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Flüchtlingsschicksal

Nicht minderjährig? Zwei junge Flüchtlinge leben in Freiburg versteckt

Frank Zimmermann
  • Fr, 31. Juli 2015
    Freiburg

Weil die Behörden nicht glauben, dass sie minderjährig sind, tauchten zwei junge Flüchtlinge in Freiburg unter.

  | Foto: dpa
Foto: dpa
Er muss Schlimmes erlebt haben", sagt die Freiburger Anwältin Susanne Besendahl über ihren Mandanten Hamed G.*. Genaues weiß sie nicht. Fragt man Hamed, der nur Dari spricht, mit Hilfe eines Dolmetschers nach seinen Erlebnissen, wird er nicht konkret. Ein bisschen erzählt er dann doch: dass er ursprünglich aus der afghanischen Hauptstadt Kabul stammt und zuletzt acht Jahre im Iran gelebt hat, wohin seine Familie vor dem Bürgerkrieg in Afghanistan geflohen war. Seine Schwester lebt heute noch dort.

Im Iran konnte Hamed nicht bleiben: Die Armee, erzählt er, habe ihn einziehen wollen, damit er gegen den Islamischen Staat kämpft. Die Freiburger Behörden werteten das prompt als Indiz für seine Volljährigkeit. Hamed sagt, dass der iranischen Armee beim Rekrutieren das Alter egal sei, auch 15-Jährige seien eingezogen worden. Er und ein Kumpel seien nach Syrien in ein Ausbildungslager gekommen. Sein Kumpel habe ein Bein verloren, er selbst habe sich beim Schießen an der Hand verletzt und sei zur Behandlung nach Teheran gebracht worden. "Da habe ich entschieden wegzugehen."

Hamed floh – über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich. Er habe auf seiner Reise erlebt, dass Flüchtlinge wenig Hilfe bekamen. Ihm sei gesagt worden, dass seine Chancen in Deutschland besser seien. "Ich bin gekommen, um Hilfe zu bekommen." Er kam am 12. Januar 2015 im Freiburger Hauptbahnhof an – ohne Papiere und ohne Gepäck. Dort griff ihn die Polizei auf. Zuvor sei er "ein paar Tage" in Hamburg gewesen. Aus dem Iran ließ er sich Papiere schicken, in denen sein 14. Geburtstag nach persischem Kalender dokumentiert ist. Demzufolge ist er aktuell 17, sagt Hamed. Doch die deutschen Behörden empfinden die Papiere als zu dürftig, es fehlen genaue Angaben.

Wenn ein Flüchtling behauptet, minderjährig zu sein, nimmt das Jugendamt ihn zunächst in Obhut. Dann kommt er in eine Jugendeinrichtung oder Pflegefamilie. So landete Hamed im Haus des St. Christophorus-Jugendwerks an der Schopfheimer Straße in Haslach.

Kurz nach seiner Ankunft hätten Betreuer gesagt, er müsse ins Josefskrankenhaus. Ihm sei vermittelt worden, dass ein Röntgenbild Vorschrift sei. Über die Strahlung sei er nicht aufgeklärt worden.

Den niedergelassenen Kinderarzt Thomas Nowotny wundert das nicht: Aufgeklärt werde erfahrungsgemäß lückenhaft. Ein Dolmetscher, sagt Hamed, wurde ihm auch nicht zur Seite gestellt. Im Krankenhaus habe er nur kurz seine Hand hinhalten müssen.

Er wurde aufgrund der Röntgenuntersuchung als volljährig eingestuft. Das deckt sich mit der psychosozialen Einschätzung der Experten des Jugendamts.

Die Folge: Hamed musste die Jugendeinrichtung verlassen und sich in die Landeserstaufnahmestelle (LEA) für Flüchtlinge begeben. Doch das wollte er nicht. Hamed schläft seitdem abwechselnd bei verschiedenen Freunden, manchmal auch im Freien. Er hat Magen- und Zahnschmerzen. Freunde helfen mit Essen und Kleidung aus. "Ich suche eine Lösung, aber weiß keine. Es macht mich verrückt, dass alles nicht klappt und ich auf Freunde angewiesen bin."

Hamed möchte in die Schule gehen und Deutsch lernen, er will "ein besseres Leben" führen. Er hatte bereits Kontakt mit der internationalen Römerhofschule, aber sein Problem – die Anerkennung seiner Minderjährigkeit – ist nicht gelöst. Das Familien- und Verwaltungsgericht und jüngst auch der Verwaltungsgerichtshof (VGH) haben wie das Jugendamt entschieden: Das Ende der Inobhutnahme ist rechtens. Allerdings führt der VGH Gründe an, die Anwältin Besendahl als haarsträubend bezeichnet: Hameds Volljährigkeit wird unter anderem damit begründet, dass er in Afghanistan acht Jahre zur Schule gegangen sei. De facto, sagt Besendahl, war er dort nur zwei Jahre auf der Koranschule sowie im Iran sechs Jahre auf einer Abendschule. Die Anwältin gibt nicht auf, nun muss das Oberlandesgericht entscheiden: "Noch ist nicht alles verloren." Er könne, um seine Minderjährigkeit zu beweisen, weitere Untersuchungen machen lassen, sagen die Behörden, etwa eine strahlungsfreie Kernspintomografie.

Aber Hamed will das nicht – was ihm natürlich negativ ausgelegt wird. Er sagt, er habe sich das Gerät im Internet angeschaut und sich dann dagegen entschieden. "Er hat Angst vor der Maschine", weiß ein Mitglied des Südbadischen Aktionsbündnisses gegen Abschiebungen (Saga).

Addi O.* hat – davon ist auszugehen – eine abenteuerliche Flucht hinter sich. In 24 Tagen kam er allein aus seiner westafrikanischen Heimat Gambia nach Freiburg – über den Senegal, Mali, Burkina Faso, Niger, Libyen und Italien. Die Polizei griff ihn im Hauptbahnhof auf. "Ich sagte ihnen, ich sei 17", sagt Addi. Er spricht Französisch und Englisch. Auch er kam beim Christophorus-Jugendwerk unter. Auch ihm wurde mitgeteilt, er müsse für eine Untersuchung ins Josefskrankenhaus. 15 Minuten habe er dort warten müssen. "Ich ging rein, sah zwei Frauen, hielt meine linke Hand hin. Das ging vielleicht zehn Sekunden, das war’s", erinnert er sich. Erklärt worden sei ihm nichts – weder über den Vorgang an sich noch über die Strahlung.

An einem Freitag teilte man ihm mit, er sei mindestens 18 Jahre alt und müsse deshalb am Montag in die LEA nach Karlsruhe. Doch Addi wollte nicht dorthin. Er versichert, 17 zu sein – am 18. Januar 2016 sei sein 18. Geburtstag. Er habe einen Pass gehabt, aber den habe die libysche Polizei einbehalten. Ohnehin stufen deutsche Behörden Dokumente aus Ländern wie Gambia meist als gefälscht ein, man können sie sich dort problemlos kaufen. Addi kennt einen anderen jungen Flüchtling aus Gambia, der hier Papiere vorlegen konnte; ihm habe das Gericht seine Minderjährigkeit geglaubt.

Seitdem er am 2. Februar als volljährig eingestuft wurde, wohnt Addi mal hier und mal da. In die LEA ist er nicht gegangen. Weitere Untersuchungen, etwa des Schlüsselbeins, lehnt er ab. Er hofft, dass die Behörden über die deutsche Botschaft im Senegal Kontakt mit der Geburtsklinik, seiner Schule oder dem Volleyballverband – er spielt in der Juniorennationalmannschaft – aufnehmen können. Er möchte in Freiburg zur Schule gehen. Und er träumt davon, Volleyballprofi zu werden.

Addi kommt aus der Nähe von Gambias Hauptstadt Banjul. Ende 2014 wurden dort Bürger und Militärs verhaftet, die an einem Umsturzversuch gegen Präsident Yahya Jammeh beteiligt gewesen sein sollen. Addis Stiefvater, ein in den Putsch involvierter Armeehauptmann, wurde getötet, seine Mutter und Schwestern wurden verhaftet. Addi war gerade beim Volleyballspielen, als er erfuhr, dass der Geheimdienst bei ihnen zu Hause sei. "Da bin ich geflohen. Ich bin um mein Leben gerannt." Details über seine Flucht möchte er nicht erzählen. "Tough" (hart) sei es gewesen – und gefährlich.

Saga hilft dem Jugendlichen, Anwältin Besendahl vertritt ihn vor Gericht. Sie räumt Addis Antrag durchaus Chancen ein.

Ressort: Freiburg

Dossier: Fluechtlinge

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 31. Juli 2015: PDF-Version herunterladen

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