Beatles großer Auftritt

Ein junges Orchester bringt Klassik, die groovt und rockt.  

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Pop ist für Junge, Klassik für Alte - so lautet das allgemeine Credo, wenn es um die Musikgeschmäcker der Generationen geht. Seit einigen Jahren rebelliert nun ein Freiburger "Mammut-orchester" gegen dieses musikalische Schubladendenken - und feiert dabei ungeahnte Erfolge: Das ORSO - The Rock Symphony Orchestra.

Es gab Zeiten, da galt Wolfgang Roese als größenwahnsinnig. Mit fünfzehn träumte er von einem Symphonieorchester mit 180 Mitwirkenden, das die großen Hits der Rock- und Popgeschichte klassisch interpretieren würde. Unbeirrt gegenüber Zweiflern fing der junge Wolfgang einfach mal mit einem siebzehnköpfigen Schulorchester an, das sich schnell in die Herzen der Zuschauer spielte und immer mehr junge Mitspieler anlockte. Die Karriere des kleinen Orchesters verlief parallel zu seinem Mitgliederzuwachs steil nach oben.

Heute heißt das Orchester ORSO und spielt längst nicht mehr in kleinen Mehrzweckhallen sondern in ausverkauften Konzertsälen. Das Erfolgskonzept: Material aus der Pop-Szene wird mit Mitteln der "seriösen" Musik umgesetzt, und so verbinden sich scheinbar mühelos zwei Musikwelten, die sich sonst diametral gegenüberstehen. Da trifft zum Beispiel Maurice Ravel auf die Rockbarden "The Kinks", Led Zeppelin's "Stairway to Heaven" hört sich plötzlich an wie von Gustav Mahler, und altbekannte Beatles-Hits findet man in eigenwilligen Strawinsky-Klängen wieder.

"Eigentlich", gesteht Wolfgang Roese, "nervt mich Rock- und Popmusik." Deshalb nimmt der Gründer, Dirigent und Arrangeur des ORSO einfach Stücke, die er "kaum ausstehen kann" und macht etwas Spannendes daraus. Mitunter gelingen ihm dabei kleine Meisterwerke. Denn Roese schreibt die Stimmen eines Pop-Originals nicht einfach für Orchester um, sondern spielt phantasievoll mit Melodien, verfremdet Akkorde und verändert so den gesamten Charakter eines Werkes. In der "Beatles Metarmorphosis" beispielsweise mixt er mehrere Beatles-Songs zu einem außergewöhlichen Medley: "Yesterday" wird - zunächst von Chor und Streichern in altbekannter Süße vorgetragen - allmählich verzerrt durch atonale Clusterklänge im gesamten Orchester, bis es in einem fulminanten Walzer endet. Der Gute-Laune-Song "Daytripper" wird augenzwinkernd von der Titelmelodie der Miss Marple-Filme unterbrochen, und mittenhinein in "All you need is love" ertönt die Marseillaise.

Solches Geschick für musikalische Abwechslung und immer neue Überraschungen geben den Roese-Arrangements ihren ganz besonderen Reiz. Doch der wahre Schatz des ORSO liegt in seiner Klangfülle. Wo sich großes Symphonieorchester, ein integriertes symphonisches Blasorchester, gemischter Chor, Rockband und Solisten treffen, ist fast jede Klangfarbe möglich.

Dicke Streichermelodien genauso wie fetzige Gospelklänge, dramatische Opernpassagen oder strahlende Bläsergrooves. Diese Klangfülle, insbesondere die großen, gewaltigen Tuttistellen, wirken auf jedes Publikum immer wieder begeisternd.

Wolfgang Roese, der sein Dirigierstudium zugunsten des ORSO abgebrochen hat ("Karajan hatte auch keinen Abschluss"), schafft es mit hohem musikalischen Gespür, auch feinste Nuancen aus seinen Musikern herauszuholen und vermeidet so die Beliebigkeit eines Klangbreies, der bei einem so großen Orchester entstehen kann - zumal, wenn es ausschließlich mit Amateuren besetzt ist. Das gleichwohl hohe musikalische Niveau ist erstaunlich. Und zur guten Qualität des jungen Orchesters trägt zusätzlich die Begeisterung der Mitwirkenden bei.

Die Einzigartigkeit des Projekts und das "Gefühl, bei etwas Besonderem dabei zu sein" sind für Dirigent Roese mögliche Gründe, wieso junge Leute, vor allem Schüler und Studenten, lange Anfahrtswege und anstrengende Proben-wochenenden auf sich nehmen, um im ORSO mitzuspielen. Denn das erste "O" in "ORSO" - ursprünglich für "Ortenauer" Rock Symphony Orchestra -, entspricht längst nicht mehr der Wirklichkeit: Die Instrumentalisten und Sänger kommen aus ganz Baden-Württemberg, einzelne auch aus entfernteren Städten wie Saarbrücken, Kaiserslautern oder Frankfurt am Main. Simone Nierholz (21) ist Studentin in Freiburg und Kontrabassistin beim ORSO. Zusätzlich verbringt sie ein Großteil ihrer Freizeit im Büro des Orchesters, um den aufwändigen Konzert- und Probenbetrieb am Laufen zu halten. Warum der Einsatz? "Weil ORSO ein einzigartiges Projekt ist. Die Masse, die Stücke, die Leute, die Musik - das ist einfach genial." Und auch Dinah Fräßle (16) aus Lahr, die mit ihrer Bratsche dabei ist, kann sich der Wirkung der Musik nicht entziehen. "Diese Verbindung von Rock und Klassik gibt es sonst doch nirgends!"

Der Traum von Wolfgang Roese hat sich wahrscheinlich traumhafter erfüllt, als der fünfzehnjährige Wolfgang es damals für möglich gehalten hätte. Die Begeisterung, die der heute 28-jährige für Klassik und Pop gleichermaßen wecken konnte, ist unwiderstehlich und die Fangemeinde des ORSO kennt keine Generationengrenzen. Roeses Anliegen, "verschiedene musikalische Kulturen lebendig zu halten" ist mehr als gelungen. Dieses Jahr erhält der ambitionierte Dirigent für seine Arbeit mit dem ORSO den ZMF-Preis, der jährlich an einen herausragenden Künstler oder Künstlerin des Dreiländerecks vergeben wird. Derweil hofft Roese, dass dieses musikalische Großprojekt "ORSO" irgendwann auch ohne ihn existieren wird. "Ich will mit siebzig mal als Gast in ein ORSO-Konzert gehen." Aber dann - als fürchte er, eines Tages nur noch zuschauen zu können - fügt er doch schmunzelnd hinzu: "Vielleicht gibt es irgend wann einmal ja auch ein Senioren-ORSO."

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