In der Diversitätsfalle
Emojis gelten als neue Weltsprache – doch je mehr Symbole es gibt, desto mehr Leerstellen werden beklagt.
Die neuen Piktogramme gelten als weiterer Schritt, die sich ausdifferenzierenden Lebenswelten und Lebenswirklichkeiten in einer globalen und pluralen Gesellschaft abzubilden. Doch obwohl die Zeichenordnung mit jedem Update immer etwas bunter und diverser wird, gibt es bei jeder Neuerung Kritik von Minderheiten, die nicht repräsentiert sind. Im aktuellen Unicode 12.0, der 3053 Emojis umfasst, gibt es zum Beispiel keine rothaarigen Bräute und keine weißen Männer mit braunen Haaren und Bart. Auch das Fehlen eines Weißwein-Symbols wird seit längerem moniert (es gibt nur ein Rotwein-Glas). Man mag das für eine Petitesse halten. Doch die Emoji-Updates sind mittlerweile ein Politikum. So wurde auf der Plattform change.org eine Petition eingereicht, in der die Aufnahme eines Vater-Baby-Emojis in den Katalog gefordert wurde. Bisher gibt es das nur in der Variante der Mutter. Übrigens: Beim Unicode-Konsortium können sowohl Privatleute als auch Konzerne Vorschläge einreichen.
Es ist das Emoji-Paradoxon: Je mehr Symbole das Unicode-Konsortium hinzugefügt, desto mehr Leerstellen werden in der Taxonomie sichtbar. Wenn das Gremium das Weißwein-Symbol in den Kanon aufnähme, kämen sofort Fragen auf: warum kein Rosé? Und warum nur Bier und kein Pale Ale oder Stout? Der Emoji-Experte Jeremy Burge schrieb in einem Beitrag für das Portal Medium, dass die Option verschiedener Hautfarben beim Familien-Emoji zu 4225 Kombinationen führen würde. Bislang gibt es das Feature für verschiedene Ethnien nur bei einigen ausgewählten Symbolen wie etwa dem Ärzte- oder Polizisten-Emoji. Das Unicode-Konsortium sitzt in der Diversitätsfalle: Je mehr Emojis dem Standard hinzugefügt werden, desto schwieriger wird das Handling der Zeichen. Kein Mensch möchte tausende Symbole durchblättern, um endlich das Fußball- oder Urlaubs-Emoji zu finden.
Apple hat auf seinem Mac eine Emoji-Suche, mit der man in einem Suchfenster nach dem passenden Symbol suchen kann. Gibt man zum Beispiel "Herz" ein, erscheinen entsprechende Emojis. Auch Google hat seiner Tastatur Gboard eine Emoji-Suche hinzugefügt. Mit emojipedia.org gibt es sogar eigens eine auf Emojis spezialisierte Suchmaschine, die Wörter in Emojis übersetzt. Die sind ja mittlerweile so etwas wie eine eigene Sprache, und manch einer fühlt sich, als fehlen ihm die Worte, wenn er in einem Chat das entsprechende Emoji nicht findet...
Der Journalist Ian Bogost hat in einem lesenswerten Beitrag für die US-Zeitschrift The Atlantic die These aufgestellt, dass sich Emojis von Piktogrammen zu Bildern wandeln. Piktogramme sind standardisierte Bildzeichen wie etwas das Symbol für einen Fluchtweg oder Flughafen, die überall auf der Welt verstanden werden. In dem ersten Emoji-Zeichensatz, den der Japaner Shigetaka Kurita 1998 entwarf, und der heute im Museum of Modern Art in New York zu sehen ist, waren Bildpixel wie das Victory-Zeichen oder ein Cocktail-Glas enthalten, die in ihrer Schemenhaftigkeit an die Gameboy-Grafik erinnern.
Wenn man etwa das Cocktail-Emoji von Apple betrachtet, ist dieses Symbol sehr konkret: Man sieht eine olivfarbene Flüssigkeit, eine Frucht sowie einen Rührstab. Das hat den Vorteil, dass man den Alltag sehr genau abbilden kann. Doch je konkreter und damit weniger abstrakt das Zeichensystem wird, desto unflexibler werden auch die Bedeutungseinheiten. Man kann mit dem Cocktail-Symbol keinen Cuba Libre oder Gin Tonic darstellen, weil die Getränke einfach anders aussehen als das grünliche Gebräu. Zum Vergleich: Das deutsche Alphabet hat lediglich 26 Grundbuchstaben und ein paar Sonderzeichen. Trotzdem lässt sich damit die Wirklichkeit so famos erzählen wie mit keinem anderen Zeichensystem.
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