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Invasion

Clevere Raubtiere: Waschbären halten auch im Südwesten Einzug

Nadine Zeller
  • So, 22. September 2013, 20:03 Uhr
    Südwest

     

Er ist extrem anpassungsfähig, hat kaum natürliche Feinde und ist ein wahrer Überlebenskünstler. Der nordamerikanische Waschbär breitet sich immer weiter aus – so auch im Südwesten.

Waschbären sehen putzig aus, doch sie ...gierig und sehr schwer zu vertreiben.   | Foto: BZ
Waschbären sehen putzig aus, doch sie sind clever, neugierig und sehr schwer zu vertreiben. Foto: BZ

In Kassel lebt mittlerweile die größte Waschbärenpopulation Europas. Doch nicht nur in Hessen finden die geschickten Raubtiere Nahrung. Auch in Baden-Württemberg halten die Jäger Einzug. Betroffen sind vor allem der Rems-Murr-Kreis, Schwäbisch Hall und Göppingen.

Sie durchwühlen Komposthaufen, werfen Blumenkästen vom Balkon und steigen die Regenrinnen hoch. Für Futter überwinden Waschbären fast jedes Hindernis. Die 50 bis 70 Zentimeter großen Raubtiere gehören zur Familie der Kleinbären, haben graues Fell und einen geringelten Schwanz. Typisch für sie ist ihre schwarz-weiße Gesichtsfarbe und die pummelige Gestalt.

"Jetzt haben wir es definitiv mit Stadtwaschbären zu tun" Frank Becker
Waschbären sind dämmerungs- und nachtaktiv und sehr gute Kletterer. In Kassel gibt es mittlerweile so viele von ihnen, dass die Bürger Plexiglas an den Regenrohren befestigen, damit die Tiere nicht in die Wohnungen einsteigen. Doch nicht nur in Hessen sorgen die aus Nordamerika stammenden Tiere für Ärger. Auch in Baden-Württemberg breiten sich die neugierigen Räuber aus.

Tobias Volg, stellvertretender Forstamtsleiter vom Landratsamt Göppingen, sagt: "Manchmal bekommen wir drei bis vier Anrufe pro Woche. Die Bürger sind dann schon richtig genervt und wollen wissen, was sie gegen die Tiere tun können." Am Anfang fänden es die meisten Menschen noch putzig, wenn die Waschbären im Garten auftauchten, doch spätestens, wenn sie Nacht für Nacht über die Dächer flitzten, lasse die Begeisterung nach. In Göppingen kommen die Tiere inzwischen flächendeckend vor.

In Kassel tollt bereits die achtzehnte Generation durch die Stadt. Waschbärenexperte Frank Becker sagt: "Früher pendelten die Tiere zwischen dem Waldrand und der Stadt. Jetzt haben wir es definitiv mit Stadtwaschbären zu tun." Am liebsten schlafen die Tiere in Kaminen und unter Hausdächern, da sie höhlenähnliche Schlupflöcher bevorzugen.

"Die haben sich angepasst", so Becker. Bis vor zehn Jahren habe es noch ausgereicht, mit einem kleinen Stachelkranz dafür zu sorgen, dass die Tiere nicht die Regenrinne hochkletterten. Das sei definitiv Geschichte. "Wenn man jetzt irgendwelche Schirmchen anbringt, dann setzt sich der Waschbär nachmittags drauf und sonnt sich. Dieser Zug ist abgefahren!"

Andreas Elliger, Mitarbeiter der Wildforschungsstelle Baden-Württemberg sagt: "Die Menschen, die sich bei uns melden, haben ernsthafte Probleme mit den Waschbären. Eine Frau konnte im Sommer beispielsweise nicht mehr ihre Fenster aufmachen, weil die Tiere sonst in die Wohnung eindrangen." Dennoch sei es schwer zu sagen, wie viele Waschbären momentan in Baden-Württemberg lebten, sagte Elliger. Zählen könne man nur die erlegten und überfahrenen Tiere.

Im Jagdjahr 2012 seien es 262 tote Waschbären gewesen. Die Zahlen aus dem Jagdjahr 2013 lägen noch nicht vor, würden aber in den nächsten Wochen von der Wildforschungsstelle veröffentlicht werden. Andreas Elliger, Mitarbeiter der Wildforschungsstelle vermutet, dass es etwa 500 Waschbären sein werden. "Dennoch ist es schwierig aus der Zahl der erlegten Tiere, auf die Zahl der vorhandenen zu schließen", so Elliger.

Wissenschaftlich belastbare Zusammenhänge zwischen der Zahl der erlegten Tiere und dem tatsächlichen Vorkommen gebe es leider nicht. Welche Auswirkungen der Waschbär auf die heimische Fauna und das Ökosystem habe, sei auch noch nicht hinreichend erforscht.

Am häufigsten kommt der Waschbär in Hessen vor, wo er in den 1930er-Jahren erstmals ausgesetzt wurde. In dem Bundesland wird etwa ein Drittel aller Waschbären in Deutschland erlegt. In Baden-Württemberg könne man noch nicht von einer Waschbärenplage reden, so Diplombiologe Klaus Lachenmaier vom baden-württembergischen Landesjagdverband. "Wenn wir jetzt schon von einer Plage reden, wie nennen wir es dann, wenn der Waschbär hier richtig Fuß fasst? Und dieser Tag wird kommen. Denn mit den legalen Mitteln, die wir heute zur Verfügung haben, lässt er sich nicht aufhalten."

Der Waschbär unterliegt dem Landesjagdgesetz – er kann also von Jägern jederzeit erlegt werden. Momentan läuft der Waschbär den Jägern jedoch eher zufällig vor die Flinte. "Man kann sie schon gezielt bejagen, aber einfach ist es nicht. Und im Siedlungsbereich ist es noch schwieriger", sagt Elliger. Totschlagfallen in Städten aufzustellen, sei auch keine Alternative. Zu hoch ist die Gefahr, dass Katzen darin sterben. Der Waschbär besitzt zwar natürliche Feinde wie Fuchs, Dachs, Habicht und Uhu, doch diese werden allenfalls den Jungtieren gefährlich. Einmal im Jahr, meist Mitte April, werden zwei bis fünf Junge zur Welt gebracht.

"Wir müssen uns arrangieren" Tobias Volg
Die EU hat kürzlich eine Initiative gestartet gegen sogenannte invasive Arten, da gehöre der Waschbär laut Liste auch dazu, so Lachenmaier vom Landesjagdverband. Waschbären sind extrem angepasste Allesfresser und können alles verwerten, was ihnen zwischen die Pfoten kommt: Aas, Insekten, Kleintiere, Eidechsen, Würmer, Äpfel, Bananen, Zwetschgen, aber auch menschliche Abfälle wie Pommes frites und Burger. "Dieser Bär ist clever, neugierig und dreist", sagt der Experte Frank Becker aus Kassel. Man brauche Erfindungsreichtum, um ihn von den Gebäuden wegzuhalten.

"Ich erlebe das durchaus als ein Kräftemessen. Immer wieder versucht einer, mich zu veräppeln, aber bis jetzt habe ich immer gewonnen." Manche Bären in Kassel schaffen es mittlerweile sogar, die Häuserecken hochzuklettern – auch ohne Regenrinne. Das Eindämmen der Population hält der Göppinger Tobias Volg für utopisch. "Wir müssen uns arrangieren."

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Ressort: Südwest

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mo, 23. September 2013: PDF-Version herunterladen

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