Kino
"Beale Street" von Barry Jenkins ist ein aufwühlender Liebesfilm
Von überschäumend lebendig über melancholisch bis beklemmend düster: Die Verfilmung von James Baldwins Roman erzählt die afroamerikanische Liebesgeschichte von Tish und Fonny.
Mo, 4. Mär 2019, 20:06 Uhr
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Diese Sätze aus dem 1973 erschienenen Roman "If Beale Street Could Talk" (auf Deutsch unter dem Titel "Beale Street Blues" erschienen) von James Baldwin (1924 bis 1987) hat Barry Jenkins seiner Verfilmung vorangestellt. Sie spielt in den siebziger Jahren in Harlem, New York, wo Baldwin geboren ist, sie spielt überall, wo Schwarze einer weißen Willkürjustiz ausgesetzt sind. Sie ist ein politisches Drama. Aber vor allem: Sie erzählt eine Liebesgeschichte – so aufwühlend, zart und betörend, wie wir es schon lange nicht mehr im Kino gesehen haben.
"Beale Street" begeisterte weltweit die Kritiker und wurde mit Auszeichnungen überschüttet, auch für Jenkins’ Drehbuch und Nicholas Britells fulminante Kompositionen, die das Geschehen mal überschäumend lebendig, mal melancholisch, mal beklemmend düster orchestrieren. Mit diesem Drama, das in seiner Anmut und Präzision mit Wong Kar Wais "In the Mood for Love" verglichen wurde, hat sich Barry Jenkins zwei Jahre nach seinem weltweiten Triumph und Oscargewinn für "Moonlight" endgültig in die Riege der großen Regisseure des 21. Jahrhunderts gespielt. Der großen schwarzen Filmemacher, ist man versucht hinzuzufügen – aber das bestätigt nur, wie hartnäckig sich die Beale Street auf der politischen Landkarte weißer Kritiker hält.
Natürlich ist sie eine afroamerikanische Geschichte, die Love Story zwischen der 19-jährigen Tish (sensationell: KiKi Layne in ihrer ersten großen Rolle) und dem 22-jährigen Fonny (Stephan James), der im Gefängnis sitzt, weil er ein Dienstmädchen aus Puerto Rico brutal vergewaltigt haben soll. Dass er unschuldig ist, daran lässt der Film nicht den geringsten Zweifel, nicht nur weil der weiße Polizist, der ihn verhaftet hat, als übler Rassist gezeichnet wird: Die Liebe, die in durchlichteten Rückblenden aufscheint, ist so stark, innig und wahrhaftig, dass ein solches Verbrechen undenkbar wäre. Und es ist nicht allein der verklärende Blick der jungen Frau, durch die wir sie sehen. Der Film feiert identische Szenen aus unterschiedlicher Perspektive, mal in Tishs, mal in Fonnys Erinnerung.
Da ist dieses Staunen, mit dem die Freunde aus Kindertagen einander plötzlich erkennen als Liebende, sie seine Schönheit, er ihr Strahlen, beide sich im Anderen und sich gemeinsam im Wir. Oder diese Umarmung auf der Straße, ein Moment, so hell und wunderbar wie Harlem im Leben nicht, ein seliges Kreisen, paradiesisches Glück. Kameramann James Laxton, der schon "Moonlight" in Bilder gesetzt hat, zeigt es mit Eleganz und Leichtigkeit als Metapher der Liebe – und zugleich so konkret und sinnlich, dass wir die feinen Härchen auf Tishs Cape schier streicheln können.
Barry Jenkins ist ein Regisseur der unbedingten Nahsicht: Klar werden auch die Körper gezeigt und das Spiel der Liebe, aber beglaubigt ist sie in den Gesichtern, sie leuchtet aus den Augen. Fonny ist schon im Knast, als Tish merkt, dass sie schwanger ist – und seine ungläubige Freude, als sie ihm davon erzählt, gepaart mit der Skepsis, ob er rechtzeitig wieder draußen ist zur Geburt des Kindes, mit dem alles neu werden kann und ihre Liebe gekrönt: Das ist einer der vielen sprechenden Augenblicke, die alles jenseits der Worte erzählen.
Tishs Eltern begegnen der Tochter und ihrer überraschenden Schwangerschaft mit Liebe, ihre Unschuldsgewissheit, was Fonny angeht, machen sie sich zu eigen. Seine Eltern dagegen sind gespalten, der Vater kann sich nach entsprechender Überzeugungsarbeit noch einigermaßen freuen über sein kommendes Enkelkind, die Mutter aber begegnet allen Widrigkeiten des Lebens mit immer größerer Bigotterie, als könne man den Hass der Weißen und die Perspektivlosigkeit der Afroamerikaner irgendwie wegbeten.
Du bist wieder in Freiheit, wenn dein Kind kommt, hat Tish Fonny versprochen, aber die Zeit läuft. Und so macht sich ihre Mutter (Regina King, die dafür den Oscar als beste Nebendarstellerin bekam) auf die weite – und kostspielige – Reise nach Puerto Rico, um die vergewaltigte Haushälterin zu einer Rücknahme ihrer fragwürdigen Aussage zu bewegen. Ihre heikle Mission geht sie mit kühlem Kopf und heißem Herzen an, sie will einfach nichts unversucht lassen.
Während Tishs Bauch immer weiter wächst, wird Fonny immer schmaler, und bei einem ihrer Besuche im Gefängnis lächelt er sie mit aufgesprungener Lippe und blutunterlaufenem Auge durch die zerkratzte Scheibe an: Es wird ihm offenbar übel mitgespielt. Aber das führt der Film nicht weiter aus, wie er sich überhaupt konsequent jenes Empörungsgestus’ enthält, der in Dramen über Justizopfer üblich ist.
Der Befund, den Jenkins erhebt, ist weit bitterer, wie er am Ende seines Films mit historischen Schwarzweißbildern und aus dem Off gesprochenen Romanzitaten unterstreicht: Die weiße Unrechtsjustiz ist die Fortsetzung der Sklaverei mit anderen Mitteln. Gerechtigkeit hat es für Afroamerikaner nie gegeben. Die Frage ist nur, wie sie damit umgehen.
Barry Jenkins tut es, indem er die Schönheit seiner Figuren liebevoll, fast zärtlich in den Blick nimmt – ihre Gesichter, die "schwarz" oder "farbig" zu nennen, von beschränkter Wahrnehmung zeugt (der bis heute freilich Kamera, Licht und Material der meisten Filme Vorschub leisten). Indem er sie als große Liebende inszeniert, als Romeo und Julia aus Harlem. Und ihre unantastbare Würde zeigt.
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