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Lateinamerika

Zika-Virus bedroht vor allem ungeborene Kinder

Tobias Käufer, Sandra Weiss und dpa

Von , & dpa

Di, 02. Februar 2016 um 00:00 Uhr

Panorama

Das Zika-Virus breitet sich so rasant aus, dass die Weltgesundheitsorganisation einen "weltweiten Gesundheitsnotfall" ausgerufen hat. Besonders betroffen sind Süd- und Mittelamerika.

Opfer des Zika-Virus – Kleisse, Mateus und der kleine Pietro   | Foto: AFP/DPA
Opfer des Zika-Virus – Kleisse, Mateus und der kleine Pietro Foto: AFP/DPA
Für Kleisse Marcelina da Silva sollte es der schönste Tag ihres Lebens werden – was die junge Mutter stattdessen im Kreißsaal des Hospitals "Irma Dulce" in Salvador de Bahia erlebt, war ein regelrechter Albtraum. "Ich wurde im fünften Monat meiner Schwangerschaft mit dem Zika-Virus infiziert", berichtet die Brasilianerin der Tageszeitung La Prensa. Damals war die Aufregung um den Virus noch nicht so groß. Auch ihr Hausarzt beruhigte die besorgte werdende Mutter, sie müsse sich keine Sorgen machen. Vier Monate später, nachdem ihr Pietro geboren war, übermittelten ihr die Ärzte die Hiobsbotschaft: Der Sohn leide an Mikrozephalie, einer Schädelverformung. Ob das Baby überleben und welche Fähigkeiten es entwickeln wird, ist bis heute unklar.

"Wird er laufen können, wird er sprechen können?", fragt sich Kleisse besorgt. Für Vater Mateus Lima ist das nicht zu verkraften: "Das ist wie ein Bombeneinschlag", stammelt er den internationalen Journalisten entgegen, die ihn seit Tagen ausfragen. Plötzlich explodierten alle Träume. Kein Fußball, kein Sport. "Ich wollte doch, dass er gesund und stark wird." Kleisse und Mateus sind einige der wenigen Eltern, die bereit sind, in der Öffentlichkeit über ihr Schicksal zu sprechen.

Es sind Fälle wie diese, die Lateinamerikas jungen Frauen – vor allem natürlich den Schwangeren – Angst machen und sie unter einen enormen Stress setzen. Jeder Mückenstich kann verheerende Folgen haben, denn das Zika-Virus wird über die Gelbfiebermücke Aedes aegypti übertragen. Zumindest vermuten das die Wissenschaftler, doch was ist schon sicher bei dieser Epidemie, die sich derzeit rasend schnell um den Globus auszubreiten droht? Dieser Mücke aus dem Weg zu gehen, ist schwierig. Vor allem in dieser Jahreszeit, in der sich die Wolken ausregnen und sich an Land überall Pfützen, Tümpel und kleine Seen bilden. Stehendes Wasser ist ideal für die Ausbreitung der Mücken. Zumal noch ungewiss ist, wie widerstandsfähig die Mücke gegen chemische Keulen wirklich ist.

Die Angst vor dem Zika-Virus hat inzwischen nicht nur Brasilien, sondern ganz Lateinamerika erfasst. Mitte vergangener Woche sei der Erreger in 23 Staaten und Territorien aufgetaucht, teilte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit. Wird die werdende Mutter während der Schwangerschaft von einer Mücke gestochen und auf diesem Weg mit dem Virus infiziert, kommen die Babys mit einem viel zu kleinen Kopf auf die Welt, die Folge ist mindestens eine geistige Behinderung. Und die Meldungen in den Hauptnachrichtensendungen sind keine guten: Erst in zehn Jahren, so liest es die Sprecherin vor, soll es einen effektiven Impfschutz geben.

Es scheint, als hätte der kleine, ein paar Millimeter große Blutsauger im Moment die besseren Karten. Werdende Mütter können Nikotin absetzen und auf den Konsum von Alkohol verzichten – einem Mückenstich können sie kaum entkommen. Und so entscheiden Zufall und das Glück darüber, ob ein Kind gesund auf die Welt kommt oder nicht. Das bedeutet nun Monate voller Angst und Ungewissheit.

Die Ungewissheit hat einen Grund: Das Zika-Virus ist bislang wenig erforscht. Das liegt vor allem daran, dass die Krankheit in der Regel sehr mild verläuft. Laut der amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC zeigt nur eine von fünf angesteckten Personen überhaupt Symptome wie Fieber, Ausschlag, Gliederschmerzen, Kopfschmerzen oder gerötete Augen. Die genaue Inkubationszeit ist nicht bekannt, sie wird jedoch auf drei bis sieben Tage geschätzt – ein sehr ähnlicher Verlauf wie bei der Grippe.

Blickt man nur auf die Oberfläche, dann lässt sich eine der Folgen etwa in der "Farmacia do Leme" in Rio de Janeiro beobachten. Es ist Hochsommer in Brasilien und die Menschen vertreiben sich die Urlaubszeit an den Stränden, die Apotheke verkauft in dieser Zeit vor allem Sonnenschutzcreme und Creme gegen Sonnenbrand. In diesem Sommer ist alles anders. "Wir verkaufen Mückenschutzmittel aller Art", sagt Verkäuferin Fernanda. Oft sind die Sprays, Cremes oder Moskitonetze schon zur Mittagszeit ausverkauft. "Es kommen meist die Männer der schwangeren Frauen, die trauen sich manchmal gar nicht mehr aus dem Haus", erzählt die Verkäuferin.

Und dann gibt es noch etwas, was derzeit besonders stark nachgefragt werde: Kondome und Anti-Baby-Pillen. Seit die Regierung in Brasilia dazu aufrief, den Kinderwunsch vielleicht noch etwas aufzuschieben, verhüten mehr Paare. Jetzt nur nicht schwanger werden. Und in der Zwischenzeit verschwinden die schwangeren Frauen aus dem Straßenbild und bleiben in den eigenen vier Wänden. Zumindest die, die nicht arbeiten müssen und sich abschotten können.

Allein in Brasilien wurden seit Oktober mehr als 3700 Neugeborene mit Verdacht auf Mikrozephalie registriert, etwa 50 von ihnen sind inzwischen gestorben. Von insgesamt 4180 Verdachtsfällen sind laut des brasilianischen Gesundheitsministeriums bisher aber lediglich 270 Fälle von Mikrozephalie definitiv bestätigt. Das sind deutlich weniger als zunächst befürchtet. Knapp 500 Elternpaaren konnten die Ärzte die erlösende Nachricht übermitteln: Keine Erkrankung, ihr Kind ist gesund. Es sind Stunden und Tage, in denen viele der jungen Eltern in den Kirchen und Kapellen der Städte Kerzen anzünden und beten. Für den Rest heißt es weiter warten auf die ärztliche Diagnose und die bange Frage: Stimmt alles mit dem Kind?

Jenseits von Moskitonetzen und Kondomen hat sich eine zweite Debatte entzündet, eine, die von fundamentaler Bedeutung ist. Immer mehr schwangere Frauen stellen sich eine schwierige Frage: Soll ich mein Kind abtreiben? Die einflussreiche katholische, noch mehr aber die radikaleren evangelikalen Kirchen in Brasilien verurteilen Abtreibungen. Nur wenn das Leben der Mutter in Gefahr sei oder sie vergewaltigt wurde, sei dies ethisch zu vertreten, heißt es oft. Doch nun geht es nicht um die Mutter, sondern um ein ungeborenes Kind, das vielleicht schwer krank auf die Welt kommt. Und mit dieser Entscheidung sind die verängstigten Eltern dann ganz allein.

Die Zeitung Folha de Sao Paolo interviewte drei Ärzte, die berichteten, dass ihnen bereits mehrere Fälle bekannt seien, in denen Frauen zwischen der sechsten und achten Schwangerschaftswoche mit der eigentlich verbotenen Pille danach abgetrieben hätten, obwohl zu dem Zeitpunkt gar nicht klar war, ob die Föten von der Fehlbildung betroffen sind oder nicht. Das ist erst ab der 28. Schwangerschaftswoche sicher möglich. Bei allen sei aber in einem Bluttest Zika-Virenmaterial nachgewiesen worden.

Die Epidemie löste eine öffentliche Debatte aus, ob ausnahmsweise für Zika-Infektionen Abtreibungen erlaubt werden. "Die Schwangeren können nicht für verfehlte Gesundheitspolitik des Staates bestraft werden", erklärte Debora Diniz vom Bioethik-Institut Anis. Kolumbiens Vize-Gesundheitsminister Fernando Ruiz riet den Schwangeren, die Möglichkeit einer Abtreibung mit den Ärzten zu beraten. Anders in El Salvador, wo Abtreibung grundsätzlich verboten ist. Die salvadorianische Regierung legte stattdessen den Frauen nahe, bis 2018 besser nicht schwanger zu werden – was unter Frauenbewegungen Proteste zur Folge hatte. In einer Gegend, in der Vergewaltigungen und Teenager-Schwangerschaften überdurchschnittlich häufig vorkommen und Verhütungsmittel wie Pille und Kondome teuer und schwierig zu bekommen seien, wären andere Maßnahmen zielführender, erklärten Frauenorganisationen.

500 000 Soldaten im
Kampf gegen die Mücke

Zumindest Brasilien verliere die Schlacht gegen die Mücke, erklärte Gesundheitsminister Marcelo Castro unlängst. Seit 40 Jahren gebe es die Tigermücke, und das Land habe sie nicht ausrotten können. Jetzt hat die Regierung mehr als 500 000 Soldaten und Gesundheitshelfer losgeschickt, um Insektengift zu versprühen, Infektionsherde zu beseitigen, Mückenschutzmittel zu verteilen und die Bevölkerung aufzuklären. Sogar mit genetisch veränderten Terminator-Mücken wird experimentiert, bei der die Männchen die Weibchen mit genetisch veränderten Samen befruchten, die den Tod der Larve zur Folge haben. Die Methode, die im brasilianischen Bundesstaat Sao Paolo kürzlich getestet wurde, ist wissenschaftlich allerdings umstritten. Auch an einem Impfstoff gegen Zika will Brasilien zusammen mit den USA arbeiten.

Angesichts der Zika-Epidemie hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) am Montag den internationalen Gesundheitsnotstandes ausgerufen. Und dann steht ja auch noch Karneval an: Im Bundesstaat Rio de Janeiro stieg die Zahl der Mikrozephalie-Verdachtsfälle auf 171. Das Sambódromo, wo Ende der Woche Hunderttausende Menschen den Samba-Karneval feiern werden, wird von Helfern in Spezialanzügen mückenfrei gespritzt.

"Es gibt keinen Grund zur Beunruhigung. Die Strategie ist die gleiche wie immer", betont eine Sprecherin der Gesundheitsbehörde – auch in Vorjahren sei das Sambódromo entsprechend geschützt worden, da zu der Jahreszeit die Aedes-aegypti-Mücke, die auch das Dengue-Fieber überträgt, sehr aktiv ist. Bisher gibt es keine Anzeichen für größere Stornierungen. Aber je länger das Virus nicht in den Griff zu bekommen ist, desto stärker müssen die Organisatoren der Olympischen Spiele bangen, ob die erhofften Touristenmassen im August nach Rio kommen. Das wäre ein weiterer schwerer Schlag.

Ressort: Panorama

  • Zum Artikel aus der gedruckten BZ vom Di, 02. Februar 2016:
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