"Bei mir ist jeder Gefangene gleich"

ZISCHUP-INTERVIEW mit dem Gefängnispfarrer Michael Philippi darüber, wie wichtig Vertrauen für seine Arbeit ist.  

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Blümchen zaubern etwas Farbe an die kahle Fassade des Freiburger Gefängnisses. Foto: ingo schneider

In Freiburgs Justizvollzugsanstalt (JVA) gibt es auch zwei Seelsorger. Die Zischup-Klasse des JVA-Bildungszentrums hat den evangelischen Pfarrer Michael Philippi (56) zu seinem Beruf befragt.

Zischup: Warum sind Sie Pfarrer geworden?
Philippi: Als 13-Jähriger war ich Babysitter bei einem Mann, der seine Doktorarbeit in Theologie schrieb, dabei hatte ich etwas Zeit und stöberte in seinen Unterlagen herum. Da ging es um Seelsorge im Gefängnis, was mich sehr interessierte. Ich war dann später auch eine ganze Zeit in Argentinien und Chile zur Zeit der Junta, wo ich Kirche auf der Seite der Armen erlebte, kam danach wieder zurück nach Deutschland und wurde schließlich Pfarrer in Frankfurt am Main.

Zischup: Aber warum Pfarrer im Gefängnis?
Philippi: Die Kirche ist für jeden da, nicht nur für die Reichen, auch für die Armen und Ausgeschlossenen. Als Pfarrer im Gefängnis zu arbeiten ist immer wieder spannend, weil ich von den Gefangenen selbst erfahre, wie es denen geht. Wichtig ist auch, die Verbindung nach draußen zu halten zwischen diesen sehr verschiedenen Welten.

Zischup: Haben Sie Angst vor Gefangenen?
Philippi: Ich bin Vertrauensperson, das heißt, die Gefangenen kommen ja freiwillig zu mir und wollen mir etwas anvertrauen, da fürchte ich mich nicht, muss mich aber auch immer wieder als vertrauenswürdig beweisen. Schwieriger ist es manchmal, wenn ich erfahre, dass dem, der vor mir sitzt, etwas angetan wurde. Ich stehe ja unter Schweigepflicht. Ich höre zu, überlege aber auch, was man tun kann. Da hatte ich im Gefängnis in Frankfurt, in dem ich sieben Jahre arbeitete, einmal eher Angst vor Drohgebärden von Beamten, weil die wussten, dass ich weiß, was da manchmal auch falsch gelaufen ist.

Zischup: Woher bekommen Sie das Geld, wenn Sie Gefangenen Tabak oder Kekse zukommen lassen?
Philippi: Das Geld bekomme ich von Gemeinden und aus dem Spendennetzwerk, das mein Vorgänger, Herr Pfarrer Higel, aufgebaut hat. Von der Kirche direkt bekomme ich im Jahr etwa 1000 Euro für die direkte Arbeit mit Gefangenen.

Zischup: Wie ist das mit der Schweigepflicht?
Philippi: Die Schweigepflicht ist ein hohes Gut. Manchmal entstehen Konflikte zwischen Gefangenen und Bediensteten. Damit beide Parteien ihre Konflikte lösen können, rede ich auf Wunsch mit ihnen, wie sie das selber klären können, ohne Schaden für sich und andere anzurichten.
Zischup: Ist es möglich, dass ein Gefangener seine Verlobte heiratet?
Philippi: Eine Trauung wird im Einzelfall genehmigt. Eine Hochzeitsnacht ist aus verschiedenen Gründen nicht möglich, zum Beispiel wegen Sicherheit und Ordnung. Langzeitbesuche erfordern zunächst mehrere normale Besuche, die gut und unauffällig verlaufen. Es braucht dann eine längere Vorbereitungszeit, da so ein Besuch für alle Beteiligten nicht einfach ist.

Zischup: Kann man auch zu Ihnen kommen, wenn man nicht gläubig ist?
Philippi: Bei mir ist jeder Gefangene gleich, ich schaue nicht darauf, ob er gläubig ist oder nicht. Manchmal bin ich auch ein bisschen gestresst, wenn ein Gefangener kommt und möchte nur Tabak haben oder telefonieren. Ich bin jetzt schon 50 Anträge hinten dran und ich kann nicht jedem gerecht werden. Meine erste Beichte habe ich einem Moslem im Gefängnis abgenommen. Die Tendenz geht auch dahin, dass man über einen moslemischen Seelsorger nachdenkt.

Zischup: Was ist für Sie ein Notfall?
Philippi: Jeder empfindet Notfälle anders, manchmal kommen Gefangene zu mir und bitten mich um Hilfe, weil sie von anderen Gefangenen unter Druck gesetzt werden. Und manche wollen Unterstützung, wenn zum Beispiel noch keine Telefongenehmigung vorliegt und der Gefangene dringend seine Angehörigen informieren will. Manchmal geht es einfach ums Zuhören, darum, einen guten Rat zu geben, bei Problemen, oder manchmal ist es gut, Lebensmut mitzugeben. Aber leider schaffe ich das nicht immer.
Zischup: In der JVA Heilbronn gibt es ein Projekt, in dem sich Gefangene durch den Tausch von Briefmarken an gemeinsamen Anschaffungen wie kleinen Elektrogeräten beteiligen konnten. Dadurch konnte mancher Streit vermieden werden. Lässt sich das nicht auch hier umsetzen?
Philippi: Das ist eine gute Idee, nur ist das nicht leicht umzusetzen. Aber es wäre toll, wenn wir mehr Formen der Beteiligung und damit auch der Selbstverantwortung finden würden. Auch wenn zum Beispiel jeder regelmäßig ein Päckchen Tabak frei bekäme, gäbe es meiner Meinung nach viele Probleme weniger und man bräuchte weniger Psychopharmaka. Aber das lässt sich wohl politisch nicht durchsetzen. Ich bewundere es, wenn jemand es schafft, hier im Gefängnis mit dem Rauchen aufzuhören. Das ist schwer, aber es gibt auch eine neue Freiheit.

Zischup: Hilft die Kirche, wenn ich mein Leben lang Kirchensteuern bezahlt habe, bei der Finanzierung einer Beerdigung?
Philippi: Die Kirche ist verpflichtet, für ihre Mitglieder das Beerdigungsritual ab zuhalten. Wenn kein Geld da ist, übernimmt die Kommune die Bestattung.

Zischup: Hilft die Kirche, wenn Liegenschaften für ein Grab erlöschen und man selber kein Geld hat, für weitere Jahre das Grab eines Angehörigen zu erhalten?
Philippi: Im Einzelfall wird für Mitglieder der Gemeinde gemeinsam eine Lösung gesucht für die Verlängerung der Liegezeit des Verstorbenen, um das Grab zu erhalten. Wenn das gelingt, kann auch ein Häftling mit sehr langer Haftstrafe nach der Entlassung das Grab seiner Lieben besuchen.

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