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Flüchtlingskrise

Darf Griechenland das Asylrecht aussetzen?

Christian Rath
  • Mi, 04. März 2020, 22:31 Uhr
    Ausland

     

Die Regierung in Athen versucht derzeit, Migranten am Betreten des Landes zu hindern. Die Frage ist, ob sie damit auf dem Boden des europäischen Rechts steht.

Ein griechischer Polizist steht an einem Loch im Zaun an der griechisch-türkischen Grenze. Auf der türkischen Seite der Grenze warten angeblich rund 12500 Menschen auf die Möglichkeit, die Grenze zu überwinden. Foto: Yasin Akgül (dpa)
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FREIBURG. An der türkisch-griechischen Grenze sammeln sich immer mehr Flüchtlinge, die in die EU gelangen wollen. Doch Griechenland treibt die Menschen mit Wasserwerfen und Tränengas zurück und hat das Asylrecht für einen Monat ausgesetzt. Fragen und Antworten zur Rechtslage.

Darf Griechenland Asylanträge an der Grenze verhindern?
Nein. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat erst im Februar entschieden, dass Staaten einen effektiven Zugang zu ihrem Asylverfahren sicherstellen müssen, insbesondere an der Grenze. Nur dann dürfen sie Flüchtlinge, die massenhaft versuchen, Grenzzäune zu stürmen, ungeprüft zurückschicken. Die EU-Asylverfahrens-Richtlinie von 2013 besagt klar, dass Asylanträge auch "an der Grenze" gestellt werden können.

Können auch Flüchtlinge, die schon länger in der Türkei leben, an der Grenze Asyl zu beantragen?

Ja. Der Asylantrag ist aber unzulässig, wenn die Türkei als "erster Asylstaat" oder als "sicherer Drittstaat" gilt. Dann könnte der Flüchtling laut EU-Recht in die Türkei zurückgeschickt werden – ohne Prüfung der Situation im Heimatstaat. Der Flüchtling hat aber Anspruch auf die Prüfung, ob die Türkei die Anforderungen als "erster Asylstaat" oder "sicherer Drittstaat" erfüllt. Ob die Türkei die Anforderungen des EU-Rechts erfüllt, ist umstritten. Wenn nicht, hätte der Flüchtling Anspruch auf ein Asylverfahren in der EU. Es kommt jedenfalls auf die Behandlung der Flüchtlinge durch die Türkei an.

Wie groß sind die Chancen der Flüchtlinge auf Asyl?
Syrer hätten in der EU Anspruch auf Asyl oder zumindest subsidiären Schutz. Bei Flüchtlingen aus anderen Staaten wie Afghanistan oder Pakistan kommt es auf den individuellen Fall an.

Um wie viele Menschen geht es?
Derzeit sind 3,6 Millionen Syrer in der Türkei registriert, weitere 3 Millionen könnten aus der umkämpften syrischen Provinz Idlib in die Türkei fliehen. Außerdem befinden sich in der Türkei rund 400 000 Flüchtlinge aus anderen Staaten. Ob sich all diese Menschen Richtung EU aufmachen, hängt vor allem von der türkischen Politik ab. Die Organisation Pro Asyl geht davon aus, dass nicht alle Syrer in die EU wollen.

Welches Land ist für die Asylverfahren zuständig?
Nach den geltenden Dublin-Regeln ist Griechenland zuständig, weil hier der erste Kontakt zur EU stattfand. Ist ein EU-Staat durch einen Zustrom von Flüchtlingen überfordert, kann der EU-Ministerrat aber Hilfe beschließen. Griechenland hat dies bereits beantragt. Die Hilfe könnte finanzieller Art sein oder eine Umverteilung von Flüchtlingen. Für letzteres dürfte es im Rat keine Mehrheit geben, solange sich alle EU-Staaten beteiligen sollen.

Kann Griechenland einfach einen Monat lang keine neuen
Asylanträge mehr annehmen?

Eigentlich nicht. Aber auch in Deutschland wurden Flüchtlinge 2015 wegen Überlastung der Behörden nicht sofort registriert und konnten oft erst nach Monaten einen förmlichen Asylantrag stellen. Deutschland hat die Flüchtlinge damals aber sofort aufgenommen und entsprechend versorgt, was Griechenland derzeit verweigert. Griechenland könnte seine EU-rechtlichen Pflichten nur unter Verweis auf die so genannte Notstands-Klausel der EU-Verträge vorübergehend aussetzen. Danach bleiben die Staaten der Europäischen Union gemeinsam "für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und  den Schutz der inneren Sicherheit" zuständig. Details in dieser Frage sind allerdings bislang ungeklärt, weil es hierzu noch keine Rechtsprechung gibt, wie der Konstanzer Europarechts-Professor Daniel Thym ausführt.

Ressort: Ausland

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Do, 05. März 2020: PDF-Version herunterladen

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