Vogelgrippevirus H5N1 ist empfindlich gegenüber hohen Temperaturen. Wer Geflügelfleisch und Eier gut durcherhitzt, muss dem Bundesinsitut für Risikobewertung (BfR) zufolge keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen erwarten. Gut durcherhitzt ist Fleisch, wenn an allen Stellen, also auch im Kern, eine Temperatur von mindestens 70 Grad Celsius für zwei Minuten erreicht wird. Fleisch, das lange und heiß genug gebraten oder gekocht wurde, weist keine rote beziehungsweise rosa Farbe mehr auf und es tritt kein roter Fleischsaft mehr aus.Laut BfR ist erwiesen, dass Eier infizierter Tiere das Virus sowohl auf der Schale als auch in Eiweiß und Eidotter enthalten können. Wer sich vor Vogelgrippe-Viren und anderen Krankheitserregern, die möglicherweise in Eiern und Eiprodukten enthalten sind, schützen will, sollte daher vorsorglich auf Speisen verzichten, die mit Rohei hergestellt werden. Dazu zählen beispielsweise Tiramisu, Mayonnaise, Cremes oder Eischnee. Eier sollten so lange gekocht werden, bis Eiweiß und Eigelb fest sind. Dies ist bei Hühnereiern in der Regel nach sechs Minuten Kochzeit der Fall.
cfr