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"Wohlwollend und liebevoll"

Dominik Bloedner
  • Sa, 09. Dezember 2017
    Panorama

BZ-INTERVIEW mit der professionellen Postkartenschreiberin Sabine Rieker aus Stuttgart.

STUTTGART/FREIBURG. Handgeschriebene Briefe oder Postkarten sind Ausdruck der Wertschätzung gegenüber dem Empfänger – doch diese Art der Korrespondenz ist seit Jahren rückläufig. Was aber nicht an Sabine Rieker liegt. Seit drei Jahren ist die Stuttgarterin professionelle Postkartenschreiberin und beglückt im Auftrag ihrer Kunden die Empfänger mit warmen Worten und hübscher Schrift. BZ-Redakteur D

ominik Bloedner hat mit ihr gesprochen.

BZ: Frau Rieker, wie muss man sich Ihren Job vorstellen? Können Sie davon leben?
Rieker: Ich schreibe pro Tag etwa fünf bis sechs Postkarten für meine Auftraggeber. Fest Tarife habe ich nicht, die Kunden zahlen das, was ihnen die Postkarte wert ist. Einer hat mir das sogar mit einer Woche Schreiburlaub in seinem Ferienhaus vergütet. Leben kann ich also davon.
BZ: Sie kennen die Empfänger doch gar nicht. Was schreibt man denn da?
Rieker: Gerne erhalte ich Vorgaben, aber es muss aber nicht sein. Natürlich schreibe ich, wie es dazu kommt, dass jetzt ich beispielsweise an Tante Frieda warme Worte richte. Wenn ich Menschen zum ersten Mal schreibe, kommen Sätze wie: "Danke fürs Sein, ganz allgemein, wie wundervoll, dass es Dich gibt". Das entstand aus einem inneren Drang heraus. Bei konkreteren Infos des Auftraggebers gehe ich näher auf die Person ein. Es soll wohlwollend und liebevoll sein. Ich habe den Anspruch, dass es mir selbst gefällt.
BZ: Woher kommen die Karten?
Rieker: Aus einer wunderbaren Papeterie. Viele bekommen ich auch geschenkt.
BZ: Wie erreicht man Sie? Per Postkarte?
Rieker: Das auch, doch vor allem über Facebook und Instagram. Oder ich werde in einem meiner Stammcafés im Stuttgarter Heusteigviertel angesprochen, meine Arbeit erledige ich gerne öffentlich. Ich schaue, ich lasse mich inspirieren. So kam es ja überhaupt zu diesem Beruf.
BZ: Erzählen Sie.
Rieker: Auslöser war der Adventskalender, den ich vor drei Jahren für eine Freundin gebastelt habe. Den habe ich bestückt mit Postkarten aus meiner Sammlung, damals umfasste die nur einen Schuhkarton. Da kam ich auf die Idee, im Dezember an vier Freunde pro Tag je eine Postkarte zu schreiben bis zu Heilig Abend. Dies machte ich in meinem damaligen Stammcafé in Bonn – das fiel auf. Der Cafébesitzer und ein Künstler, den ich dort kennengelernt hatte, wollten unbedingt ein Abo abschließen. "Du schreibst uns regelmäßig und bekommst etwas dafür", sagten sie. So fing das an. Der Kreis wurde größer, ich veranstaltete Lesungen, die Presse wurde aufmerksam.
BZ: Wer sind Ihre Auftraggeber?
Rieker: Ganz unterschiedlich, vom 20-jährigen Studenten bis zur Omi oder Firmen. Für eine Segelschule etwa schreibe ich immer an ehemalige Kursteilnehmer und bedanke mich bei ihnen. Auch ein blinder Mensch ist darunter.
BZ: Warum nimmt man Ihre Dienst an?
Rieker: Es gibt Menschen, die von sich sagen, sie könnten keinen geraden Satz formulieren. Oder sie finden die eigene Handschrift unschön. Viele Kunden sind neugierig, wie da eine mit wenigen Informationen etwas Zauberhaftes schreiben kann. Auch liegt das Haptische, etwas Schönes zum Anfassen, ja im Trend. Mir macht es Freude, ich komme mit Menschen in Kontakt, die ich sonst niemals kennenlernen würde.
BZ: Gibt es Schreibblockaden?
Rieker: Ab und an, aber ich lasse das zu. Ich zwinge mich zu nichts, denn das würde sich ja in der Karte widerspiegeln.
BZ: Ist es nicht ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft, dass viele die scheinbar leichte Verrichtung einer handgeschriebenen Postkarte überfordert?
Rieker: Leider wird schon im Kindergarten und der Grundschale relativ viel kaputt gemacht in Sachen Schönschrift. Da entstehen mitunter Traumata, dass die Menschen später nicht mehr zum Stift greifen oder die Lust am Schreiben gar nicht mehr entwickeln können. In den USA ist das kreative Schreiben weit verbreitet, wir hier haben da Nachholbedarf.
BZ: Die Konkurrenz durch neue Medien?
Rieker: Diese sehe ich als Ergänzung zu meinem Tun. Ich nutze sie ja auch.
BZ: Ist die Vorweihnachtszeit arbeitsintensiv? Überhaupt: Was schreibt man da?
Rieker: Ich schreibe nicht mehr als zu anderen Zeiten. "Viel Freude im Kreise der Liebsten", das ist aber immer gut.

Sabine Rieker, 31 Jahre, stammt aus der Eifel und wohnt seit zwei Jahren in einer Stuttgarter Wohngemeinschaft – in der an allen Wänden Postkarten hängen. Sie hat in Bonn Kunstgeschichte und Germanistik studiert und als Werbetexterin gearbeitet.

Die Postkarte

Im Juli 1870 begann offiziell die Ära der Postkarte in Deutschland, die seinerzeit noch "Correspondenzkarte" genannt wurde und als günstige Mitteilungsform für die Bevölkerung gedacht war. Seit Jahren ist die Anzahl der verschickten Postkarten rückläufig – allein von 2009 bis 2014 um über mehr 20 Prozent (2009: rund 270 Millionen Stück, 2014: rund 210 Millionen). 2016 wurden nur noch rund 200 Millionen Postkarten befördert.
Die Gründe für den Rückgang sieht Hugo Gimber, Pressesprecher der Deutschen Post in Stuttgart, bei den elektronischen Medien. Immer mehr Kunden würden per Messenger, E-Mail, SMS, Instagram oder WhatsApp kommunizieren – auch aus dem Urlaub. Zudem nutzten immer weniger Unternehmen die Postkarte als Rückantwort etwa bei Preisausschreiben oder bei der Ablesung von Strom-, Wasser- und Gaszählern. Hauptsaison ist nach wie vor die Urlaubszeit, an Weihnachten herrscht keine Hochkonjunktur. Weihnachtskarten sind selten geworden, sie wurden von Karten im Umschlag oder vom Weihnachtsbrief abgelöst.

Ressort: Panorama

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Sa, 09. Dezember 2017: PDF-Version herunterladen

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